Miami Beach wehrt sich gegen den Untergang

  09 September 2017    Gelesen: 586
Miami Beach wehrt sich gegen den Untergang
Die Hurrikan-Saison lässt die USA erahnen, was ihnen in diesem Jahrhundert noch bevorsteht. Miami Beach stellt sich dem Klimawandel entgegen, die Stadt und ihr Bürgermeister handeln. Floridas Gouverneur leugnet.
Manchmal versinkt die Stadt einfach. Straßen werden überflutet, Autos bewegen sich im Schritttempo vorwärts, Fußgänger steigen auf Kajaks oder Surfboards um. "Der Meeresspiegel wird weiter steigen", weiß Margarita Wells, Leiterin des Projekts "Rising Above". Miami Beach liegt einen Meter über Normalnull, pro Jahr werden es 9 Millimeter weniger. Seit 2014 handelt die Stadt gegen die Folgen für den langgezogenen, dem Festland vorgelagerten Streifen Land. Seine Bürger erleben, was vielen anderen Küstenstädten der Welt bevorsteht.

Margarita Wells zeigt auf einen großen grauen Kasten, der zwischen der Biscayne Bay und der Purdy Avenue steht, und erklärt, wie das System funktioniert. Die Straße wurde um rund 60 Zentimeter erhöht. Regen und Flutwasser fließen in Drainagen und werden wieder in die Bucht gepumpt. Ventile verhindern, dass sie in die andere Richtung fließen. Seither bleiben die Überschwemmungen auf der Purdy Avenue aus, und so soll es die nächsten Jahrzehnte bleiben. Inzwischen liegen viele Abflüsse schon unter der Wasseroberfläche. Also müssen die Verantwortlichen auch Uferwände erhöhen und ganze Gebäude mitsamt ihrer Fundamente heraufsetzen lassen. Die Pumpe in dem Kasten ist eine von 80, die mit dem Gesamtbudget von 400 Millionen US-Dollar angeschafft und installiert werden soll.

Zwischen weißen Yachten auf der einen und herausgeputzten Restaurants auf der anderen Seite sind die Pumpen zwar schon im Einsatz, doch ist Miami Beach noch längst nicht flächendeckend mit dem System ausgerüstet. "Sunny Day Flooding", so nennen die Bewohner das Phänomen der plötzlichen Fluten, die seit der Jahrtausendwende immer häufiger aus den Gullys quellen und Straßen unter Wasser setzen, manchmal auch in Autos eindringen und sie zerstören. Im Sommer kommt der Regen dazu. Auf dem "Indian Creek Drive" etwa geschah das ständig. Die Hauptverkehrsroute inmitten der tropischen Stadt gehört dem Staat Florida, und dessen Gouverneur Rick Scott glaubt nicht an den dauerhaften Anstieg des Meeresspiegels. Miami Beach sperrte die Straße und nahm die Sache selbst in die Hand. Bislang finanziert die Stadt das Programm aus eigenen Steuergeldern.

"Jede Generation hat eine große Herausforderung, wie einen Krieg. Wir haben den steigenden Meeresspiegel und den Klimawandel", sagte Bürgermeister Philip Levine im vergangenen Jahr dem Magazin "Atlantic". Seit 2013 ist Levine im Amt, zwei Jahre später wurde er mit über 65 Prozent der Stimmen wiedergewählt. In seinem Wahlkampf hatte er versprochen, die Überflutungen der Straßen zu bekämpfen. Ginge das prominente Urlaubsziel an der Atlantikküste unter, wäre das für ihn persönlich schlecht. Levine macht als Unternehmer auch mit dem Tourismussektor Geschäfte.

Banger Blick in die Zukunft

Bis zum Ende des Jahrhunderts wird der Meeresspiegel weltweit um bis zu zwei Meter ansteigen, das ist die Vorhersage der US-Wetterbehörde NOAA. Im Südosten der Vereinigten Staaten ist die Lage schon jetzt prekär. Vor Floridas Küsten stieg die Wasseroberfläche zwischen 2011 und 2015 sechsmal schneller als weltweit, stellte eine Studie der Universität von Florida fest. Levine will das Wasser weiter bekämpfen und setzt dabei auf menschliche Innovationskraft: "Ich will der Bürgermeister von Miami Beach sein, nicht von Venedig." Womöglich kann er bald von weiter oben Einfluss nehmen. Levine wird nachgesagt, im kommenden Jahr für die Demokraten als Gouverneur für Florida antreten zu wollen. Er würde Scott ablösen, der auch den Klimawandel leugnet und als Verbündeter von US-Präsident Donald Trump auftritt.

Statistiken der NOAA zeigen einen Zusammenhang zwischen wärmerer Wasseroberfläche und Häufigkeit von Hurrikanen der Kategorie 4 bis 5, die höchste Stufe. Falls dies vom Klimawandel mit verursacht wird, halten die Forscher die doppelte Anzahl Stürme in unserem Jahrhundert für möglich. Neben der Häufigkeit ist auch die Intensität und Dauer wichtig - alles kombiniert könnten Hurrikane in der tropischen Region bis zum Jahr 2100 sogar dreimal so zerstörerisch werden, und zudem mehr Regen mit sich bringen.

Derzeit wütet "Irma" in der Karibik. Der gewaltigste Hurrikan seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ist auf Kurs nach Florida und wird voraussichtlich mit Stärke 4 auf Festland treffen. Seit Miami Beach die ersten Straßen erhöht und Pumpen in Betrieb nahm, hat es keinen solchen Sturm gegeben. Der letzte Hurrikan, der über Florida hinwegzog, war "Katrina" im Jahr 2005. Die Stadt händigt nun jeder Familie bis zu zehn Sandsäcke aus, um ihr Zuhause zu schützen. Die Florida Keys wurden evakuiert, über 80.000 Menschen mussten die Inselgruppe an der südlichen Spitze des Bundesstaates verlassen. Bei "Harvey", der vor wenigen Wochen weiter westlich Louisiana und Texas verwüstete, wurde eine Rekordniederschlagsmenge gemessen.

Steigt das Wasser in den kommenden Jahrzehnten weiter, sagt Projektleiterin Margarita Wells, müssten die Straßen an der Biscayne Bay und anderswo etwa 50 Jahren erneut erhöht werden. Wöchentlich führe sie Interessierte herum und zeige, wie die Stadt sich mit Technik gegen den Untergang wehrt. Miami Beach hat den Klimawandel schon lange als Realität akzeptiert und sieht sich "an der Front". Das Pionierprojekt "Rising Above" soll sie ein Stück verschieben.

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