An Trittin führt kein Weg vorbei

  13 Oktober 2017    Gelesen: 617
An Trittin führt kein Weg vorbei
Jürgen Trittin wirkt kurz vor den Sondierungsgesprächen wieder wie eine zentrale Figur der Grünen. Tatsächlich war er in seinem linken Flügel nie wirklich abgemeldet. Gefährdet er die Jamaika-Koalition?


Als der Balken der Grünen die neun Prozentmarke durchbricht, gibt es einen Aufschrei in der alten Berliner Kindl-Brauerei. Leute reißen ihre Arme in die Luft, einige Ballen ihre Faust. Jürgen Trittin fällt in diesem Moment auf. Nicht nur, weil er mit seinen 1,96 Meter aus der Menge herausragt. Trittin steht regungslos in einer der hinteren Reihen, während der Rest des Saals jubelt. Er zieht, während er auf die erste Prognose des Wahlabends starrt, nur nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

Was das jetzt bedeute? Erstmal abwarten, bis sich die Werte stabilisieren, sagt Trittin. "Ich kommentiere keine Prognosen." Ein wenig später fügt er einen Satz hinzu, der zwar das Offensichtliche beschreibt, aber doch nichts über ihn selbst preisgibt: "Die Stimmung hier ist doch gut."

Die Grünen feiern auf ihrer Wahlparty einen Erfolg. Doch genau genommen schneiden sie kaum besser ab als 2013. Am Ende sind es 0,5 Prozentpunkte mehr. Der einzige echte, aber entscheidende Unterschied: Damals kamen die Grünen mit Blick auf die Umfragen von oben, dieses Mal von unten.

2013 war Trittin Spitzenkandidat der Ökopartei, und er wurde als Grund für eine bittere Wahlniederlage aus der ersten Reihe der Grünen verdrängt. Ist das Ergebnis jetzt nicht auch ein Mandat für ihn, wieder eine größere Rolle zu spielen? Und wenn ja, welche?

Als die SPD wenig später erklärt, in die Opposition zu gehen, erscheint nur noch ein Jamaika-Bündnis als realistische Option für eine neue Bundesregierung. Trittin hat sich stets für linke Bündnisse eingesetzt. Lieber Rot-Rot-Grün als Schwarz-Grün, so sah er es schon 2013. Und jetzt? Wird er zu dem Grünen, der Jamaika verhindert?

Von wegen keine Rolle in den Koalitionsverhandlungen


Am Tag nach der Wahlparty bewerten die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir das Ergebnis - und etwas Kurioses passiert. Die letzten 15 Minuten drehen sich vor allem um einen Mann: Jürgen Trittin. Ob der auf jeden Fall im Team für die Sondierungsgespräche dabei sein wird, wollen die Journalisten wissen. Göring-Eckardt und Özdemir weichen aus, behaupten, dass Team stehe noch nicht. Wer dabei ist, hänge auch von der Größe der anderen Delegationen ab. Auch die Frage, ob Göring-Eckardt es bereue, vor der Wahl gesagt zu haben, dass Trittin auf keinen Fall Teil des Teams sein solle, fällt. Das hätte sie so ja nie gesagt, behauptet Göring-Eckardt. Doch die "Rheinische Post" hatte sie im August mit dem Satz zitiert: "Herr Trittin wird in möglichen Koalitionsverhandlungen keine Rolle spielen."

Es ist ein offenes Geheimnis: Einige Grüne vom Realo-Flügel, zu dem auch Göring-Eckardt und Özdemir gehören, würden sich wünschen, dass sich Trittin zurückhält. Der Linke gilt ihnen als potenzieller Blockierer einer grünen Regierungsbeteiligung.

"Es fällt mir schwer, mir ein Bünd­nis vor­zu­stel­len"

Ein Tag nach dem Auftritt in der Bundespressekonferenz erscheint eine Sonderausgabe des "Spiegel". Darin ein Interview. Nicht von Göring-Eckardt oder Özdemir, sondern von Trittin. "Die FDP müss­te so­zia­ler, die CSU li­be­ra­ler und die CDU öko­lo­gi­scher wer­den. Eine sol­che Re­gie­rung muss ein Ge­gen­ent­wurf zum Rechts­po­pu­lis­mus sein", antwortet der Parteilinke auf die Frage, unter welchen Bedingungen Jamaika möglich wäre. "Es fällt mir schwer, mir ein Bünd­nis vor­zu­stel­len, in dem wir mit der CSU und der FDP ge­mein­sam an ei­nem Ziel ar­bei­ten."

