Schwermut des Kalten Kriegs

  26 April 2018    Gelesen: 1347
Schwermut des Kalten Kriegs

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat dem schwedischen Fernsehen ein deprimierend stimmendes Interview gegeben: „Der Kalte Krieg ist zurück. Doch… jetzt kontrollieren die USA und Russland nicht alles, wie das damals war…“

Damals hat es laut Guterres Funktionen für den Dialog, die Kontrolle und die Kommunikation gegeben, um zu garantieren, dass beim Risiko einer Konfrontation die Ereignisse nicht außer Kontrolle geraten. „Jetzt gibt es keine solchen Mechanismen“. Guterres gab zu, dass es ein „Strukturproblem gibt – der UN-Sicherheitsrat vertritt heute nicht mehr die Welt. Das Veto wurde zum Instrument, das zu oft genutzt wird… Ohne eine Reform des UN-Sicherheitsrats wird es keine vollständige UN-Reform geben“.

Aus verständlichen Gründen sind wir jetzt in einem Zustand der ständigen Abwehrbereitschaft. Deshalb möchte man mit einer zornigen Tirade über die Unantastbarkeit des Veto-Rechts als Garant des Friedens und der Unantastbarkeit der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs, die die Grundlage des Systems der Vereinten Nationen bilden, beginnen. Aus der Sicht der aktuellen Politik ist das richtig – die Aufrufe zur Einschränkung des Vetorechts haben fast immer einen antirussischen Charakter. Doch der UN-Generalsekretär spricht von einem realen Problem, mit dem man bald etwas tun sollte.

Die Unfähigkeit der Großen Fünf, bei den wichtigsten internationalen Problemen eine Einigung zu erreichen, löst zunehmenden Zorn bei den „globalen Massen“ aus. Aus ihrer Sicht setzten fünf Großmächte für sich ein Privileg (Veto) durch und nutzen es nicht zum Wohle des Friedens und der Entwicklung, sondern zur Klärung der Beziehungen untereinander. Je länger diese Situation anhalten wird, desto größer wird der Druck gegen die Großmächte sein. Er kann natürlich nicht ewig ignoriert werden.

Das bedeutet besondere Herausforderungen für Russland. Erstens wurde das UN-System zum Zeitpunkt des maximalen geopolitischen Einflusses unseres Landes eingerichtet, seine Revision wird auf anderen Grundlagen erfolgen. Zweitens wird die Verantwortung für die Dysfunktion der Uno im modernen Informationsraum, der von führenden westlichen Medien kontrolliert wird, gerade auf Moskau verlegt. Drittens führt der Appell an die internationalen Institutionen und die Forderung nach der Einhaltung der Verfahrensregeln zur Festigung des ungünstigen Hintergrunds. Die Institutionen agieren ebenfalls nicht im Vakuum, sondern in einem bestimmten informationspolitischen Bereich. Sie kommen zu Schlüssen, die Russland nicht passen bzw. verschiedene Deutungen zulassen. Moskau beginnt, die Tätigkeit dieser Strukturen zu kritisieren,  an die es sich gerade gewendet hat. Das macht einen nicht sehr überzeugenden Eindruck – nicht nur auf die Opponenten, sondern auch auf jene, die neutral gestimmt sind.

Die neue Weltordnung ist nichts Abstraktes, sondern praktische Arbeit am Beispiel einer konkreten internationalenKrise.

Da entsteht eine Falle. Die früheren Institutionen funktionieren nicht so, wie das ursprünglich geplant war. Das ist auch verständlich – die Welt hat sich stark verändert, die Bedingungen sind anders. Einfach nach dem alten System zu greifen, hat keinen Sinn. Doch auch seine Revision könnte für Russland zum Rückgang statt Wachstum des Einflusses führen.

Was soll man tun? Der einzige Ausweg ist eine Gruppe von Ländern zu schaffen bzw. zu erweitern, die nicht unbedingt die Positionen Russlands teilen, jedoch die Schädlichkeit einer Welt mit fehlendem Gleichgewicht verstehen. Mit anderen Worten: Bevor man die Frage nach der Änderung des internationalen Systems stellt, sollte man ein Umfeld schaffen, in dem verschiedene Stimmen aktiv vertreten sind, und nicht nur der Westen, der ewig mit Russland streitet, während die anderen sich nicht zu Wort melden.

Der wichtigste Gesprächspartner ist hier China. Einerseits stimmt die offizielle Formel, dass die Beziehungen der zwei Länder nie so gut waren. Doch andererseits erfordert gerade die Qualität dieser Beziehungen den Übergang zu einem komplexeren Zusammenwirken. Bei allgemeinen Fragen der Weltordnung haben wir keine großen Auseinandersetzungen. Doch die allgemeinen Fragen beschränkten sich seit langem auf allgemeine Überlegungen. Heute ist die neue Weltordnung keine Abstraktion, sondern eine praktische tägliche Arbeit, die am Beispiel konkreter internationaler Krisen erfolgt – Naher Osten, Osteuropa, Ostasien… In jedem Fall muss man ein koordiniertes russisch-chinesisches Herangehen finden, obwohl die Interessen der Seiten nicht immer übereinstimmen, was für zwei sehr große Mächte absolut logisch ist.

Der Westen erwartet, dass Russland und China im Konflikt um den Einfluss und den Platz in der Hierarchie unbedingt kollidieren werden, wobei natürlich China gewinnen sollte, da dieses Land wirtschaftlich zweifellos stärker ist. Bislang kommt es aber nicht zu Kollisionen. Doch für den Westen ist das prinzipiell wichtig. Denn wenn man zulässt, dass Russland und China tatsächlich die Interessen und Schritte bei einem breiten Spektrum harmonisieren können, wird dies ein Antrag auf eine qualitativ andere Weltordnung sein, von der jetzt viel gesprochen wird.

Damit das geschieht, sind viel intensivere Kontakte nicht nur auf dem Geschäfts- und politischen, sondern auch auf dem Expertenniveau notwendig. Ihr ständiges Element ist der russisch-chinesische Dialog im Waldai-Klub, der gerade in Shanghai stattfindet – 3. Jahressitzung. Die Wahrnehmung der Weltpolitik bei den Russen und Chinesen ist verschieden. Doch das ist eine Frage der gegenseitigen Ergänzung und nicht Konkurrenz. Zusammen kann man auch die Neuauflage des Kalten Krieges eindämmen, von der UN-Generalsekretär Guterres redet.

Fjodor Lukjanow (Wissenschaftlicher Direktor des Diskussionsklubs Waldai)

sputniknews


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