Angela Merkels “A und O“ für den Zusammenhalt Europas

  19 Januar 2017    Gelesen: 731
Angela Merkels “A und O“ für den Zusammenhalt Europas
Der neue US-Präsident Donald Trump, der Brexit, der Rechtspopulismus - Europa steht unter Druck. Kann die EU die Reihen schließen oder droht ihr die Spaltung? Die Mühsal der Kanzlerin Angela Merkel und eine Zauberformel.
Angela Merkel hat es erwischt. Sie muss husten und schlucken an einem Tag, der keine Pause erlaubt. Eigentlich gibt es kein Durchatmen mehr. Zu viel muss besprochen, analysiert, geregelt, und vorbereitet werden. Der schwierige Wahlkampf, das Verhältnis zu dem als sprunghaft geltenden neuen US-Präsidenten Donald Trump, die harte Linie der britischen Premierministerin Theresa May für den geplanten Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union, der aggressive Rechtspopulismus in Europa, Verunsicherung vieler Menschen durch Verlust von Arbeitsplatz, Perspektiven und Werten.

Angela Merkels Gast am Mittwoch, Italiens neuem Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, geht es ähnlich. Dazu hatte er erst vor wenigen Tagen einen Eingriff am Herzen. Nun erklären beide, wie Europas Zerfall verhindert werden soll.

Deutschland, Italien, und Frankreich als Achse

Die Kanzlerin hatte sich schon mit Gentilonis Vorgänger Matteo Renzi - der Anfang Dezember eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform verlor und zurücktrat - um festere deutsch-italienische Bande bemüht. Im Verbund mit Frankreich, um eine starke Achse in einer durch den Brexit womöglich schwächer werdenden EU zu bilden.

Gentiloni ist der sechste italienische Regierungschef, den Merkel seit Beginn ihrer Kanzlerschaft 2005 erlebt. Er tritt kämpferisch als Verfechter der guten europäischen Werte auf. Seine Botschaft ist klar: Die EU muss neues Vertrauen aufbauen und das Ruder "in diesen stürmischen Zeiten" in der Hand behalten. Nur wie?

"Vertrauen werden wir dann gewinnen, wenn wir die Probleme lösen", sagt Merkel. Klingt wie eine Zauberformel: Probleme weg, Vertrauen da. Bei der Migration, Beschäftigung, der inneren Sicherheit, beim wirtschaftlichen Wachstum und Anti-Terror-Kampf. Merkel beschwört die Solidarität der Mitgliedsstaaten. Gentiloni auch. Genau das scheint aber eines der wesentlichen Probleme zu sein. Die EU-Staaten verhalten sich oft nicht solidarisch.

Hauptlasten in der Flüchtlingskrise tragen etwa Griechenland, Italien, Deutschland, andere EU-Staaten versuchten von Anfang an, sich abzuschotten. Mays harter Schnitt für einen Brexit, der nicht nur einen Austritt aus der EU vorsieht, sondern auch aus dem EU-Binnenmarkt zugunsten eines umfassenden Freihandelsvertrags, birgt Spaltpotenzial. Denn womöglich wird sich Großbritannien als Steuerparadies für Unternehmen empfehlen. Merkel mahnt: "Das A und O ist, dass sich Europa nicht auseinanderdividieren lässt."

Donald Trump mit Desinteresse an EU

Das gilt auch für den Umgang mit Donald Trump, dessen Interview- Äußerungen vor seiner Amtseinführung an diesem Freitag befürchten lassen, dass er keine Ahnung von der EU hat. Und womöglich auch wenig Interesse an ihr. So verwechselte er den Ratspräsidenten mit dem Kommissionschef und kannte die Zahl der Mitgliedstaaten nicht.

Trumps Maßstab seien Nationalstaaten, nicht ein großer wertegebundener Staatenverbund wie die EU, heißt es in Merkels Umfeld. Und Trump werde aller Voraussicht nach als Präsident genauso auftreten wie als Kandidat. Denn mit seiner demonstrativen Abgrenzung von der politischen Elite und seiner Devise, Hauptsache einen "Deal" für Amerika zu machen, habe er seinen größten Erfolg erzielt. Warum sollte er daran etwas ändern? Insofern stelle sich eher die Frage, ob seine Minister und seine Partei für einen Ausgleich sorgen könnten.

Mit Spannung wird auch erwartet, wie Merkel eigene, deutsche und europäische Positionen behaupten will zwischen Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, die sich teilweise in fragwürdiger Männermanier unterstützen. So sagte Putin etwa zu Sexvorwürfen gegen Trump im Zusammenhang mit Moskauer Prostituierten: "Sie sind natürlich die besten der Welt, aber ich bezweifle, dass sich Trump darauf eingelassen hat."

Es ist auch zu bezweifeln, dass sich die Kanzlerin auf dieses Niveau begeben wird. Fragt sich, welchen Ton sie gegenüber beiden künftig anschlagen wird.

Europa muss zusammenrücken

So lautet das Gebot der Stunde in Europa: Zusammenrücken. Die Reihen schließen. Einen weiteren Austritt eines Landes aus der EU verhindern. Das kann Merkel zufolge über Wohlstand gelingen, über ein Gefühl, dass man in Europa, in Deutschland gut und sicher leben kann.

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) fordert dafür aber eine Trendwende. Der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt werde zu oft ausschließlich auf Haushaltskonsolidierung konzentriert und zu wenig auf die Frage des Wachstums, klagt er. "Es geht nicht darum, beides gegeneinander auszuspielen, sondern beides zu erreichen." Es müsse "Vorfahrt für Investitionen in Europa" geben. Und Gentiloni mahnt, die Politiker müssten "Europa als Perspektive aufzeigen, nicht nur als Geschichte".

Renzi hat übrigens in der "Welt" einen Makel in der Regierungszeit vor seinem Rücktritt so beschrieben: "Eine Zeit lang gab es keine Pause. Ich bin nur gerannt."© dpa


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