Wenn man Jan Weiler heißt und mit "Maria, ihm schmeckt's nicht" ein sehr erfolgreiches Romandebüt, das ein Bestseller wurde, geliefert hat, sind die Erwartungen an die nächsten Werke sehr groß. Manch einer zerbricht daran, andere wachsen mit der Herausforderung und legen noch eine Schippe drauf. Weiler gehört zu Letzteren.
Mit "Kühn hat Ärger" taucht er nicht in die Vergangenheit italienischer Gastarbeiter ein, sondern hält der Gegenwart den Spiegel vor: In München spielt sein neuestes Werk. Titelgebend ist gleichnamige Hauptkommissar, der zu Beginn aber nur sporadisch auftaucht. Zunächst steht Amir im Mittelpunkt, ein in Deutschland geborener Sohn libanesischer Eltern, wohnhaft in Neu-Perlach, Münchner Brennpunkt. Und so sieht auch sein bisheriges Leben aus: Diebstähle, Schlägereien, das Aufbegehren gegen die Staatsmacht in einem Land, deren Gesetze er nicht verstehen will. Ein Gefängnisaufenthalt scheint vorbestimmt und unausweichlich.
Aber da trifft Amir Julia, Tochter aus sehr gutem Haus. Es ist bei beiden Liebe auf den ersten Blick. Amir blüht auf. Er kehrt der Kriminalität den Rücken und. Sein Leben ist plötzlich lebenswert - durch Julia und ihrer gesamte Familie. Bruder Florin und die Eltern zeigen ihm, dass Deutschland auch eine herzliche Seite hat. Alles nur Schein?
Dann ist Amir plötzlich tot. Brutal erschlagen. An einer Straßenbahn-Haltestelle. Nun ist Kühn am Zug. Er ermittelt und hat doch genug eigene Probleme: Eine Ehe, die kriselt; er ist fremd gegangen mit einer Arbeitskollegin (inklusive "schön, schön, schööön"-Gestöhne von ihr beim Orgasmus, der Kühn dazu bringt, über Ex-Bundestrainer Helmut Schön zu sinnieren); ein neues Haus, das wohl abbruchreif ist und einen Bürgerverein voller Nazis, die ihm tierisch auf den Sack gehen. Und als wäre das nicht genug, hat der Amtsarzt auch noch "etwas" an seiner Prostata gefunden, Zweitmeinung dringend erwünscht.
Das ist die Gemengelage in Weilers neuem Buch. Das Hörbuch (Der Hörverlag) liest Weiler selbst. Gekonnt, als hätte er nie etwas anderes gemacht. "Kühn hat Ärger" ist brillant. Es ist eine Momentaufnahme der deutschen Gegenwart: Willkommenskultur, rechte Populisten, soziale Brennpunkte, abgehängtes Prekariat und abgehobene Gutmenschen. Und am Ende die Gewissheit des Zuhörers, dass jede Medaille zwei Seiten hat, dass Kommunikation viele Probleme löst – sowohl in der Gesellschaft als auch privat.
"Das rote Kleid", ungekürzt 5:01 Stunden
Auch "Das rote Kleid" ist in der Hörbuch-Version (Der Hörverlag) vom Autor selbst gelesen: von Guido Maria Kretschmer, Deutschlands derzeit wohl sympathischstem und beliebtestem Modedesigner. Das Buch ist ein Roman, dazu ein wirklich guter. Er handelt von einem roten Kleid aus Seide namens Anascha, das in der Garderobe eines Filmsets hängt und dort sehnsüchtig auf seinen großen Auftritt wartet.
Mit ihr hängen viele weitere Kleidungsstücke dort und nahezu jedes hat eine erzählenswerte, interessante Vergangenheit. Geschichten, die Anascha das Warten verkürzen helfen, die ihr zeigen, was das Leben als Kleidungsstück so zu bieten hat. Es gibt Stars, Sternchen und "Arbeitstiere". Eric gehört etwa zu Letzteren. Er ist ein in die Jahre gekommener Mantel. Aber es gibt eben auch Lulu, ein Revuekleid aus Las Vegas.
Die kleinen Geschichten, liebevoll vorgetragen von Kretschmer, sind berührend, herzzerreißend, lustig, traurig, kurzweilig. Und wie bei Weilers "Kühn hat Ärger" verleiht das Lesen durch den Autor selbst dem Werk noch eine viel persönlichere Note. Die wird kongenial ergänzt von den "Thalbach-Frauen" mit ihren bekannten, weil markanten Stimmen. Vor allem das "Kratzige" von Katharina Thalbach passt perfekt zur eher weichen Kretschmer-Stimme. "Das rote Kleid" zeigt, dass Kretschmer ein künstlerischer Tausendsassa ist, der selbst Hörbüchern Flair verleiht.
"Hologrammatica", ungekürzt 16:33 Stunden
Flair sucht man bei "Hologrammatica" von Tom Hillenbrand vergeblich. Das ist nichts Negatives. Im Gegenteil: Das in der Zukunft spielende neue Werk des Bestsellerautors punktet vielmehr mit ungeheurer Spannung, Thrill und einem gewagten Blick in die Zukunft der Menschheit. Radikal reißt Hillenbrand Denkgrenzen ein und eröffnet so eine völlig neue Perspektive, die bei so manchen Zuhörer Zukunftsangst oder zumindest ein mulmiges Gefühlt auslösen dürfte.
