Vier Monate sind seitdem vergangen, und es hat sich viel geändert. Allen voran die Art, wie Ryan zumindest offiziell zu dem Mann steht, der inzwischen ins Weiße Haus eingezogen ist. "Wir kommen sehr gut miteinander aus, wir sprechen regelmäßig miteinander", sagt der Sprecher des Repräsentantenhauses diese Woche in einem Interview mit dem Sender PBS. Kein Wort mehr zu den "Spannungen während des Wahlkampfs", auf die ihn die Interviewerin anspricht. Stattdessen: ein charmantes Lächeln und Erklärungsversuche.
Mit dieser Haltung ist Ryan bei den Republikanern nicht allein. Seitdem Trump im Amt ist, scheinen seine Kritiker weitgehend verstummt. Trump hat die Partei im Wahlkampf durcheinandergebracht, am Ende war sie gespalten zwischen denen, die nicht an einen Erfolg von Trump glaubten und ihn inhaltlich ablehnten - und denjenigen, die fasziniert von dem vermeintlich unkonventionellen Kandidaten waren. Sein Wahlerfolg stürzte die Republikaner in eine Identitätskrise: Sie haben das Weiße Haus zurückerobert, kontrollieren den US-Kongress.
Doch die Macht gibt es nur im Doppelpack mit der Person Trump. Und so lassen ihn viele gewähren oder spendieren ihm bei der Parteiversammlung in Philadelphia Standing Ovations.
Das heißt nicht, dass die Republikaner alles gutheißen, was ihr Präsident und sein Regierungsteam in den ersten drei Wochen im Amt gemacht haben. Der temporäre Einreisestopp für Flüchtlinge und Menschen aus sieben überwiegend muslimischen Ländern war auch unter Republikanern umstritten - wenn auch viele sich vor allem an der Kommunikation des Erlasses störten. (Lesen Sie hier mehr über den juristischen Streit um das Einreiseverbot.)
Die Konfrontation suchen jedoch nur wenige. Eine Ausnahme bilden der ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain und sein Freund Lindsey Graham, beides ranghohe Republikaner. "Wir befürchten, dass diese Anordnung im Kampf gegen den Terror zu einer Wunde wird, die wir uns selbst zugefügt haben", schrieben sie und warnten, die Verfügung könne mehr der terroristischen Rekrutierung helfen statt die Sicherheit in den USA zu stärken. Trumps Reaktion auf die harsche Kritik: Bei Twitter machte er die beiden angesehenen Senatoren runter.
Trump provoziert seine Partei
Darüber hinaus gibt es durchaus Themen, bei denen auch andere Republikaner mit ihrer Kritik an Trump nicht an sich halten können. Vor allem mit Äußerungen zur Wiedereinführung von Folter und Geheimgefängnissen, seinem respektlosen Umgang mit Richtern und der Unabhängigkeit der Justiz, oder seinem Lob für Russland provoziert Trump die Parteikollegen immer wieder. Vergangene Woche bezeichnete er Wladimir Putin als einen Mörder unter vielen - und verglich die USA mit Russland.
Zu viel für die Republikaner, die den russischen Präsidenten eher kritisch sehen. Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, ging daraufhin öffentlich auf Distanz zu Trump. Auch Ryan - ausgesprochener Befürworter der Sanktionen gegen Russland - zeigte sich von diesen Aussagen geschockt: "Ich sehe das anders." Eine Lockerung der Sanktionen werde er nicht unterstützen, sagte er PBS.
Im Senat kommt es auf jede Stimme an
Dabei wäre Trump gut beraten, es sich nicht mit den Republikanern zu verscherzen. So sehr sie darauf angewiesen sind, dass er ihre Anliegen durchbringt - ganz ohne den US-Kongress kann der Präsident seine Vorhaben auch nicht realisieren. Um die Gesetzesvorhaben durch den Kongress zu bekommen, zählt jede Stimme. Die Konservativen haben zwar in beiden Kammern eine Mehrheit, doch ihr Vorsprung ist gering - im Senat steht es 52 zu 48.
Wie knapp es werden kann, zeigte sich bei der Abstimmung über Trumps Kandidatin für das Bildungsministerium. Betsy DeVos hatte bei den Anhörungen nicht sehr souverän gewirkt, kannte sich in grundlegenden Fragen der Bildungspolitik offensichtlich nicht aus. Zwei republikanische Senatorinnen, Susan Collins (Maine) und Lisa Murkowski (Alaska), votierten mit Nein - erst Vizepräsident Mike Pence hievte Trumps Kandidatin mit seiner Stimme ins Amt, ein Novum in der Geschichte der USA.
Faustischer Pakt
Die Mischung aus Angst vor Trumps Wutausbrüchen gegenüber Kritikern sowie die Aussicht, nach acht Jahren in der Opposition endlich wieder Dinge verändern zu können, sorgt dafür, dass fast alle republikanischen Kritiker Trumps den Präsidenten derzeit unterstützen.
Doch welchen Preis sind die Republikaner bereit, für diese Macht zu bezahlen? Der konservative Schriftsteller Michael Gerson warf seinem Freund Paul Ryan vergangene Woche vor, einen faustischen Pakt (Teufelspakt) einzugehen, indem er Trump billige. Vergesse er gelegentlich sein Gewissen, könne er Gesetze machen, schrieb er in einem Kommentar für die "Washington Post". "Oh, das ist doch einfach nur Unsinn", reagierte Ryan gereizt. Er werde nicht jeden Tweet, jede Aufregung kommentieren. "Ich konzentriere mich darauf, eine Agenda umzusetzen."
Noch sieht es so aus, als könnte dieses Kalkül aufgehen. Am Donnerstag kündigte das Weiße Haus eine umfassende Steuerreform an, so umfassend wie seit 1986 nicht mehr. Paul Ryan dürfte diese Nachricht gefallen, gilt doch die Steuerreform als eines seiner Kernanliegen.
Doch es gibt Hinweise, dass die rote Linie der Republikaner bald erreicht sein könnte - zumindest, was den Fall von Trumps Beraterin Kellyanne Conway angeht. Ihre Werbung für Ivanka Trumps Label sei "falsch, falsch, falsch", sagte Jason Chaffetz, Vorsitzender des Aufsichtsausschusses im US-Repräsentantenhaus. Gemeinsam mit Demokraten unterzeichnete der Republikaner und Trump-Anhänger einen Brief an die Behörde zur Einhaltung von Ethikstandards. "Conways Interview löst extrem ernste Besorgnis aus", heißt es darin - und die Abgeordneten fordern disziplinarische Maßnahmen gegen Conway. In diesen Zeiten ein bemerkenswerter Schritt.
Quelle : spiegel.de
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