Aurel Croissant: Das ist eines der großen Missverständnisse des Westens. Man muss zwei Dinge trennen: Das eine ist Symbolik und Rhetorik, die ein Stück weit kulturgebunden ist und sich in erster Linie an ein nationales, aber auch an ein internationales Publikum richtet. Das wirkt auf uns befremdlich und irrational. Davon zu trennen sind aber Interessen und Strategien, die Pjöngjang schon seit Jahrzehnten verfolgt. Und aus dieser Perspektive handelt das Regime durchaus rational.
Welches Kalkül steckt hinter Kims Drohgebärden?
Das übergeordnete Interesse des Regimes besteht darin, politisch zu überleben. Und dieses Regime unternimmt alles, was seiner Meinung nach den eigenen Herrschaftserhalt sichert. Die Erfahrungen nach 1945, aber auch jüngere Ereignisse, wie der Arabische Frühling, lassen Pjöngjang annehmen, dass die nukleare Bewaffnung oder der Aufbau eines glaubwürdigen Drohpotenzials die einzige wirklich starke Versicherung gegen eine Intervention der USA darstellen.
Kims Propaganda ist martialisch. Das Regime droht damit, die "Truppen der US-Imperialisten", aber auch das US-Festland "auszulöschen und in Asche zu legen". Wie weit ist Kim bereit zu gehen?
Man muss sich in Erinnerung rufen: Diese Rhetorik ist nicht neu. Schon 1994 hat Kims Großvater Kim Il Sung gedroht, Seoul in ein Flammenmeer zu verwandeln.
Sind das also nur leere Drohungen?
Donald Trump und Kim Jong Un spielen ein "chicken game", ein Feiglingsspiel. Das ist eine gängige Denkfigur: Stellen Sie sich vor, zwei Sportwagen rasen aufeinander zu. Wer ausweicht, beweist damit seine Angst und hat das Spiel verloren. Das Spiel gewinnt derjenige, der nicht ausweicht, während der andere ausweicht.
Ein riskantes Spiel …
Aber man kann es gewinnen. Man muss nur glaubwürdig genug vermitteln, nicht aus der Konfrontation auszuscheren und notfalls auch den Zusammenprall zu riskieren. Wenn aber beide – also Pjöngjang und Washington – davon ausgehen, dass jeweils die andere Seite einen Rückzieher macht, selbst aber weiterrasen, verlieren beide Spieler. Und solche Mutproben werden öfter verloren als gewonnen.
Ist das aktuell auch zu befürchten?
Ja, wenn etwa die Information durchsickert, dass ein US-Flugzeugträger nicht auf dem Weg nach Korea ist, sondern noch einen Abstecher nach Australien macht, schwächt das die Glaubwürdigkeit der US-Drohung.
Welche Fehler macht Trump noch?
Durch seine martialische Rhetorik hat er sich selbst unter Druck gesetzt. An der Bedrohungslage hat sich seit seinem Amtsantritt ja nichts geändert. Es gab schon fünf Nukleartests und etliche Raketentests, manche funktionierten, andere nicht. Trump hat verkündet, dass es Nordkorea niemals gelingen werde, funktionsfähige Interkontinentalraketen herzustellen. Damit hat er die Eskalationsspirale weitergedreht. Das hätte nicht sein müssen.
Macht er auch etwas richtig?
Ein sinnvoller Schritt war, den Dialog mit China zu suchen und Peking dazu zu bewegen, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben. Nur China hat da einen wirklichen Hebel.
Welcher Hebel ist das?
Chinas Führung kann, so wie sie es ja jetzt auch schon getan hat, eigene Strafmaßnahmen verhängen. So sind anscheinend vorübergehend die Einfuhr nordkoreanischer Kohle und die Öllieferungen nach Nordkorea gestoppt worden. China kann den für Nordkorea überlebenswichtigen Handel noch weiter einschränken.
Was bringt das?
Gespräche nicht erreichen können, ist, dass Nordkorea entnuklearisiert. Solange die USA keine glaubwürdigen Sicherheitsgarantien bieten können, und das können sie nicht, wird das Regime nicht bereit sein, sein Nuklearprogramm aufzugeben. Möglicherweise ist Pjöngjang aber zu einem Einfrieren des Raketen- und Nuklearprogramms bereit.
Mit Aurel Croissant sprach Johannes Graf
Quelle: n-tv.de
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