Es waren schwierige Zeiten für die Grünen. Sie waren schon ein paar Jahre in der Opposition und ein Ausweg war angesichts einer "Sozialdemokratie mit Burn-Out-Syndrom", wie es damals auf dem Grünen-Parteitag in Erfurt hieß, nicht in Sicht. Inspiriert durch den damals gewählten US-Präsidenten Barack Obama machten sie sich mit dem Slogan "Yes, we Cem" aber Mut. Zu Recht.
Bei der Bundestagswahl ein Jahr später holten die Grünen erstmals in ihrer Geschichte ein zweistelliges Ergebnis. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 bestimmten grüne Themen die Agenda. Forsa handelte die Ökopartei damals teils mit 28 Prozent. Der beste Wert seit ihrer Gründung. Von der grünen Volkspartei war die Rede. In Baden-Württemberg regiert mit Winfried Kretschmann seither ein grüner Ministerpräsident.
Doch dann. Ein gescheiterter Steuerwahlkampf 2013, eine leidige Veggie-Day-Debatte, Pädophilie-Vorwürfe. Es ging abwärts. Im aktuellen Stern-RTL-Wahltrend jetzt also wieder 7 Prozent. Stehen der Partei nach ein paar fetten Jahren jetzt womöglich gar ganz dürre Jahre bevor? Die Vorzeichen haben sich im Vergleich zu 2008 ins Negative gekehrt.
Selbst Trump ist kein Geschenk für die Grünen
Mit ihrem Personal werden die Grünen sicher nicht wieder Geschichte schreiben. Die Grünen haben, was das angeht, die wichtigsten Entscheidungen des Jahres bereits getroffen. Zwar gehört neben Katrin Göring-Eckardt auch Cem Özdemir zum neuen Spitzenduo. Sonderlich mutig oder zumindest aufregend wirkt das aber nicht mehr. Göring-Eckardt und Özdemir werden mittlerweile beide als etabliert wahrgenommen. Die Umfragen hat ihre Wahl denn auch nicht beflügelt.
Viel Grund zu hoffen, dass sie von den dominierenden Themen profitieren könnten, haben die Grünen auch nicht. In der Flüchtlingskrise gab Kanzlerin Merkel sich mit ihrer Willkommenskultur so offen, dass selbst Grüne für sie gebetet haben (Kretschmann), damit sie ja gesund bleibe und an ihrem Kurs festhalte. Selbst der neue Protektionismus im Stile Donald Trumps erscheint kaum wie ein Wahlkampfgeschenk für die Grünen. Ganz abgesehen davon, dass sie sich mit Kritik am neuen US-Präsidenten kaum von der Masse abheben würden, stemmen sich viele Parteimitglieder gegen TTIP und CETA. Zwar heißt ein Nein zu den Freihandelsabkommen keineswegs Ja zu Protektionismus. Doch im Wahlkampf mit allzu ausdifferenzierten Betrachtungen durchzudringen, ist nun mal schwer – insbesondere für eine Oppositionspartei.
Andere naheliegende Themen erscheinen angesichts der Wahlschlappe von 2013 wiederum verbrannt. Die Klaviatur der sozialen Gerechtigkeit bespielen die Grünen zwar weiterhin, doch da sie sich nicht mehr trauen, über konkrete Steuerkonzepte zu sprechen, bleibt vieles im Ungefähren. Ökologische Vielfalt und das Tierwohl sind den Grünen natürlich noch immer ein besonderes Anliegen. Doch mit Bio wirbt heute jeder Discounter. Und nach der Veggie-Day-Debatte will die Partei alles, nur nicht zu sehr bevormunden. Die Grünen sind vorsichtig geworden.
Zwischen Pragmatismus und Idealismus
Als wäre diese Ausgangslange nicht schon schwer genug, begann das Wahljahr auch noch mit dem massiven Polizeieinsatz in Köln und dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Insbesondere die Debatte nach der Silvesternacht zeigte, wie schwer sich die Grünen beim womöglich entscheidenden Thema Sicherheit tun. Die einstige Protestpartei, die sich wegen Castor-Transporten mit der Obrigkeit balgte, fordert jetzt zwar wie selbstverständlich mehr Polizei. Doch als die linke Parteivorsitzende Simone Peter vorsichtig Zweifel an Recht- und Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in Köln kundtat, weil es Berichte über Racial Profiling gab, fühlte sich der Rest der Führungsspitze gezwungen, sich demonstrativ von ihr abzuwenden. Der Realo-Flügel dominiert die Partei, doch dem Wähler bleibt nicht verborgen, dass es den Grünen bei einigen Themen sehr schwer fällt, sich geschlossen zu positionieren.
Deshalb ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Grünen am Ende noch mehr Prozentpunkte verlieren, vielleicht gar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Das Experiment grüne Volkspartei ist vorerst gescheitert. In Umfragen ist die Truppe fast auf ihre Kernwählerschaft zusammengeschrumpft. Und sollte die Partei weiterhin erfolglos mit noch mehr Pragmatismus um Anhänger der politischen Konkurrenz buhlen, könnte das durchaus auch einige der Idealisten unter ihren treuen Anhängern verprellen.
Der Bundestagswahlkampf wird schwer für die Grünen. Das ist sicher. Ein Faktor scheint sich allerdings zu ihren Gunsten gewendet zu haben. Die Chancen der Grünen, mitzuregieren, sind 2017 trotz ihrer Schwäche größer als 2008. Und das nicht nur, weil die neuen Spitzenkandidaten der Grünen als besonders offen für eine Koalition mit der Union gelten. Vor allem kann in diesem Jahr von einer "Sozialdemokratie mit Burn-Out-Syndrom" keine Rede mehr sein. Nachdem die SPD Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten gekürt hat, wissen die Genossen vor lauter Euphorie kaum noch, wohin mit all ihrer Energie. Noch reicht es nicht für Rot-Rot-Grün. Von den 299 notwendigen Sitzen käme dieses Bündnis laut Forsa nur auf 293. Doch die Grünen könnten zumindest mit einer gewissen Berechtigung für eine Alternative zur Großen Koalition werben. Unklar ist, ob die Realpolitiker, die gerade den Ton angeben, das auch wollen.
Quelle: n-tv.de
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