Ancelotti in Gefahr, HSV wie Monty Python

  27 Februar 2017    Gelesen: 387
Ancelotti in Gefahr, HSV wie Monty Python
Trainer weg, Torjäger a.D. wieder aufgetaucht: Der 22. Spieltag der Fußball-Bundesliga ist reich an Höhepunkten. Das Bayern-Geschenk für Carlo Ancelotti gehört nicht dazu. Und der HSV? Lässt sich von so einer läppischen 8:0-Niederlage nicht beeindrucken.
1. Der HSV ist ein Spitzenteam


Vielleicht sollten sich Spieler, Verantwortliche und Fans des Hamburger SV geehrt fühlen. Derart entschlossen wie an diesem Samstagnachmittag waren die Bayern in dieser Saison bisher nur gegen zwei Teams aufgetreten: RB Leipzig und Arsenal London. Der Rekordmeister scheint den HSV also als würdigen Gegner erachtet zu haben - nicht ganz zu Unrecht, in der Rückrunde hatten die Hamburger bisher ja nur einen Punkt weniger geholt als der FCB. Grund genug für Carlo Ancelotti, den HSV eine "gefährliche Mannschaft" zu nennen. Nun, am Ende wurde es für den Italiener nur kurz vor Anpfiff gefährlich, als ihm Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge eines seiner gefürchteten Geschenke übergab. Zu Anlass des 1000. Pflichtspiels als Trainer bekam Ancelotti kein Gedicht wie weiland Franz Beckenbauer, auch keinen Acryl-Staubfänger wie Pep Guardiola, sondern etwas, das aussah wie eine Brezel. Buon appetito.

Das Spiel schmeckte den Bayern natürlich hervorragend, viel bemerkenswerter aber, wie schnell einige HSV-Spieler die Demütigung verdauten, allen voran Mergim Mavraj. Der Abwehrmann hatte sich kurz vor Schluss noch einmal stellvertretend für die Leistung der gesamten Mannschaft von Arjen Robben am Nasenring durch den Strafraum ziehen lassen, das 8:0 war der Schlusspunkt unter einer erbarmenswürdigen Vorstellung der Hanseaten. Null Ballaktionen hatten sie in der ersten Halbzeit im gegnerischen Strafraum, kampflos ergaben sie sich den furiosen Bayern, ganze zehn Fouls setzten sie dagegen, ohne Gelbe Karte. In den letzten acht Spielen in München hat der HSV nun keinen einzigen Punkt geholt, drei Tore geschossen und fünfundvierzig Tore kassiert. Und Mavraj? Zeigt sich kampfeslustig wie der Schwarze Ritter aus Monty Pythons "Ritter der Kokusnuss", der selbst ohne Arme und Beine noch große Töne spuckt: "Ab morgen sind wir bereit, Gladbach aus dem Stadion zu hauen." Zumindest Selbstvertrauen haben sie wie ein Spitzenteam.

2. Timo Werner wird kein Liebling der Massen mehr


An dieser Stelle denken Sie sich bitte einen Witz über die Oscar-Verleihung und Timo Werner. Einen schlechten Witz, ungefähr so schlecht wie der über einen 20-Jährigen Torgaranten, der sich nach jedem Pfiff eine Diskussion gefallen lassen muss, ob er denn überhaupt gefoult wurde und wenn ja, ob er nicht mindestens zu theatralisch gefallen ist - ob im "Doppelpass", bei "Sky90" oder in den Social Media. Zugegeben: Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob Timo Werner in der 7. Minute des Bundesliga-Spiels seiner Leipziger gegen den 1. FC Köln nach dem Foul von Dominic Maroh wirklich zu Boden gehen muss wie ein Reckturner beim Abgang. Aber man sollte einem so jungen Spieler dann doch die Chance geben, sich den Stempel als Schwalbenkönig über mehrere Jahre so redlich zu verdienen wie ein Arjen Robben. Mit den Pfiffen der gegnerischen Fans hat er sich mittlerweile aber ohnehin abgefunden, wenn man seinen Aussagen im "Kicker" glauben darf. "Wenn sie das brauchen und wollen, kann ich es nicht ändern, ich werde auch in Zukunft mein Spiel durchziehen." Am Samstag hat er das getan und beim souveränen 3:1 von RB Leipzig gegen den FC im 21. Saisonspiel seinen 13. Treffer erzielt. Und wenn er das weiterhin tut, werden seine Auftritte in Zukunft öfter unter der Überschrift stehen, die die "Welt am Sonntag" wählte: "Timo Werners Bewerbung für die Nationalmannschaft."

