Im Grenfell Tower im Westen Londons war in der Nacht zu Mittwoch ein Feuer ausgebrochen und hatte sich über die Fassade rasch ausgebreitet. Die Behörden vermuten, dass sich bis zu 600 Menschen in dem Hochhaus aufhielten. Viele von ihnen wurden im Schlaf überrascht. Dutzende Bewohner wurden verletzt, Dutzende weitere werden noch vermisst.
"Es wäre ein absolutes Wunder", sollte einer der in dem Gebäude Eingeschlossenen das Inferno überlebt haben, sagte Feuerwehrchefin Dany Cotton. Ihren Angaben zufolge konnten ihre Teams das Gebäude bislang nur zur Hälfte gründlich durchsuchen, ohne ihr eigenes Leben zu gefährden. Sie rechne damit, dass die Teams noch "viele Tage" vor Ort sein würden, sagte Cotton. Die Ränder des Gebäudes seien strukturell nicht sicher. Es werden nun mehr Hunde eingesetzt, weil diese leichter seien.
Das 24-stöckige Gebäude steht inmitten von Sozialwohnungen in Nord Kensington - in unmittelbarer Nachbarschaft, in Notting Hill, befinden sich einige der teuersten Wohnungen der Welt. Der Betonkasten aus den 70er Jahren wurde bis zum vergangenen Jahr für umgerechnet 9,9 Millionen Euro aufwändig renoviert. Vor allem die Fassade wurde saniert und gedämmt. Experten vermuten, dies könnte ein Grund dafür sein, dass sich der Brand so rasend schnell ausbreitete. Zudem sollen Brandschutzvorrichtungen zwischen den Stockwerken während Arbeiten an Heizungsrohren entfernt worden sein. Unklar ist, ob sie auch wieder eingebaut wurden.
Laut BBC enthielt die neue Fassadenverkleidung einen Plastikkern. Sie ähnelte demnach denen anderer Gebäude in Frankreich, Australien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, in denen sich Brände ebenfalls rasch verbreitet hatten. Die für die Verkleidung der Fassade verantwortliche Firma erklärte gegenüber BBC, ihr sei derzeit kein Zusammenhang mit dem Brand bekannt. Auch die für die Renovierung zuständige Firma versicherte, bei der Sanierung seien alle Brandschutz- und Sicherheitsvorschriften eingehalten worden.
Kritik an Feuerwehrdienst
Nach Angaben von Bewohnern soll es bereits vor dem Inferno Beschwerden über unzureichenden Brandschutz gegeben haben. Unter anderem gab es demnach weder Notausgänge noch Sprinkleranlagen oder einen zentralen Rauchalarm, der die schlafenden Bewohner hätte wecken können. In der Kritik steht zudem der Rat des zentralen Feuerwehrdienstes, bei einem Brand in der Wohnung zu bleiben, den Rauch mit Hilfe von Decken abzublocken und auf Hilfe zu warten.
In den Medien und sozialen Netzwerken suchten Angehörige weiter nach rund 35 Vermissten. Zu ihnen gehört die Fotografin Khadija Saye, deren Werk zurzeit bei der Biennale in Venedig gezeigt wird. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Mutter im Grenfell Tower, von der ebenfalls jede Spur fehlte. Vermisst wurde auch der 65-jährige Tony Disson, in seinem letzten Anruf bat er einen Freund, "sag meinen Söhnen, dass ich sie liebe".
Kein Lebenszeichen gab es zudem von einem sechs Monate alten Baby und dessen Eltern Farah Hamdan und Omar Belkadi, von einem italienischen Architektenpaar, einer 27-jährigen Betriebswirtin und deren Mutter. Ebenfalls vermisst wurden die zwölfjährige Jessica Urbano, die 84-jährige Sheila Smith sowie die 30-jährige Rania Ibrham, die in einem Live-Video auf Facebook von einem völlig verrauchten Flur aus noch um Hilfe gerufen hatte.
Tröstend für die Überlebenden ist dafür die enorme Hilfsbereitschaft ihrer Landsleute: Allein im Internet wurden bis Donnerstagmorgen mehr als eine halbe Million Euro an Spenden gesammelt, in den Gemeindezentren trafen Berge an Kleidern und Lebensmitteln ein.
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