Ohne Visum zur Minsker Hipstermeile

  16 Februar 2017    Gelesen: 1232
Ohne Visum zur Minsker Hipstermeile
Belarus erleichtert die Einreise für ausländische Touristen. Ein weiteres Indiz dafür, dass der autoritäre Staat sich dem Westen öffnet. Devisen sind nur ein Grund.
von Olga Kapustina

Die Oktjabrskaja-Straße ist die Hipstermeile von Minsk. In den alten Fabrikhallen befinden sich Galerien, Kneipen und Kreativagenturen. An einer riesigen Außenwand ist ein buntes Graffiti aufgemalt. Davor steht eine Lenin-Büste, dort hängen auch die Fotos der besten Mitarbeiter der „Minsker Fabrik der Oktober-Revolution“.

Ein Sinnbild für das heutige Belarus, das mit einem Bein in seiner sowjetischen Vergangenheit steht und mit dem anderen in der Luft erstarrt. Wohin nun: Richtung Westen oder Osten?

Wieder Gasstreit mit Russland

Im Hof eines Gebäudes befindet sich das Online-Reisemagazins 34travel. „Minsk not dead“ steht an der Wand der Redaktion geschrieben. Ihr Leiter, Anton Kaschlikow, trägt Bart, Jeans und Puma-Pullover. „Junge Menschen haben aufgehört zu versuchen, das System zu ändern. Sie haben angefangen, ihre eigene Infrastruktur aufzubauen“, sagt der 31-Jährige. Sein Team entwickelte einen englischsprachigen Online-Guide für Minsk, um mehr ausländische Touristen in die Stadt zu locken.

Nun hat offensichtlich auch die Regierung das gleiche Ziel. Seit dem 12. Februar dürfen Bürger aus 80 Staaten nach Belarus ohne Visum einreisen, darunter alle EU-Staaten und die USA. Der Erlass von Präsident Alexander Lukaschenko erlaubt die visafreie Einreise über den Minsker Flughafen. Der Aufenthalt darf allerdings nur maximal fünf Tage dauern.

Hotels stehen leer

Die vorsichtige Öffnung hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Die Regierung möchte Devisen ins Land holen. Wegen des niedrigen Ölpreises sind die Einnahmen aus der Verarbeitung von russischem Öl und Gas zurückgegangen. Außerdem droht Russland die Lieferungen zu kürzen. Währenddessen seien die zahlreichen Hotels, die zur Eishockey-WM 2014 in Minsk gebaut wurden, nur zu einem Drittel ausgelastet, sagt Politologe Waleri Karbalewitsch.

Die Einreise-Erleichterungen haben seiner Meinung nach aber auch politische Gründe. Minsk versuche seine Beziehungen mit der EU und den USA zu normalisieren. „Ich möchte, dass Sie sich uns zuwenden und in Belarus einen souveränen, unabhängigen Staat sehen“, sagte Alexander Lukaschenko bei der Pressekonferenz am 7. Februar.

Vermittler im Ukraine-Konflikt

Das ist nicht sein erster Annäherungsversuch an den Westen. Vor den Präsidentenwahlen 2010 reiste sogar der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle nach Minsk. Als Lukaschenko die Proteste am Wahlabend dann brutal niederschlagen ließ, wurden die Beziehungen wiederum aufs Eis gelegt.

2015 ließ der Präsident die bekanntesten politischen Gefangenen frei. Vor einem Jahr hob die EU ihre Sanktionen auf. Seit mehr als zwei Jahren versucht Lukaschenko die Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt anzunehmen und dafür von beiden Seiten Dividende zu bekommen. Seine Schaukelpolitik zwischen Ost und West hat er in den 23 Jahren an der Macht perfektioniert.

Allerdings ist der Konflikt zwischen Russland und Belarus diesmal viel tiefgründiger. Es geht nicht mehr vorrangig um Gas und Öl, sondern um die Angst vor Vereinnahmung durch den großen Nachbarn à la Krim. Der Minsker Schriftsteller Artur Klinau formulierte es einst so: „Wenn Russland die Ukraine in Teilen verspeist, könnte es Belarus in einem herunterschlucken“. „Freiheit und Unabhängigkeit sind teurer als Öl“, sagte Lukaschenko.

Eine Imagekampagne wäre wichtiger, geschweige denn Reformen

Inzwischen richtet Russland Grenzzonen mit Belarus ein. Das ist ein weiteres Indiz einer Beziehungskrise zwischen Minsk und Moskau, meint Juri Tsarik vom „Center for Strategic and Foreign Policy Studies“ in Minsk. „Belarus möchte nicht zu einem strategischen Militärplatz Russlands werden, zu einem Instrument, mit dem Moskau Druck auf die EU und NATO ausüben kann. Der Kreml möchte aber genau das erzwingen.“

Am 12. Februar, als die Visa-Erleichterungen in Kraft getreten sind, sah es am Minsker Flughafen nicht nach viel mehr ausländischen Touristen aus als sonst. Nadine Laschuk, Autorin des Buches „Liebesgrüße aus Minsk“, glaubt, dass Belarus ein großes Potential für Tourismus hat. „Um attraktiver für Touristen zu sein, ist aber eine gründliche Imagekampagne vonnöten. Dazu gehört auch, nicht nur kosmetische Reformen durchzuführen.“

Journalist Anton Kaschlikow ist optimistischer. „Ich hoffe, dass die Visa-Erleichterungen nach einiger Zeit erweitert werden. Dass Ausländer dann nicht nur mit dem Flugzeug, sondern auch mit dem Bus oder Zug einreisen dürfen.“ Er freut sich, dass sich Belarus Richtung Europa öffnet. In einigen Jahren könnte es theoretisch der EU angehören, meint er. „Genauso ist es aber möglich, dass sich hier das Krim- oder Donbass-Szenario wiederholt.“

Quelle:ostpol

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