Fast drei Jahrzehnte haben die beiden zusammen Politik gemacht. Dennoch verzichtet Merkel in ihrer Rede auf jede persönliche Erinnerung – zumindest weitgehend.
Zunächst würdigt sie Schäuble als Europäer. "Es scheint fast wie eine Fügung zu sein, dass es Wolfgang Schäuble ist, der in den vergangenen Jahren als Bundesfinanzminister ganz eng in die großen Fragen der weiteren Entwicklung der Europäischen Union und des Euro eingebunden ist." Schäuble strahle auch in Situationen größter Anspannung und Hektik Ruhe aus. Hinter dieser Ruhe allerdings "flackert eine Leidenschaft für Europa, die ihresgleichen sucht".
Zum Zweiten spricht Merkel über Schäubles "Kampf um die Deutsche Einheit". Ohne den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zu erwähnen, mit dem Schäuble seit dem Jahr 2000 ein Nicht-Verhältnis pflegte, nennt Merkel ihn den "Architekten" der Einheit – sie betont das Wort so, dass es jeder versteht: Kohl war vielleicht der "Vater" der Einheit, Schäuble jedoch war der Mann, der sie gestaltete. Als Bundesinnenminister war er 1990 ganz maßgeblich an der Aushandlung des Einigungsvertrages beteiligt.
Ausdrücklich lobt Merkel Schäubles Einsatz für den Umzug des Bundestages nach Berlin. Einige Jahre nach dem entsprechenden Beschluss habe Schäuble gesagt, es wäre besser gewesen, wenn das Parlament sofort nach Berlin umgezogen wäre. "Dann hätten die Brüche, die unsere ostdeutschen Landsleute aushalten mussten, auch wir aushalten müssen", zitiert Merkel den Minister. "Vielleicht hätte das den Prozess der Überwindung der Teilung beschleunigt." Dieses Zitat zeige, dass Schäuble nicht nur die juristische Teilung überwinden wollte, sondern auch die emotionale Teilung des Landes.
"Nicht immer einer Meinung, aber ..."
Der dritte Punkt in Merkels Rede ist Schäubles Wirken als Abgeordneter. 45 Jahre sei Schäuble bislang im Bundestag, "das ist schon beeindruckend", so die Kanzlerin. "Wolfgang Schäuble weiß ganz genau um das Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit jedes Abgeordneten und der Notwendigkeit verlässlicher und stabiler Mehrheiten." Schäuble habe sich in diesem Spannungsverhältnis nicht immer Sympathien erworben, aber jedes Mal Respekt. Schäuble habe "das notwendige Feingefühl für die Sorgen, Nöte und Zwänge eines Abgeordneten", aber auch "die notwendige Härte, die es eben auch in einem Führungsamt braucht".
Erst ganz zum Schluss, als sie über "den Menschen Wolfgang Schäuble" spricht, wartet Merkel mit einer persönlichen Note auf. "Als Ihre Generalsekretärin durfte ich erfahren, was es heißt, auch in schwierigen Situationen und in Phasen von spürbaren Meinungsunterschieden getragen zu sein von einer mehr als professionellen, einer immer sehr, sehr guten Zusammenarbeit." Sie spielt damit auf das durchaus nicht unkomplizierte Verhältnis der beiden an: Als Merkel sich im Dezember 1999 öffentlich von Kohl distanzierte, war das auch ein Affront gegen Schäuble, der damals Parteichef war; ein Amt, das er kurz danach an Merkel übergab. Und als Schäuble 2004 Bundespräsident werden wollte, blockierte Merkel das.
Und doch blieb Schäuble loyal. In der Flüchtlingskrise gab es vor allem in der CSU einige, die ihn zum Kanzler machen und Merkel stürzen wollten. Schäuble wollte das nicht, auch wenn er nicht mit jeder Entscheidung Merkels zufrieden war. An all dies denkt Merkel möglicherweise, als von einem Plakat zur Europawahl aus dem Jahr 1999 erzählt, auf dem gestanden habe: "Nicht immer einer Meinung, aber immer auf einem gemeinsamen Weg". Merkel fügt strahlend hinzu: "Dafür danke ich von Herzen." Als Geschenk der CDU bringt Merkel Schäuble eine 17-bändige Gesamtausgabe des Werkes des Theologen Dietrich Bonhoeffer mit, der 1945 im Konzentrationslager von den Nazis ermordet wurde.
Über die Zukunft spricht Merkel nicht – die Regeln des politischen Geschäfts erlauben ihr nicht, ihrem Finanzminister eine Arbeitsplatzgarantie auszusprechen. Pünktlich zu Schäubles Geburtstag hat die FDP Anspruch auf seinen Job angemeldet, im Zweifel müsste Merkel dem nachgeben. Welches Amt könnte Schäuble dann bekleiden? Würde er sich mit weniger zufrieden geben oder lieber seine politische Karriere beenden? Auf solche Fragen hat er bislang nicht geantwortet. Immerhin: Genug Lesestoff für die Umgewöhnung hätte Schäuble jetzt.
Quelle: n-tv.de
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