Ein Blick zurück. Gleich zum Start gibt es eine Parallele zwischen Anfang 2017 und 1993. Nicht nur die Genossen gingen davon aus, dass der amtierende SPD-Chef die Partei auch als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt. Mit einem kleinen Unterschied: Im Gegensatz zu Sigmar Gabriel war es bei Björn Engholm sogar schon offiziell. Mehr als zweieinhalb Jahre vor der Wahl erklärte der SPD-Vorsitzende am 20. Januar 1992, dass er antreten werde. Er wiederholte dies auch noch im März 1993. Aber Engholm trat nicht an. Wie Gabriel 14 Jahre später trat er zurück - allerdings aus anderen Gründen und weniger überraschend.
Ursache war seine Rolle in der Barschel-Affäre. Wie sich herausstellte, hatte er den Untersuchungsausschuss im Kieler Landtag nicht korrekt informiert. Der Druck auf Engholm war groß. Anfang Mai sagte Forsa-Chef Manfred Güllner in einem Interview, dass die SPD die Wahl mit ihm als Kanzlerkandidat nicht mehr gewinnen könne. Kurz darauf erklärte Engholm seinen Rücktritt als Parteivorsitzender, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und auch als Kanzlerkandidat. Engholm gab bekannt, dass er ganz aus der Politik ausscheiden will.
Gefährlicher Gegner für Kohl
Eineinhalb Jahre vor der Wahl stand die Partei plötzlich ohne Chef und Kanzlerkandidaten da. Auf einem außerordentlichen Parteitag stimmten die SPD-Mitglieder im Juni über den neuen Vorsitzenden ab. Rudolf Scharping, Ministerpräsident in Rheinland Pfalz, gewann mit 40,3 Prozent gegen Gerhard Schröder (33,2), den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, und Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek Zeul (25,6). Offen blieb zunächst die Frage, wer als Herausforderer von CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl antreten würde. Einer Forsa-Umfrage zufolge hielten zu dieser Zeit 51 Prozent der Deutschen Scharping für den Richtigen, nur 18 Prozent Oskar Lafontaine, den saarländischen Ministerpräsidenten. In der Kanzler-Direktwahl lag Scharping (36 Prozent) im Gegensatz zu Lafontaine deutlich vor Kohl.
Die Entscheidung fiel am 21. Juni, 16 Monate vor der Wahl und damit deutlich früher als bei Martin Schulz. Nach der Präsidiumssitzung erklärte Scharping, dass er die Kanzlerkandidatur übernimmt. Aus Sicht von CDU und CSU war der SPD-Chef damals der wohl gefährlichste Gegner für Kohl. Das belegten verschiedene Umfragen. Anders als Lafontaine und Engholm, der (ähnlich wie Gabriel) als Zauderer galt, hatte Scharping demnach gute Chancen. Vor diesem Hintergrund war es nur folgerichtig, dass Scharping antrat - eine weitere Parallele zur Schulz-Kür.
Plötzlich kippt die Stimmung
Tatsächlich verlief der Start aus Sicht der SPD ähnlich prächtig wie 2017. Im Juni ergab eine Emnid-Umfrage: 49 Prozent wollten Scharping als Kanzler, nur noch 38 Kohl. Im Juli sprachen sich sogar 50 Prozent für den SPD-Kandidaten aus. Laut einer Forsa-Umfrage im September 1993 favorisierte 31 Prozent Scharping und 28 Kohl. Noch erfreulicher für die Genossen: 42 Prozent der Deutschen wollten SPD wählen, nur 34 Prozent CDU und CSU. Im Forsa-Kanzlerbarometer landete Scharping wenige Wochen später erstmals hinter Kohl. Ein Ausrutscher? So schien es. Das Infa-Institut sah Scharping kurz vor Weihnachten deutlich vor Kohl und die SPD vor der Union. Die SPD ging mit Zuversicht ins Wahljahr. Nach zwölf Jahren Kohl waren die Vorzeichen günstig. Noch im März 1994 wollten laut dem Meinungsforschungsinstitut Burke 60 Prozent einen Regierungswechsel. In der Direktwahl wünschten sich 42 Prozent Scharping und nur 28 Kohl.
Aber plötzlich drehte sich die Stimmung. Ende Juni überholt die Union die SPD. In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen lag sie mit 40 Prozent vier Punkte vorn, Kohl sogar sieben vor Scharping. Ende August erreichten CDU und CSU 41 Prozent und die SPD nur 36 - es war fast das vorweggenommene Wahlergebnis. Am 16. Oktober stoppte der schwarze Balken bei 41,4 Prozent, jener der SPD schon bei 36,4. Kohl blieb Kanzler - was er laut Wahlforschern vor allem seiner Popularität und der hohen Wirtschaftskompetenz der Union zu verdanken hatte. Scharping unterlag. Dass er noch ein halbes Jahr vorher klar vorne gelegen hatte, interessierte niemanden mehr.
Das Duell Kohl/Scharping zeigt: Umfragen sind immer nur ein aktuelles Stimmungsbild, das sich schnell ändern kann. Nur weil es damals so gekommen ist, heißt das nicht, dass Schulz ebenfalls deutlich einbrechen muss. Das Beispiel Scharpings taugt übrigens auch für Vergleiche mit anderen SPD-Wahlkämpfen. Am 3. Juni 1994 mahnte der Kanzlerkandidat in einer Rede größere Disziplin in der SPD-Spitze an. "Jeder soll sich überlegen, was er sagt", forderte er und richtete sich damit wohl vor allem an Gerhard Schröder, der zuvor seinen Wahlkampf kritisiert hatte. Fast genau 19 Jahre später, im Juni 2013, wiederholte sich die Geschichte, als Peer Steinbrück öffentlich Loyalität vom damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel einforderte. Möglicherweise hat Gabriel daraus gelernt: In einigen Wochen übernimmt Martin Schulz den Parteivorsitz.
Quelle: n-tv.de
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