Russischer Botschafter in Bern: Skripal-Kampagne „von langer Hand geplant“

  11 April 2018    Gelesen: 1348
Russischer Botschafter in Bern: Skripal-Kampagne „von langer Hand geplant“

Moskau ist bereit, aus der aktuellen Eskalationsspirale im Verhältnis zum Westen auszusteigen. „Wir sind bereit“, hat der russische Botschafter in der Schweiz, Sergej Garmonin, im Interview erklärt und hinzugefügt: „It takes two to tango.“ Er spricht mit Blick auf den Fall Skripal von einer von langer Hand geplanten Kampagne gegen Russland.

„Kein vernünftiger Mensch hätte sich diese Eskalation vorstellen können.“ Das erklärte der russische Botschafter in der Schweiz, Sergej Garmonin, in einem Interview mit der Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“. „Die von London und Washington ausgelöste Desinformationskampagne ist unvorstellbar.“ Es handele sich um eine „von langer Hand geplante Kampagne“, wie die Kette der Ereignisse im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter zeige, so der Diplomat. „Sie brauchten nur einen Anlass.“

Er erinnerte daran, dass Moskau bereits in den ersten Tagen nach dem Vorfall am 4. März über seine Botschaft in London vorschlug, die Sache im Rahmen des Völkerrechts gemeinsam aufzuklären. Das sei aber von den Briten abgelehnt worden, die auch keinen Zugang zu Julia Skripal, einer russischen Staatsbürgerin, ermöglicht hätten. „Das widerspricht der Wiener Konvention von 1963, die den konsularischen Zugang zu Staatsbürgern regelt“, hob der Botschafter hervor.

Er verwies darauf, dass der mutmaßliche Anschlag auf den ausgetauschten Ex-Doppelagenten Skripal Russland nichts nutze. Und fügte hinzu:

„Unter Geheimdiensten gibt es eine unausgesprochene Regel, dass man ausgetauschte Verräter nicht mehr anfasst.“

Garmonin erinnerte ebenso daran, dass Russland im letzten Jahr alle Vorräte an Chemiewaffen unter Aufsicht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vernichtet habe, was von dieser bestätigt worden sei.

Wirksame Kampagne
Mit diesen Feststellungen reagierte Garmonin auf den Hinweis des „Weltwoche“-Redakteurs Wolfgang Koydl, dass der bei dem Anschlag verwendete Giftstoff aus Russland stammen soll. Das zeigt, wie die Kampagne wirkt: London und seine Unterstützer hatten offiziell immer nur davon gesprochen, dass es sich um einen Stoff „eines Typs, wie er von Russland entwickelt wurde“, handele. Diese interessante Differenzierung ging im Medientheater unter. Hängen blieb die angebliche russische Herkunft.

Botschafter Garmonin wandte sich in dem am 5. April erschienenen Interview ebenfalls dagegen, dass in diesem Fall das Rechtsprinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ umgekehrt wird. Russland solle seine Unschuld beweisen, „weil wir die bösen Jungs sind, denen man alle schlimmen Sachen in die Schuhe schiebt“. Er hoffe auf ehrliche Untersuchungen des Vorfalls durch die OPCW-Experten. Diese hätten sich in jüngerer Vergangenheit aber nicht immer an ihre eigenen Regeln gehalten, bedauerte der Diplomat. Das sei unter anderem bei dem angeblichen Chemiewaffeneinsatz im April 2017 in Syrien der Fall gewesen, der von den USA zu einem Angriff mit Marschflugkörpern genutzt wurde.

Interessante Fragen
Russland bestehe darauf, dass eigne Experten im Fall Skripal mit bei Untersuchungen teilnehmen können, so Garmonin. Artikel 9 (2) der internationalen Chemiewaffenkonvention verlange, „dass das Land, auf das ein Verdacht fällt, binnen zehn Tagen informiert und um Aufklärung gebeten werden muss. Der Vorfall in Salisbury ereignete sich am 4. März, aber erst am 14. oder 16. März wurden die Experten der OPCW eingeladen. Sie trafen erst am 19. März ein, fünfzehn Tage nach dem Vorfall. Es wäre interessant, zu wissen, was die britischen Behörden in diesen zwei Wochen gemacht haben.“

Der Botschafter entgegnete auf die Frage, wem der Anschlag nützen könne, dass in London und Großbritannien „häufig russische Emigranten und Agenten oder Briten, die irgendwie mit Russen verwickelt waren“, gestorben seien. Der Vorfall könnte auch der britischen Premierministerin Theresa May helfen, von eigenen politischen Problemen wie dem Brexit abzulenken. Erst auf Nachfrage nach dem „größten Elefanten im Raum“, der aber von allen ignoriert werde, erwähnte der Diplomat die Ukraine als möglichen Nutznießer. Auch auf deren Gebiet wurden in der Zeit der Sowjetunion Nervengift-Kampfstoffe produziert und gelagert.

Überraschende Ausweisung
Garmonin habe die koordinierte Ausweisung russischer Diplomaten aus zahlreichen Ländern nach dem Skripal-Vorfall überrascht, wie er im Interview gestand. „Es handelt sich offensichtlich nicht um spontane, sondern um vorbereitete Schritte. Sie werden genau durchdacht. Davon sprechen meine Kollegen in den USA, in Großbritannien, in Frankreich.“ Außenminister Sergej Lawrow habe festgestellt, es gebe „nur noch wenige unabhängige Länder im modernen Europa“, sagte der Botschafter mit Blick auf die zehn EU-Länder, die keine russischen Diplomaten ausgewiesen haben. Er berichtete:

„Da weist ein Land ein oder zwei Diplomaten aus und flüstert uns gleichzeitig ins Ohr: ‚Tut uns leid, aber wir standen unter ungeheurem Druck.‘ Dieser Druck ist Washingtons wichtigstes Instrument auf der Weltbühne geworden. Lawrow hat noch auf etwas anderes hingewiesen. Die Eliten in diesen Ländern haben nicht die Absicht, auf die Stimme ihrer Bevölkerung zu hören.“

So sei in Deutschland laut Umfragen eine Mehrheit gegen neue antirussische Sanktionen.

Ignorierte Bereitschaft
Die Schweiz hat sich nicht an der Kampagne beteiligt, indem sie Russland keine Schuld zuwies und auch keine Diplomaten auswies. „Sie bleibt eines der wenigen europäischen Länder, die noch souverän und unabhängig sind“, stellte Moskaus Botschafter in Bern dazu gegenüber der „Weltwoche“ fest.

Russland werde sich dem Druck nicht beugen, betonte Garmonin. Er zitierte Lawrows Aussage: „Wir werden diese Unverschämtheiten nicht dulden.“ Und ergänzte: „Wir haben nicht damit angefangen.“ Er hoffe auf die Stimme der Vernunft, um den Streit zu beenden: „Wir sind bereit. Aber wie heißt es in diesem Sprichwort? ‚It takes two to tango.‘“ (deutsch: Es braucht zwei für einen Tango.)

sputniknews


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