Für immer Flüchtlingskind

  14 März 2017    Gelesen: 745
Für immer Flüchtlingskind
2015 beantragten mindestens 337.000 Kinder in Europa Asyl. Sie haben Gewalt und Missbrauch erlebt. Sie spielen und lernen zu wenig und erhalten kaum psychologische Unterstützung. Was das für ihr weiteres Leben bedeutet, weiß man längst aus der Nachkriegszeit.
"Ich lag in einem viel zu großen Stockbett und fürchtete mich sehr. Die Dunkelheit, meine Gefühle von Einsamkeit und Depression verbanden sich zu einer grauenvollen Empfindung von Angst, Gedrücktheit und Hoffnungslosigkeit." Hans Hopf ist sechs Jahre alt und verbringt die erste Nacht in einer Baracke im Flüchtlingslager Ebelsbach in Unterfranken.

Es ist das Jahr 1949, Flüchtlinge und Vertriebene werden von den Einheimischen als lästige Eindringlinge erlebt, verachtet und abgelehnt. Heute ist Hopf 74 Jahre alt, erfahrener Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche, Buchautor, Vater von drei Kindern, Großvater von fünf Enkeln. Und immer noch Flüchtlingskind. "Ich bin einer von euch und werde immer einer von euch bleiben", sagt er über diesen Teil seiner Identität.

In den Monaten der Flüchtlingskrise fühlt sich Hopf immer wieder an sein eigenes Schicksal erinnert und hat deshalb ein Buch über "Flüchtlingskinder gestern und heute" geschrieben. "Niemand verlässt seine Heimat freiwillig, nur wenn man in Not ist oder durch Gewalt und Todesdrohungen gezwungen wird", sagt Hopf im Gespräch mit n-tv.de über seine Gefühle. Bis heute wirken die Trauer über den Verlust der Heimat und die dabei erlittenen Traumata in ihm nach.

Fremd in der Massenunterkunft

Hopf ist ein Kind des Zweiten Weltkriegs, an dessen Ende Tschechen seine deutsche Familie aus ihrem Haus vertrieben. Sein Weg führte über ein Sammellager zunächst nach Mecklenburg-Vorpommern und von dort weiter in die amerikanische Besatzungszone. Hier lebt er zwei Jahre bei seiner Großmutter, ohne Kontakt zu Eltern oder Geschwistern, bis er wegen seiner bevorstehenden Einschulung in das Flüchtlingslager umziehen muss. "Als ich dahin kam, war ich ein völlig fremdes Kind in einer völlig fremden Umwelt in einer völlig fremden Familie."

In den 15 Baracken in Ebelsbach leben 546 Menschen, Doppelstockbetten stehen in Reihen eng beieinander, fast alle mit grauen Wolldecken verhüllt, dazu Tische und Stühle, die den Lebensmittelpunkt der jeweiligen Familie bilden. Tagsüber ist es unfassbar laut, immer schreit jemand. Nachts ist es nicht viel leiser, die Geräuschkulisse besteht nun aus Atmen, Schnarchen und Stöhnen. Es ist immer stickig, immer dunkel.

Trotzdem erweist sich das Lager mit seinen äußerlich unwirtlichen Bedingungen auch als Glücksfall. Für Hopf wird es ein Zuhause, sogar ein gutes, "weil es dort so viele Kinder gab. Man ging hinaus aus der Baracke und da waren schon welche. Und in diese Gruppe ist man sofort eingetaucht."

Problematische Männer

Die Kinder geben einander den Halt, den die Erwachsenen nicht geben können. "Die waren mit sich befasst und mit ihren Gedanken und Traumata", sagt Hopf über die Mütter und Väter im Lager. Vor allem die Männer trinken zu viel Alkohol und geraten dann über Nichtigkeiten aneinander. Oder sie sitzen stundenlang da, rauchend und ins Nichts starrend.

"Dissoziierte Männer" nennt der Psychologe Letztere und meint damit, dass sie schlimme Erlebnisse abgespalten und den inneren Rückzug angetreten haben. Es gibt sie auch heute, inzwischen versinken sie stundenlang in ihren Smartphones, wo sie die Verbindung in die Heimat suchen, aber auch spielen oder Musik hören. Hopf beobachtet mit Sorge, dass die vielen jungen Männer so lange sich selbst überlassen bleiben. "Denn Traumatisierung hat auch ein hässliches Gesicht, nämlich mit Gewaltausbrüchen, Affektdurchbrüchen und mit Neigung zur Sucht. Ich erinnere das ganz genau aus dem Flüchtlingslager, dass das durch solche Unterkünfte eher gefördert wird."

Ein Teil der Probleme, die die deutsche Gesellschaft habe, beruhe sicher auf der muslimischen Sozialisation vieler Flüchtlinge. "Aber ein großer Teil beruht auch auf Traumata, die abstumpfen, gefühllos werden und mit sich selbst befasst werden lassen."

Wenig bewirkt viel

Hopf, der als Kind als "Lagerstinker" stigmatisiert wurde, hat sich ein erfülltes Leben erarbeitet, als Lehrer und später als Psychotherapeut. Er habe dann doch noch Glück gehabt und viele sichere Bindungen erfahren, von seiner Großmutter, der Grundschullehrerin und einem Therapeuten. "Sichere Bindungen sind es vor allem, aber auch Regeln und Rituale, Sicherheit und Geborgenheit und dazu gehört das Sich-heimisch-Fühlen." Das sei für die Flüchtlingskinder von heute noch schwerer, weil sie nicht einmal die gleiche Sprache sprechen.

Viele Kinder seien zudem "erkennbar traumatisiert, haben Spielstörungen, Konzentrationsstörungen, Bewegungsunruhe und Wutausbrüche, weil sie Spannungen einfach nicht aushalten können." Bei ihnen sieht Hopf die Gefahr, dass sie einfach mit ADHS diagnostiziert werden. "Das ist aber nicht das Problem, das Trauma ist das Problem."

Hopf wünscht sich, dass Konzepte entwickelt werden, an denen auch Gremien mit beratenden Wissenschaftlern beteiligt werden. Er befürwortet kindgerechte Sprachkurse, in denen sich Lehrerpersönlichkeiten für die Hoffnungen und Wünsche der Flüchtlingskinder öffnen. "Eine ehrliche Einschätzung von Risiken und Gefahren zähle ich auch dazu, denn irreale Befürchtungen kann man vermindern, wenn man reale Ängste klärt."

Er selbst hat die unerbittliche Feindseligkeit gegenüber Vertriebenen und Flüchtlingen erlebt. Vor Gemeinheit und Menschenverachtung schützen auch eigene Erfahrungen nicht unbedingt. Doch für Hopf liegen die Parallelen zur Nachkriegszeit auf der Hand, inzwischen gebe es genug Wissen, worauf es bei der Integration ankommt. "Diese Menschen müssen sich nicht nur auf uns einlassen, sondern wir müssen uns auch auf sie einlassen."

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