Dieser Gedanke ist nur auf den ersten Blick paradox. Denn es gibt durchaus überzeugende Argumente dafür. Allen voran die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, dessen Perspektiven ziemlich betrüblich für die Menschheit sind.
Angesichts des andauernden Wachstums der Arbeitslosigkeit in den Ländern der sogenannten „goldenen Milliarde“ erscheinen dort immer neue Berichte, Bücher und Forschungsarbeiten, in denen die These vorangebracht wird, dass ein aufgeklärter Mensch überhaupt keinen Job braucht. Im Viktorianischen Zeitalter sei es angesehen und lukrativ gewesen, viel zu arbeiten. Jetzt aber sei das gar nicht mehr so.
Als Beispiel ist das Buch „The Refusal of Work“ („Die Verweigerung der Arbeit“) des jungen britischen Soziologen David Frayne erwähnenswert. Die Philosophin Elizabeth Anderson nannte ihre Studie etwas komplizierter: „Private Government: How Employers Rule Our Lives (and Why We Don't Talk about It)“ („Private Regierung: Wie Arbeitgeber unser Leben bestimmen (und warum wir darüber nicht sprechen)“). Und die jüngste Forschung des Historikers James Livingston trägt den Titel „No More Work: Why Full Employment Is a Bad Idea“ („Keine Arbeit mehr: Warum Vollzeitbeschäftigung eine schlechte Idee ist“).
In der modernen Philosophie ist inzwischen ein neuer Trend entstanden – ein „Anti-Work“-Trend. Seine Verfechter beginnen ihre Berichte mit der Kritik am modernen Arbeitsmarkt und dessen „Unfairness“ und stellen am Ende fest: Wenn der Job heutzutage so schlecht und ungünstig ist, dann sollte man lieber auf die Arbeit überhaupt verzichten, weil es altmodisch, unkreativ und sinnlos ist, zu arbeiten. Denn alle Jobs werden sowieso bald nur noch Roboter erledigen.
Die Kritik der modernen „Anti-Arbeits“-Philosophen an der aktuellen Realität ist durchaus begründet und überzeugend. Unter Berufung auf allgemein zugängliche Statistiken beweisen sie, dass der Arbeitsmarkt schreckliche Zeiten erlebe. Als Arbeitnehmer könne man kaum überleben geschweige denn gedeihen.
Die Kluft zwischen den Einkommen der Menschen wird im Westen immer tiefer, und die Wohnungsmieten steigen unausgesetzt. Das Durchschnittsgehalt ist lange nicht mehr ausreichend, um einen Hypothekarkredit zu nehmen. Der gleichzeitige Anstieg der Lebensmittelpreise und Kommunaltarife führt dazu, dass man das ganze Geld nur dafür ausgibt.
So traurig ist die Situation nicht nur für Proletarier: Selbst wenn man ein Universitätsdiplom hat, kann man nicht automatisch mit einem angesehenen Job und einem hohen Gehalt rechnen. 2017 mussten fast 50 Prozent aller britischen Universitätsabsolventen auf Positionen arbeiten, die „nicht für Menschen mit Universitätsausbildung bestimmt“ waren. Wenn man das Kind beim Namen nennt, arbeiteten sie beispielsweise bei Starbucks usw. oder in Call-Zentren für minimale Stundenlöhne.
Während die Zahl von Arbeitsstellen, auf denen man garantiert einen langen Urlaub und ein ordentliches Sozialpaket hat, immer geringer wird, gibt es immer mehr Jobs, die man aus der Ferne oder als Nebenjob erledigen kann. Das macht aber den Arbeitsmarkt noch instabiler: Denn man bekommt keinen festen Lohn oder kein festes Gehalt, sondern nur Honorare, die gar nicht garantiert sind. „Prekariat“ – das ist der neue Begriff für die Menschen, die nur mit Gelegenheitsarbeit rechnen dürfen. Der Begriff selbst mag zwar schön klingen, bedeutet aber das Gegenteil.
Um den Job nicht zu verlieren und nicht Teil des „Prekariats“ zu werden, müssen die Menschen enorm viel arbeiten und sogar Angst haben, sich einmal krank zu melden. Der permanente Stress macht sie aber erst wirklich krank. Der Job bringt mittlerweile auch keine moralische Genugtuung: Die Menschen hassen oft ihre Arbeit. Der britische Anthropologe David Graeber verglich die aktuelle Situation sogar mit dem Beschäftigungsmodell in der späten Sowjetunion.
Manager und Fachhändler, Stylisten und Psychotherapeuten, Coaches und Finanzberater, Ernährungsexperten und PR-Leute – auf diese Jobs entfallen aktuell etwa drei Viertel aller Arbeitsangebote in den USA. Graeber vergleicht das Überangebot solcher Stellen mit der vollen Beschäftigung in den letzten Jahren der Sowjetunion, wo Arbeitsplätze nur zu dem Zweck geschaffen wurden, dass es offiziell keine Arbeitslosigkeit gibt.
Wenn Forscher über eine Zukunft erzählen, in der Milliarden von Arbeitslosen ihre Nichtstuerei genießen, entsteht ein absolut verworrenes Bild: Denn renommierte Wissenschaftler behaupten, die Menschen würden dann mehr Zeit haben, um diese mit ihren Familien zu verbringen, Sport zu treiben und generell ein gesundes Leben zu führen.
Dabei erläutert niemand von den „Anti-Job“-Theoretikern, wo diese glücklichen Arbeitslosen das Geld hernehmen sollten, um die Miete zu bezahlen oder wenigstens Lebensmittel zu kaufen, sich eventuell in Polikliniken oder Krankenhäusern behandeln zu lassen usw.
Alternativen zum Aussterben wären die totale staatliche Kontrolle über die Horden von elenden Menschen und eine schreckliche Ko-Existenz. Eine ungefähre Tagesordnung dafür schilderte die Professorin Helen Hester von der University West London, eine weitere Verfechterin der arbeitslosen Gesellschaft, in einem Interview: Jeden Morgen würde ein Arbeitsloser seine Portion vom UBI („universales Basiseinkommen“, in Deutschland bekannt als BGE, „bedingungsloses Grundeinkommen“) bekommen, dann den Zeitplan von öffentlichen Veranstaltungen in der Umgebung (ein Fußballspiel von Amateurmannschaften, ein Treffen eines Arbeitskreises usw.) kennenlernen und schließlich in eine Werkstatt gehen und dort arbeiten. „Ohne Job würden wir unbedingt etwas für uns selbst herstellen, beispielsweise die Kleidung schneidern“, so Hester laut VZ.
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