Kanzlerin und Kanzlerkandidat, Angela Merkel und Martin Schulz, sie beide sind an diesem Wochenende in NRW am Start. Schulz wird am Sonntag beim Wahlkampfauftakt der SPD in Essen sein, Merkel hat am Samstag beim CDU-Landesparteitag in Münster für Aufsehen gesorgt.
Warum Aufsehen? Weil sie im Wahlkampf eine Wahlkampfrede gehalten hat. Die Kanzlerin kämpft plötzlich. So hatten es ihre Parteifreunde ja wieder und wieder gefordert.
Es ist schon bemerkenswert, dass eine solche Selbstverständlichkeit Schlagzeilen macht: Eine Wahlkampfrede im Wahlkampf. Und es sagt einiges aus über Angela Merkel. Mehr Präsidial- als Bundeskanzlerin, so hatte sie ja ihre letzten beiden Wahlsiege im Bund errungen: nicht durch eigene Stärke, sondern dank der Schwäche der Sozialdemokraten. So sehr war sie in die Mitte gerückt, dass die Sozis nicht mehr wussten, warum eigentlich sie noch den Kanzler stellen wollten. Deren Wählern ging es erst recht so.
Wieder auf Augenhöhe
Weil aber diesmal alles anders ist, muss sich Merkel im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft umstellen: Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die SPD in Umfragen wieder auf Augenhöhe mit den Unionsparteien gehievt, die Flüchtlingskrise ist Merkels politische Achillesferse. Heißt: In diesem Jahr reicht es nicht, die Gegnerischen mittels Politharmonie zu demobilisieren; ganz im Gegenteil: Die eigenen Anhänger müssen mobilisiert werden.
Die Saarland-Wahl am vergangenen Wochenende hat für Merkel den Beweis erbracht, dass sich mit dem Schreckgespenst einer linken Republik die Bürgerlichen im Land tatsächlich noch mobilisieren lassen. Weil die SPD auf Kurs Rot-Rot war, konnte die CDU an der Saar trotz Schulz-Effekt Zehntausende Nichtwähler noch in den letzten Tagen für sich gewinnen. Das war auch für die Merkel-Leute überraschend.
Die Schlussfolgerung für den Bundestagswahlkampf: Schulz muss unbedingt in die linke Ecke gedrängt und dort gehalten werden. Dort ist es aus Sicht der Konservativen so richtig bäh.
So attackierte Merkel bei ihrer Rede in NRW ihren SPD-Herausforderer offensiv auf dessen thematischem Territorium: "Sie reden von Gerechtigkeit - aber vergessen, dass Gerechtigkeit ohne Innovation nicht klappt." Innovation und Gerechtigkeit, ausgerechnet - mit dieser Kombi zogen einst Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine in den Kampf, um die Wahl 1998 zu gewinnen.
Verkehrte Welt: Merkel lobt Schröders Agenda 2010, Schulz kritisiert sie
Es ist offensichtlich: Merkel sucht erneut im sozialdemokratischen Wählerreservoir zu wildern. Aber diesmal will sie diese Leute aktivieren - nicht demobilisieren - gegen Schulz' vermeintlichen Linksschwenk. So lobt sie regelmäßig die Agenda-Sozialreformen ihres Vorgängers Schröder, während Schulz sich mit Kritik an eben dieser Agenda 2010 zu profilieren sucht.
Die NRW-Wahl soll der Test sein. Bis zur Schulz-Nominierung als Kanzlerkandidat lagen CDU und die regierende SPD hier gleichauf, seitdem aber sind die Sozialdemokraten mit der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft davongezogen.
Für das regierende rot-grüne Bündnis mag es zwar nicht mehr reichen und mit den Linken mag Kraft nicht so recht. Doch die SPD könnte die CDU zum Juniorpartner in einer Großen Koalition machen oder gar - wenn die Mehrheitsverhältnisse passen - ein sozialliberales Bündnis auflegen.
Beides wäre eine Belastung für Merkels Wahlkampf: Eine Große Koalition unter roten Vorzeichen könnte ein unwillkommenes Modell für den Bund abgeben. Denn: All jene Wähler, die zwar mit der GroKo grundsätzlich zufrieden, von den Merkel-Jahren aber ermüdet sind, könnten auf Schulz als neuen Kanzler dieser Konstellation setzen. Und eine Koalition von SPD und FDP in Nordrhein-Westfalen wäre noch schwieriger zu verdauen für die Union. Denn damit würden strategisch auch auf Bundesebene ganz neue Fenster aufgestoßen.
Schröder erteilt Rot-Rot-Grün eine Absage
Bereits in den letzten Tagen hat die Ampel-Debatte in Berlin für Aufsehen gesorgt. Die Sympathie sozialdemokratischer und liberaler Spitzenpolitiker für eineKoalition von SPD, FDP und Grünen zeigt dem Kanzlerkandidaten Schulz eine Machtperspektive jenseits der Großen Koalition oder eines Linksbündnisses auf.
Parallel meldete sich Altkanzler Schröder zu Wort und erteilte Rot-Rot-Grün unter den derzeitigen Voraussetzungen - also mit seinem alten Rivalen Lafontaine und Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht - im SPIEGEL eine Absage.
Vor diesem Hintergrund sind die Versuche von CDU und CSU zu sehen, Schulz im linken Lager zu halten. Wenn es gut läuft für die Union, wird die SPD kurz vorm Urnengang im September massiv in Bedrängnis geraten und immer wieder erklären müssen, wie sie es denn nun hält mit der Linkspartei. Schulz dagegen könnte versuchen, Kapital aus der Ampel-Koalition zu schlagen und Gedankenspiele eines Linksbündnisses in den Hintergrund treten zu lassen: "Öffentliche Debatten über Rot-Rot-Grün sind schädlich", hat Schulz laut SPIEGEL die SPD-Fraktion im Bundestag gemahnt.
Für FDP-Chef Christian Lindner kommt all das ungelegen. Er setzt ja gerade darauf, enttäuschte Unionswähler für die FDP zu gewinnen. Konkrete Diskussionen um ein Ampel-Bündnis sind da kontraproduktiv. Lindner betont, dass ihm Merkel gegenwärtig thematisch näher stehe als Schulz. Dennoch hält er sich alles offen: "Ich schließe nichts aus, wenn sich die SPD statt rückwärtsgewandt zu reden auf Vorwärts besinnt", sagte er dem "Tagesspiegel".
Bei der Union, das wird jetzt deutlich, hat der Schulz-Effekt die Reihen geschlossen. So inszeniert sich Merkels Quälgeist, der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, nun als enger Gefolgsmann der Kanzlerin. Merkel gilt ihm als "größter Trumpf". Die Union werde "nur mit Angela Merkel diesen Wahlkampf gewinnen".
So viel Lob hat die Kanzlerin selten von der CSU gehört. Nur: Das sollte sie nicht beruhigen. Denn dass Seehofer derart loyale Worte findet, das hat mit der Gesamtlage zu tun.
Der Bauchpolitiker aus München weiß, dass es im Herbst wohl ein äußerst enges Rennen zwischen Union und SPD werden könnte.
Quelle : spiegel.de
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