Anschlag auf russischen Journalisten: 50 Hiebe mit der Eisenstange

  22 September 2015    Gelesen: 750
Anschlag auf russischen Journalisten: 50 Hiebe mit der Eisenstange
Vor fünf Jahren schlugen Angreifer Oleg Kaschin nieder. Mehr als 50-mal prügelten sie mit Eisenstangen auf den Reporter ein, Kaschin überlebte nur knapp. Einer der Schläger hat nun den prominenten Auftraggeber der Tat verraten.
In der Nacht auf den 6. November 2010 fingen die Überwachungskameras in der Moskauer Pjatnizkaja-Straße einen brutalen Überfall ein. Der Journalist Oleg Kaschin, 30 und damals Mitarbeiter der angesehenen Wirtschaftszeitung "Kommersant", war gegen Mitternacht auf dem Weg nach Hause. Kurz vor seiner Wohnung wurde er von zwei Männern niedergeschlagen.

Beide waren mit Eisenstangen bewaffnet und prügelten auf Kaschin ein. Insgesamt waren es mehr als 50 Hiebe, viele geführt mit voller Wucht. Der Journalist erlitt Kieferbrüche, Beinbrüche, ein schweres Schädeltrauma. Er verlor einen Finger, lag tagelang im Koma, überlebte die Attacke aber wie durch ein Wunder.
Wer generell Verantwortung trug für den Überfall, darüber herrschte bei vielen Beobachtern 2010 schnell Einigkeit: Teile der Kreml-Jugend hatten in den Monaten zuvor eine Hetzjagd gegen Kaschin entfacht. Die Junge Garde der Putin-Partei Einiges Russland diffamierte ihn als Mitglied eines "faschistisch-journalistischen Untergrund-Zentrums". Auf der Seite der Jugendorganisation konnte man nachlesen, der Journalist sei ein "Verräter", den es zu bestrafen gelte.

Gut möglich, dass die Wut der "Jungen Garde" auch deshalb so groß war, weil sich Kaschin früher einmal selbst im Dunstkreis der Kreml-Jugend bewegt hatte: Bevor er ins Lager der Opposition wechselte, hatte Kaschin für Kreml-nahe Medien wie die "Iswestija" geschrieben, das Revolverblatt "Twoi Den" und die Website "Wsgljad". Nach der Tat versprach der damalige Präsident Dmitrij Medwedew, man werde die Täter "finden und bestrafen".

Aussage eines Schlägers

Heute, fast fünf Jahre nach dem Angriff, spricht viel dafür, dass die Täter tatsächlich gefunden sind. In russischen Untersuchungsgefängnissen sitzen drei Männer, die früher als Wachleute Dienst taten, meist in der Saslon AG, einem Rüstungsunternehmen, das zum Einflussbereich des russischen Provinzgouverneurs Andrej Turtschak gehörte.

Das Opfer Kaschin ist inzwischen davon überzeugt, dass Turtschak die Schlüsselfigur ist in seinem Fall. Der 39-Jährige regiert die Provinz Pskow in Westrussland und soll den Angriff in Auftrag gegeben haben, nachdem der Journalist Kaschin den Politiker 2010 in seinem Blog wüst beleidigt hatte.

Belastet wird der Gouverneur vor allem durch die Aussage eines der verhafteten Schläger, Danila W. Dieser hat über seine Frau Jelena der Öffentlichkeit ausrichten lassen, er habe nicht auf eigene Faust gehandelt, sondern auf Weisung von Turtschak. Er und seine Kollegen hätten den Auftrag bekommen, den Reporter zusammenzuschlagen, "damit er nicht mehr schreiben kann".

Turtschak hat gute Verbindungen, seine Familie ist gut betucht. Er war Führungskader der Kreml-Jugend "Junge Garde" und ist Spross einer einflussreichen Familie aus Sankt Petersburg. Turtschaks Vater war dort Anfang der Neunzigerjahre ein Weggefährte Wladimir Putins. Sie gelten als Freunde, auch wenn Turtschak senior nicht zum engeren Führungszirkel um Putin gehört.

Belastende Tonbandaufnahmen

Außer den Aussagen des Wachmanns gibt es ein Tonband, das Kaschin zugespielt wurde und den Gouverneur und sein Umfeld belastet. Darauf ist zu hören, wie W. nach dem Anschlag mit dem Saslon-Chef mögliche Fluchtpläne diskutiert: "Wir trennen uns für ein halbes Jahr."

Nach Angaben von Kaschin haben die Ermittler anhand von Handy-Verbindungsdaten ferner festgestellt, dass W. und Turtschak im Herbst 2010 auch direkt in Kontakt traten. Sie sollen sich in Moskau getroffen haben, im Restaurant Weiße Wüstensonne. Auch von diesem Treffen soll laut W.s Frau eine Aufnahme existieren.


Der damalige Chef der Saslon AG - mutmaßlich Mittelsmann in dem Fall - wurde allerdings Mitte September aus der U-Haft entlassen. Dabei hatten Ermittler bei ihm ein geheimes Waffenlager ausgehoben. Es umfasste Sprengstoff und ein Dutzend Schusswaffen.
Doch der Chef der russischen Staatsholding Rostech, Sergej Tschemesow, machte sich in einem Brief an die Behörden für ihn stark, und sein Wort hat Gewicht. Er hat mit Putin in Dresden beim KGB gedient und ist einer der einflussreichsten Wirtschaftslenker in Russland.

Auch Turtschak bleibt auf freiem Fuß. Am Wochenende eröffnete der Gouverneur routiniert ein Kulturfestival, an seiner Seite stand Russlands Kulturminister.

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