Seit Jahren spricht die deutsche Politik von Digitalisierung, passiert ist herzlich wenig. "Hologrammatica" blickt in die Gesellschaft am Ende des 21. Jahrhunderts, eine Zukunft, die nur von einem Thema bestimmt ist: künstliche Intelligenz.
Der Held des neuen Hillenbrand-Thrillers hört auf den Namen Galahad Singh und ist ein Quästor. Deren Job besteht darin, verschwundene Personen wiederzufinden. Die Arbeit ist lukrativ, denn die Völkerwanderung - ausgelöst durch den Klimawandel - ist in vollem Gang. Neue Techniken haben sich Bahn gebrochen: Holonet und Mind Uploading machen Identitätswechsel nicht nur möglich, sie sind Alltag wie heute das tägliche Wechseln der Unterhose.
Singhs neuer Job: Juliette Perotte finden, eine Computerspezialistin mit ungeahnten Fähigkeiten. Sie entwickelt Verschlüsselungen für sogenannte Cogits - digitale Gehirne, mit deren Hilfe man sich in andere Körper hochladen kann.
Singh macht sich an die Arbeit - er selbst. Andere Quästoren suchen oft nur digital, er bevorzugt die "Old School"-Detektivvariante. Er reist herum, befragt Menschen und kommt so dahinter, dass Perotte wohl von einem Programmierer gekidnappt wurde. Aber steckt hinter alldem eigentlich ein Mensch?
Der Science-Fiction-Thriller "Hologrammatica" ist als Hörbuch (Lübbe Audio) eine absolute Wucht. Wer heute von sich behauptet, ein Techniknerd zu sein, den belehrt Hillenbrand eines Besseren. Seine Vision von der gar nicht mehr allzu fernen Zukunft bleibt in den Köpfen hängen, arbeitet dort weiter. Die kraftvolle und äußerst wandelbare Stimme von Oliver Siebeck (Schauspieler und Synchronsprecher von Mark Strong und Ray Stevenson), der das Hörbuch liest, frisst sich in die Gehirnwindungen. Man stellt sich unweigerlich die Frage: Ist "Hologrammatica" verfilmbar? Wenn, dann kann es nur eine Gemeinschaftsproduktion von George Lucas und James Cameron sein, aber selbst die läge wohl noch Jahrzehnte in den Sternen.
"Ich bin der Hass", gekürzte Fassung 7:21 Stunden
Absolut filmreif ist auch die "Shepherd"-Reihe des Thriller-Bestsellerautoren Ethan Cross. Sein neues Werk daraus heißt "Ich bin der Hass" und funktioniert auch ohne dass man die zuvor erschienen Bücher gelesen oder gehört hat. Das Besondere der Reihe: Ein Ex-Polizist und jetziger Special Agent (Marcus Williams) arbeitet mit einem Serienkiller (Francis Ackerman jr.) zusammen, um noch perfidere Verbrecher zu fangen, tot oder lebendig.
Während sich Williams und Ackerman in "Ich bin die Nacht" das erste Mal über den Weg laufen, unwissend, dass sie den gleichen Vater haben, lässt Cross sie in den weiteren Büchern "Ich bin die Angst", "Ich bin der Schmerz" und "Ich bin der Zorn" immer näher zusammenrücken. Sie lernen sich kennen und verstehen. Sie hatten das Pech, einen Serienmörder als Vater zu haben, der zudem erst an Francis, später dann auch an Marcus herumexperimentiert hat, ihnen die Angst austreiben wollte.
Mittlerweile arbeiten beide für die "Shepherd"-Organisation, eine geheime Verbindung, die, von der US-Politik gedeckt, Jagd auf Serienkiller und Massenmörder macht. Werden sie lebendig gefasst, landen sie in einem abgeriegelten Hochsicherheitsgefängnis, von dessen Existenz kaum einer weiß. Tot ist aber auch okay. Und daran stößt sich Marcus noch in den ersten Fällen. Francis kennt diese Art von moralischen Gewissensbissen nicht. Für ihn ist Waterboarding Kindergeburtstag. Francis kennt keine Tabus. Bei "Shepherd" sind sie deshalb auf der Hut, aber Marcus vertraut seinem Bruder mittlerweile blind.
Auch diesmal geht es Daum darum, einen besonders skrupellosen Bösewicht zu schnappen. Seine Opfer sind junge Frauen, die er kidnappt, quält und missbraucht. Sein Ziel: mit seinen Genen eine neue, bessere, menschliche Rasse zu schaffen. Tja, die Welt ist böse!
Die "Shepherd"-Reihe von Ethan Cross ist es auch. Wer Krimis á la "Tatort" oder "Wallander" mag, sollte sie links liegen lassen. Wer dagegen eher auf Arne Dahl oder "Criminal Minds" abfährt, dem könnten auch die Cross-Bücher gefallen. Im Hörbuchgewand (Lübbe Audio) werden sie von Thomas Balou Martin gelesen und kommen dank seiner markanten Stimme ebenso eindrucksvoll daher. Das Gefühl, das "Ich bin der Hass" in der Magengegend hervorruft, ist zugegebenermaßen kein gutes. Aber das ist beabsichtigt und auch wiederum gut so.
Quelle : n-tv.de
Tags: