Die Italiener brachten immerhin zwei Landsleute in Sicherheit: den römischen Auslandsgeheimdienstchef und den italienischen General der Uno-Einsatztruppen.
"Staatsstreich in Libyen", vermeldeten die Zeitungen anderntags. Ein Kommentator des italienischen Blattes "Corriere della Sera" wandte ein: Dafür müsste "ja erst einmal ein Staat existieren". Und da hat er recht, den gibt es praktisch nicht.
Nur in der Welt der internationalen Politik gibt es einen libyschen Staat, sogar mit einer von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung. Deren Chef ist der gelernte Architekt Fayez Sarraj, 56 Jahre alt. Wenn er im Ausland unterwegs ist oder ranghohe Besucher empfängt wie den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, darf er sich manchmal wie ein richtiger Regierungschef fühlen.
Leider stehen bei den Gesprächen dann immer die Erwartungen im Raum, dass er endlich die Grenze Richtung Europa dichtmacht und keine Flüchtlinge mehr durchlässt. Aber das kann er gar nicht: Europas Verbündeter vor Ort hat keine Macht, keine Milizen. Er hat zu Hause nichts zu sagen.
Die Menschen leiden, die Milizen profitieren
Dabei geht es seinen netten Gesprächspartnern im Kern nur um das Flüchtlingsproblem. Ansonsten wäre den meisten Besuchern das nordafrikanische Wüstenland vermutlich ziemlich egal.
Libyen ist zwar reich an Öl und Gas, könnte zur blühenden Oase werden. Doch seit im Herbst 2011 eine amerikanisch-europäische Allianz den langjährigen Diktator Muammar al-Gaddafi weggebombt hat, herrscht Chaos. Der Westen hatte keine Idee für den Tag nach Gaddafi, brachte mühsam eine Übergangsregierung ins Amt. Aber da hatten sich Islamisten, Generäle, Religions- und Stammesführer schon fest eingerichtet. Seither streiten sie um die Macht.
Die Wirtschaft des Landes leidet. Die Banken haben kein Geld, die Stromleitungen oft keinen Strom, die Wasserleitungen kein Wasser. Nur die islamistischen Milizen haben einen regen und lukrativen Bootsverkehr übers Mittelmeer installiert, der in Europa dramatische Krisen auslöst.
Und darum geht es im Kern: Europas Zukunft entscheidet sich auch in Libyen.
Seit Anfang 2014 sind mehr als eine halbe Million Flüchtlinge von Nordafrika mit Booten nach Italien gebracht worden. Die meisten gingen in Libyen an Bord. Die Menschen fliehen vor Krieg, Armut und Unterdrückung. Dass die Zahl der Flüchtlinge in absehbarer Zeit zurückgehen wird, ist wenig wahrscheinlich. Voriges Jahr landeten mehr als 180.000 Migranten an Italiens Südküsten, mehr denn je.
175.000 Flüchtlinge in Italien
Früher winkten die Italiener den Großteil der Ankömmlinge einfach durch, und der zog weiter nordwärts über die Alpen. Seit das nicht mehr so einfach geht, weil sich Österreich und Deutschland sperren und die Schweiz sowieso, bleibt das Gros der Migranten in Italien. Derzeit leben etwa 175.000 Flüchtlinge in Lagern und weitere Tausende irgendwo, illegal.
Das beflügelt die ausländerfeindliche Lega Nord und die gegen Flüchtlinge und gegen die EU eingestellte "Fünf-Sterne-Bewegung" des gar nicht mehr komischen Ex-Komikers Beppe Grillo. Wenn seine Bewegung die anstehenden Wahlen gewinnt - und das könnte passieren - sieht es für Europas Zukunft düster aus. Europa schafft es nicht einmal, wie vereinbart 40.000 Flüchtlinge aus Italien in anderen EU-Ländern unterzubringen.
Womit wir wieder bei den Ursachen des Problems sind. Immer wieder versprachen EU-Politiker, man sei ganz nah dran: Libyen werde die Häfen kontrollieren, die illegalen Überfahrten übers Meer stoppen.
Libyens mächtige Regionalfürsten
Nur, jene libyschen Politiker, die ihnen das versprachen, hatten gar nicht die Mittel dazu. Und entweder wollte die EU das so genau gar nicht wissen, oder ihr fehlte der Durchblick. Denn viele kleinere und mindestens vier größere Gruppierungen streiten sich in dem nordafrikanischen Land um die reale Macht:
Khalifa Ghwell, der Ministeriumsbesetzer von vergangener Woche; Anführer eines islamistischen Bündnisses, das den Muslimbrüdern nahesteht, Chef einer international nicht anerkannten Gegenregierung.
Großmufti Sadiq al-Ghariani, die höchste religiöse Autorität des Landes, gleichfalls der Muslimbruderschaft eng verbunden. Er predigt gegen den Einsatz von Waffen zwischen den libyschen Gegnern, droht aber den ausländischen Truppen mit Gewalt.
Der Rat der Stammesältesten, vor allem in den Gebieten südlich von Tripoli tonangebend, droht, den Gas- und Öl-Terminal des italienischen Energieriesen Eni lahmzulegen, wenn die italienischen Schiffe nicht aus den libyschen Hoheitsgewässern verschwinden.
General Khalifa Haftar, der den Osten Libyens beherrscht. Vorige Woche durfte er den im Mittelmeer stationierten russischen Flugzeugträger "Admiral Kuznezow" besuchen und an Bord per Videokonferenz mit Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu über "den Kampf gegen internationale Terrorgruppen im Nahen Osten" parlieren.
Haftar könnte der kommende starke Mann Libyens werden. Es heißt, einst hätte der Westen - vor allem die USA - auf ihn gesetzt, ihn dann aber fallenlassen. Seit vorigem Herbst ist er Moskau mit einem Abkommen verbunden, in dem sich die Russen verpflichten, seine Truppen zu reorganisieren und seine Waffensysteme zu modernisieren. Bislang, so heißt es, hätte Russland trotz Haftars Bitten keine Waffen, wohl aber eine nicht bekannte Zahl von Militärexperten geschickt.
Seither marschiere Haftar "langsam, aber stetig" auf Tripolis zu, klagt etwa George Vella, Außenminister des Libyen sehr nahen EU-Inselstaates Malta. Er warnt vor der Allianz zwischen Haftar und Moskau: "Wir alle wissen, dass es immer der Traum der Russen war, Militärstützpunkte im Mittelmeer zu haben."
Und, en passant, die Kontrolle über den Migrantenzustrom von Afrika nach Europa.
Quelle : spiegel.de
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