Machtpolitik auf syrischem Flickenteppich

  22 Januar 2018    Gelesen: 825
Machtpolitik auf syrischem Flickenteppich

Türkische Truppen gehen mit syrischen Verbündeten militärisch gegen die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) vor. Russlands Präsident Putin lässt seinen türkischen Kollegen Erdogan gewähren. Die USA stehen ihren Verbündeten nicht bei.

 

Deutlicher kann eine Supermacht ihre Macht- und Ratlosigkeit nicht demonstrieren. Verhalten reagiert die US-Regierung auf die türkische Offensive gegen die von ihr bislang unterstützten kurdischen Milizen in Nordsyrien. Außenminister Rex Tillerson bleibt nur, sich besorgt über die Folgen der "Operation Olivenzweig" bezüglich ziviler Opfer zu äußern.

Die Nato-Hauptmacht, die die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) als wichtigen Verbündeten im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sieht, lässt das Nato-Mitglied Türkei gewähren. Präsident Recep Tayyip Erdogan, für den die YPG-Truppen schlichtweg Terroristen sind, solle die Militäraktionen "zurückhaltend ausüben", äußert Tillerson nach Telefonaten mit seinen Amtskollegen aus Russland und der Türkei, Sergej Lawrow und Mevlüt Cavusoglu.

Es ist ein Angriff mit Ansage. Ankara macht mit dem Einmarsch in die nordsyrische Provinz Afrin seine Warnung wahr, seine Grenze in dieser Region mittels einer 30 Kilometer breiten Pufferzone zu sichern. "Wir werden sie jagen und, so Gott will, diese Operation sehr schnell abschließen", so Erdogan martialisch. Und er kann sich sicher sein, denn Russland, das eigentlich den nordsyrischen Luftraum westlich des Euphrats beherrscht, lässt die Türken gewähren und die mit ihr verbündeten Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen die YPG, die Ableger der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei PKK sind, vorgehen.

Putins zynisches Spiel

So wird die Lage in Syrien, das ohnehin bereits einem Flickenteppich gleicht, noch verworrener. Wladimir Putin, der mit seinem Eingreifen in den dortigen Bürgerkrieg dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad das Amt rettete, schafft Fakten, die auch im russischen Interesse liegen. Indem er die Kurden in der Region Afrin zum Abschuss freigibt, trägt er zur Vergrößerung der Spannungen zwischen den USA und der Türkei bei. Andererseits kann Putin die türkische Offensive bei Sperrung des Luftraums jederzeit unterbinden.

Erst einmal zieht Russland seine Militärberater und Truppen aus der Region Afrin zurück. Zudem gibt man sich in Moskau besorgt über den türkischen Einsatz gegen die Kurden. Das Vorgehen könne den sehr fragilen Friedensprozess für Syrien deutlich gefährden, sagt der russische Außenpolitiker und Dumaabgeordnete Konstantin Kossatschow.

Diese Aufregung ist nur gespielt, denn der Kremlchef blickt bereits weiter. Putin will seinem Vasallen Assad, auf dessen Seite schiitische Hisbollah- und iranische Einheiten kämpfen, in der umkämpften Provinz Idlib zu weiteren Erfolgen verhelfen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die von Erdogan unterstützten FSA- und islamistische Einheiten von dort zum Kampf gegen die YPG-Einheiten nach Afrin verlegt werden. Es tut sich der Verdacht eines üblen Gebietsschachers zwischen Moskau und Ankara auf Kosten der Kurden auf, bei dem Washington und die Europäer nur zuschauen können. Die Warnung von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vor "unkalkulierbaren Risiken" wird in der Türkei ungehört verhallen.   

US-Präsident Donald Trump muss nun zur Kenntnis nehmen, dass er in Syrien allenfalls die zweite Geige spielt. Geschickt treibt Putin einen Keil zwischen Washington und seinen wichtigen Nato-Partner Türkei. So erweitert Russland seinen Einfluss in Syrien bis an die Südostflanke des Nordatlantikpakts heran. Die Trump-Administration behilft sich verbal, indem sie über das Pentagon verlauten lässt, dass das Gebiet Afrin für ihren Kampf gegen den IS nicht oberste Priorität besitze. Das ist ein klarer Freibrief für die Türkei, dieses Gebiet in ihrem Sinne zu "säubern", garniert natürlich mit Bedenken und Appellen.

Eigentlich braucht Erdogan diesen Freibrief nicht, denn Trump selbst gibt die führende Rolle seines Landes in der Weltpolitik mehr und mehr auf. Im ersten Jahr seiner Präsidentschaft hat er - was Syrien angeht - Putin das Schlachtfeld überlassen. Ganz im Sinne des russischen Präsidenten ist die Tatsache, dass Washington nun endgültig den Verbleib Assads als wichtigen Machtfaktor in Syrien zur Kenntnis genommen hat.

USA in der Zwickmühle

Betroffen vom türkischen Vorgehen gegen die Kurden ist auch die russisch-syrisch-iranische Allianz. Putin ist Realist genug, diese Kröte zu schlucken. Denn Erdogan wird wohl bei seinem Vorgehen gegen die Kurden - trotz aller dortigen Besorgnis - auf keinen Widerstand der Machthaber in Teheran treffen. Voraussetzung ist allerdings, dass er die Assad-Truppen nicht angreift. Auch der Iran ist an keinem eigenen übergreifenden kurdischen Staat, der den Norden von Syrien und Irak umfasst, interessiert, leben doch auch in der schiitischen Hauptmacht im Westteil viele Kurden, die in einigen Gebieten sogar die Bevölkerungsmehrheit bilden. Der Iran nimmt dafür sogar einen Machtzuwachs des regionalen sunnitischen Konkurrenten Türkei in Kauf.

Die USA sind zweifellos in der Zwickmühle. Ein Bruch mit der Türkei ist für Washington keine Option, spielt man doch damit Putin und seinen Plänen in dieser politisch fragilen Region in die Hand. Zudem ist die Türkei aufgrund ihrer geografischen Lage für die Nato unentbehrlich. Würde diese Bastion fallen, dann würde das schwache Griechenland die Südostflanke des Militärbündnisses bilden. Auch in diesem Zusammenhang muss die beschwichtigende Verlautbarung aus dem Pentagon verstanden werden.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Türkei einen basisdemokratisch organisierten Kurdenstaat an ihrer Hunderte Kilometer langen Grenze zu Syrien auch östlich des Euphrats dulden wird. In dieser Hinsicht decken sich ihre Interessen mit denen der Regierungen des Irak und des Iran. So werden die Kurden, die im Kampf gegen die IS-Mörderbanden einen großen Beitrag geleistet haben, wahrscheinlich zwischen den Groß- und Regionalmächten zerrieben.

Quelle : n-tv.de


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