3. Wiederauferstehung kann so einfach sein


Ja, war denn Samstag schon Ostern? 55 Minuten lang sah es in Freiburg so aus, als sollte Pierre-Emerick Aubameyang schon wieder nicht treffen, doch dann feierte Dortmunds Torjäger a.D seine Wiederauferstehung - obwohl er selbst zumindest vor dem Tor nicht allzuviel dafür getan hatte, im Gegenteil: In der 19. Minute trat er über den Ball, in der 24. Minute zielte er so genau wie ein Kölner Jeck nach dem zehnten Kölsch am Pissoir, und in der 31. Minute verpasste er eine Hereingabe kläglich. Doch dann schoss Marco Reus, der fünf Bundesliga-Spiele währenden Torflaute seines Kollegen offenbar überdrüssig, den Gabuner mehr oder weniger an, es war das 2:0. Beim 3:0 drängte dann Erik Durm Aubameyang den zweiten Treffer förmlich auf und ließ damit nicht nur seinen Trainer aufatmen: "Es ist das Beste für uns alle, wenn Auba nicht mehr nachdenkt, wenn er sich auf die kommenden Aufgaben freut", sagte Thomas Tuchel nach dem 3:0 gegen die Breisgauer, die gegen Dortmund ungefähr so erfolgreich sind wie der HSV gegen die Bayern - es war der 12. Sieg des BVB hintereinander, gegen keinen anderen Klub haben die Schwarz-Gelben eine so lange Erfolgsserie.

4. Statistik ist erbarmungslos, die Realität auch


Der SV Darmstadt hat an diesem 22. Bundesliga-Spieltag wohl das erlitten, was amerikanische Sportkommentatoren martialisch als "Neckbreaker" bezeichnen: Den entscheidenden Rückschlag, von dem sich ein Team nicht mehr erholt. Dabei lagen sie vorne im Heimspiel gegen Augsburg, der Relegationsplatz plötzlich nur noch fünf Punkte entfernt, bei sich fast minütlich verschlechternder Torbilanz des HSV, der den ominösen Rang 16 belegt. Doch dann irrlichterte Verteidiger Alexander Milosevic durch den eigenen Strafraum und legte dabei Dominik Kohr. Elfmeter, Ausgleich, und weil es, Phrase hin, Phrase her, manchmal eben doch kommt, wie es kommen muss: kurz vor Schluss das 1:2. Zwölf Punkte haben die Lilien auf dem Konto, mit so wenig Zählern nach 22 Spieltagen hat noch kein Team den Klassenerhalt geschafft. Noch niederschmetternder als diese Statistik war der Auftritt der Hausherren: "Viel investiert" (Stürmer Terrence Boyd) hatten sie, allerdings waren dabei nur fünf Torschüsse herausgekommen, und in den entscheidenden Szenen fehlte es einfach an Kompaktheit und Klasse. "Immerhin kann es nicht schlimmer werden", sagte ein ernüchterter Kapitän Aytac Sulu. Eine Durchhalteparole, die Darmstadt noch durch 12 lange Spiele tragen muss.

5. Hinter den Top 3 ist alles möglich


Es wäre keine gewagte Wette, würde man 100 Euro darauf setzen, dass sich an der Besetzung der ersten drei Plätze in der Bundesliga-Tabelle nichts mehr ändert bis zum Ende der Saison. Aber was dahinter passiert, scheint derzeit unberechenbarer als Donald Trumps Außenpolitik. Von den zehn Teams zwischen Hoffenheim auf Rang vier und Augsburg auf Rang dreizehn haben nur ganze zwei mehr als sieben Punkte in den fünf Spielen der Rückrunde gesammelt - Augsburg und Mönchengladbach. Den Rest des Bundesliga-Mittelbaus plagt akute Inkonstanz. Für Spannung ist gesorgt.

6. Auf der grünen Wiese steht ein Karussell …


… manchmal fährt es langsam, manchmal fährt es schnell. Richtig, liebe Kinder, wir reden über das Trainer-Karussell, und am Wochenende hat es mal wieder ordentlich Fahrt aufgenommen. Mit Valerien Ismael muss ein Trainer gehen, den seine Bosse nie fest in den Sattel gesetzt hatten, ein Dead Man Walking vom ersten Tag an, für den bezeichnenderweise das vielleicht beste Spiel unter seiner Regie auch das letzte war.

Die nackten Zahlen sprechen aber nun einmal gegen den Franzosen: Unter allen sieben Trainern, die unter der Saison einen Verein übernommen haben, hat Ismael die zweitschlechteste Bilanz - nur Torsten Frings hat im Schnitt weniger Punkte gesammelt, mit einem nicht erstligareifen Kader. In Wolfsburg soll nun wohl Bruno Labbadia übernehmen, der bei seinen bisherigen Engagements in Leverkusen, Stuttgart und Hamburg stets einen guten Start hinlegte. Nur das dürfte zählen beim VfL, den nur zwei Punkte vom Relegationsplatz trennen.

Fünf Punkte entfernt vom Minimalziel Europa League liegen die Leverkusener nach der blutleeren 0:2 Heimpleite gegen Mainz 05. Schon wieder richten sich alle Augen auf Roger Schmidt, dessen Entlassung "Sky" ja vor zwei Wochen schon vermeldet hatte. Die Breaking News entpuppte sich als Ente, und auch nach der erneuten Enttäuschung stärkt Sportdirektor Rudi Völler seinem Trainer den Rücken und wütete gegen die Spieler: "Einige sollten in den Spiegel schauen, wenn mal wieder der Trainer attackiert wird."

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