Die Wahrheit hinter Boatengs Formtief

  18 Mai 2017    Gelesen: 711
Die Wahrheit hinter Boatengs Formtief
Jérôme Boateng war zuletzt nicht in Topform. Dafür gibt es Gründe, die der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt waren. Die Bosse des FC Bayern schützen ihn jedoch nicht. Das kann weitreichende Folgen haben.
Er ist vor lauter Respekt immer bei der formellen Anrede geblieben. Wenngleich sie Jahre lang vertrauensvoll und erfolgreich zusammenarbeiteten duzt Jérôme Boateng seinen damaligen Trainer Jupp Heynckes bis heute nicht. Der Abwehrchef des FC Bayern gratulierte dem Weltmeister von 1974 kürzlich zum 72. Geburtstag: „Happy Birthday, Herr Heynckes!“

Unter Heynckes und dessen Nachfolger Pep Guardiola entwickelte sich Boateng zu einem der besten Innenverteidiger der Welt. Zu einem Anführer. Zu einem Weltstar.

Doch unter dem aktuellen Trainer Carlo Ancelotti zählte der Nationalspieler im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Borussia Dortmund (2:3) überraschend nicht zur Startelf. Zudem kam Kritik an Boatengs Leistungen in dieser Saison auf, sogar über einen möglichen Wechsel des 28-Jährigen wird spekuliert.

Erstaunlich ist, wie der FC Bayern mit dem Fall Boateng umgeht. Normalerweise nimmt die Klubführung verdiente Spieler, die lange verletzt waren, in Schutz. Siehe zum Beispiel Franck Ribéry, siehe Arjen Robben. Oder auch Thomas Müller – nicht verletzt, aber in dieser Saison lange in der Formkrise gewesen. Die Klubbosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge und der Trainer reden dann viel mit den Spielern, stellen sich vor allem nach außen vor sie, fordern von der Öffentlichkeit Geduld und Verständnis.

Boateng erhält weniger Rückhalt als manch Teamkollege

Bei Boateng hingegen entstand bereits öfter der Eindruck, dass er schneller und öfter als andere als eine Art „Sündenbock“ genommen wird. In den vergangenen Wochen gab es weder von Hoeneß und Rummenigge öffentliches Lob oder eine Einordnung an öffentliche aufkommender Kritik der Leistungen von an Boateng, Ancelotti hielt sich ebenfalls zurück.

Intern bekommt Boateng offenbar weniger Rückhalt zu spüren als mancher Kollege. Obwohl er in der Hierarchie der Mannschaft ganz weit oben steht, obwohl er künftig aller Voraussicht nach Stellvertreter des neuen Kapitäns sein wird – dem Vernehmen nach wird Nationaltorwart Manuel Neuer die Nachfolge Philipp Lahms antreten.

Boateng ist zu einem Aushängeschild des Vereins geworden: In der vergangenen Saison wurde er Fußballer des Jahres, Bundeskanzlerin Angela Merkel lud ihn ins Kanzleramt ein, in den sozialen Medien hat der gebürtige Berliner mit ghanaischen Wurzeln rund zehn Millionen Follower, und mit Blick auf die Internationalisierungspläne des Klubs kann sein Vermarktungsvertrag mit US-Superstar Jay-Z in Zukunft extrem förderlich sein.

Die Bosse haben Boateng zuletzt dennoch öffentlich mehrfach kritisiert: „Jérôme muss wieder ein bisschen mehr zur Ruhe kommen. Es wäre im Sinne des ganzen Klubs, wenn er mal wieder ‚Back to earth‘ runterkommt“, sagte der Vorstandsvorsitzende Rummenigge Ende des vergangenen Jahres. Sätze, die Boateng verletzt haben. Und eine Diskussion über Boatengs Lebenswandel auslösten – die der Weltmeister nicht nachvollziehen konnte. Und enstprechend reagierte.

„Über Rummenigges Aussagen kann ich nur lachen“

Mancher bekommt durch Boatengs Erscheinung offenbar einen falschen Eindruck. Er trägt gern extravagante Kleidung, er liebt Rap-Musik, er ist tätowiert und besucht ab und zu Galas. Doch das ändert nichts daran, dass er professioneller lebt als viele andere Profis der Bundesliga. Boateng lässt sich seit acht Jahren von Physiotherapeut Christian Huhn behandeln. In seiner Villa hat der Nationalspieler eine Massage-Liege aufgebaut. Boateng trinkt keinen Alkohol, verbringt seine Freizeit am liebsten mit seinen Zwillingstöchtern Soley und Lamia und seiner Lebensgefährtin Sherin. In der Mannschaft hat er viele Freunde und ist sehr angesehen.

Hätten die Ärzte das erkennen müssen?

Dass er sportlich in manchem Spiel dennoch hinter den Erwartungen zurücklag, ist durchaus richtig. Doch dafür gibt es Gründe, welche die Öffentlichkeit bislang nicht kannte. WELT nennt sie.

Bereits im vergangenen Jahr hatte er gesundheitliche Probleme. Boateng wollte unbedingt die Europameisterschaft in Frankreich spielen, bei der er zu den besten Deutschen gehörte, sich während des Turniers allerdings verletzte. Bundestrainer Joachim Löw schwärmte immer wieder von der Einstellung und Führungsqualität seines Abwehrchefs. Verwunderlich: Mancher im Verein kritisierte Boatengs Teilnahme an der EM. Durch die Verletzung in Frankreich hatte er keine optimale Vorbereitung und verpasste den Saisonstart.

Im Vorrundenspiel der Champions League in Rostov (2:3) spielte Boateng angeschlagen. Eine Schulterverletzung wurde diagnostiziert, tatsächlich war seine Brust das Problem. Bis heute bleiben die Fragen: Hätten die Ärzte das erkennen müssen? Wäre Boateng dann um die spätere Brustoperation herumgekommen, wegen der er über drei Monate ausfiel?

Gegen Real Madrid im Viertelfinalhinspiel der Königsklasse (1:2) im vergangenen April riskierte Boateng dann einen erneuten mehrmonatigen Ausfall, um seiner Mannschaft zu helfen: Er spielte mit einem Einriss in den Adduktoren.

Gegen Dortmund im Pokal zog Ancelotti ihm dann Javi Martinez vor und ließ den Spanier neben Mats Hummels in der Innenverteidigung spielen. Obwohl Martinez zuvor ebenfalls verletzt gefehlt hatte. Zudem verpflichtete der Klub in Niklas Süle von der TSG Hoffenheim für die kommenden Jahre einen weiteren Innenverteidiger.

Eine entscheidende Frage ist nun: Wie plant Ancelotti mit Boateng? Der Italiener lässt sich in dieser Sache bislang nicht in die Karten schauen.

Der AS Rom soll an Boateng interessiert sein

Vor drei Jahren war der FC Barcelona an Boateng interessiert. Sein Vertrag bei den Bayern gilt bis 2021, er gehört zu den Topverdienern der Mannschaft. In den kommenden Wochen wird es bei den Bayern Gespräche über Boatengs Zukunft geben.

In diesem Sommer wird sich entscheiden, ob der Publikumsliebling in München bleibt. Der AS Rom soll an ihm interessiert sein, der italienische Klub dürfte für den Defensivprofi allerdings keine Option sein. Guardiola, seit einem Jahr Trainer von Manchester City, schätzt Boateng weiterhin sehr. Und auch in Spanien verfolgen die Bosse der Topklubs genau, wie sich das Verhältnis FC Bayern und Boateng entwickelt.

Sollte Boateng den Klub verlassen, wäre es ein herber Verlust für den Rekordmeister.

Quelle : welt.de

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