Trittin bleibt auch in den folgenden Tagen im Rampenlicht. Er ist zum Beispiel bei Radio Eins zu hören, im ZDF-"Morgenmagazin" und er gibt der "Stuttgarter Zeitung" ein Interview, in dem er von Kräften in der Union spricht, die ein Bündnis scheitern lassen wollten. Aus der Debatte über Jamaika, ist er nicht mehr wegzudenken.

Ein scheißhartes Geschäft

Beim kleinen Parteitag der Grünen in Berlin am Samstag nach der Wahl passiert wieder etwas Kurioses: Der grüne Nachwuchsstar Robert Habeck aus Schleswig-Holstein nennt die Politik ein "scheißhartes Geschäft". Dann erinnert er daran, wie unerbittlich die Partei bei einem fast identischen Ergebnis vor vier Jahren das Spitzenpersonal abgesägt hat und fügt hinzu: "Mir tut leid, dass wir mit euch damals so hart umgegangen sind." Jeder im Saal weiß: Gemeint ist damit auch, wenn nicht sogar vor allem, Jürgen Trittin. Auf dem Parteitag wird das Sondierungsteam bestimmt. Trittin ist mit dabei.

Als sich die Union auf ihren Obergrenzen-Kompromiss einigt, ist Trittin wieder da - dieses Mal in den "Tagesthemen" der ARD. Im materiellen Gehalt der Einigung von CDU und CSU erkennt er einen "diametralen Widerspruch" zu grüner Politik. Nachdem Trittin mehrere Knackpunkte einer möglichen Koalition aufzählt, fragt Moderator Ingo Zamperoni, ob er persönlich Jamaika überhaupt wolle. Trittin: "Als Mitglied der Verhandlungskommission trete ich an, diesen Weg ernsthaft zu sondieren. Ich sondiere ihn allerdings ergebnisoffen."

"Jürgen ist ein viel größerer Teamspieler, als es viele glauben.“

Eines ist nach diesen Tagen, die auf die Wahl folgten, deutlicher denn je: Auch im Jahr 2017 führt bei den Grünen kein Weg an Trittin vorbei. Er ist ein Strippenzieher ohne richtiges Amt. Diese Rolle ist nicht zu unterschätzen. Bei den Grünen gilt: Nach den Sondierungen müssen die Delegierten Koalitionsverhandlungen auf einem Parteitag zustimmen. Das Sondierungsteam muss sie glaubhaft davon überzeugen, dass dies der richtige Schritt ist. Gelingt es dann, einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten, müssen die Mitglieder in einer Urwahl ihr Okay geben.

Wer sich in Trittins linkem Flügel umhört, erfährt allerdings, dass viele das Bild, das von ihm in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, für falsch halten. Ein Vertreter aus der Bundestagsfraktion sagt, dass er zwar immer eine "Riesen-Reputation" im Flügel gehabt habe und diese auch immer noch hat. Abgesehen von einem kurzweiligen, frustbasierten Dämpfer nach der Wahl 2013. Der Parteilinke, der nicht namentlich genannt werden will, sagt aber auch, dass bei allem Einfluss Trittin keinesfalls derjenige wäre, der eine Koalition im Alleingang sprengen würde. "Jürgen ist ein viel größerer Teamspieler, als es viele glauben."

Das Fraktionsmitglied pocht darauf, dass sich der Flügel erstens ohnehin mit Autoritäten schwertue, zweitens mit Claudia Roth auch eine weitere Grüne der alten Garde im Sondierungsteam sitze und drittens mittlerweile Anton Hofreiter klar die Führungsrolle übernommen hätte. Der linke Flügel - er macht exakt die Hälfte des Sondierungsteams aus - werde sich nicht spalten lassen, versichert das Mitglied der Bundestagsfraktion.

Ähnlich klingt das bei einem Vertreter des Realo-Flügels. Auch der attestiert Trittin weiterhin großen Einfluss auf den linken Flügel – vor allem aufgrund seiner Erfahrung. Doch auch er glaubt nicht, dass er im Alleingang die Koalitionsverhandlungen sprengen könnte. Der Abgeordnete deutet sogar eine entgegengesetzte Lesart an. Vielleicht, so lässt sich diese zusammenfassen, ist Trittin angesichts seines Renommees bitter nötig, um den linken Flügel in eine Koalition mit CDU, CSU und FDP zu führen. Auch bei den linken Grünen ist der Wille da, es diesmal zu schaffen. Aber die Verhandlungen dürften hart werden und vielleicht manch eine Erwartung, was den Koalitionspartnern in spe abzutrotzen sein könnte, enttäuscht werden.

Quelle: n-tv.de

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