Bedrohung aus dem Osten – „Aufputschmittel und Klammer“ für Weltmacht EU?

  23 Mai 2018    Gelesen: 986
Bedrohung aus dem Osten – „Aufputschmittel und Klammer“ für Weltmacht EU?

Pesco soll die EU zu einer neuen Qualität in der Rüstungs- und Militärzusammenarbeit führen. Das außenpolitische Journal „WeltTrends“ hinterfragt in seiner neuesten Ausgabe, ob das gelingen kann. Dabei wird deutlich: Das Ziel einer militarisierten EU ist nicht neu – und auch nicht die Rechtfertigung dafür.

„Zur Aufrüstung bedarf es der Feindschaft mit Russland als Conditio sine qua non (deutsch: unabdingbare Voraussetzung – Anm. d Red.).“ Das stellt der Militärökonom Wilfried Schreiber in der aktuellen Ausgabe der Potsdamer Zeitschrift „WeltTrends“ fest. In einem Beitrag beschäftigt er sich mit dem 2017 beschlossenen Rüstungsprogramm der EU, der „Permanent Structured Cooperation“ (Pesco). Auch dafür gelte: „Ob Nato oder europäische Militärunion, das Aufputschmittel und einigende Band des Westens ist wie am Ausgangspunkt dieses Prozesses vor mehr als 60 Jahren die ‚Bedrohung aus dem Osten‘.“

Das „Feindbild Russland“ sei die „Klammer für die beteiligten Länder“, ergänzte Schreiber gegenüber Sputnik. Daran habe sich in all den Jahren nicht viel geändert – „bis auf die kurze Zeit in der Mitte der 1990er Jahre, die wir als die ‚Zeit der Friedensdividende‘ bezeichnen, die in Ost wie West zu einem gesamteuropäischen Abrüstungsprozess geführt hat“. Diese Phase sei aber „definitiv beendet“, hob der Experte hervor. „Wir stehen am Anfang einer neuen Rüstungswelle und einer neuen Welle der militärischen Kooperation im Rahmen der Nato und im Rahmen der EU.“ Dafür diene das alte Feindbild als Rechtfertigung.

Alte Ideen
Sollen Rüstung und Militär die kriselnde Europäische Union (EU) zusammenhalten und retten? Es hat zumindest den Anschein, dass Sicherheitspolitik und Aufrüstung dabei eine besondere Rolle spielen, wie in der aktuellen „WeltTrends“-Ausgabe ausgeführt wird. Das Heft ist dem Schwerpunktthema „Militärmacht Europäische Union?“ gewidmet. Die Beiträge beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, „ob mit den jüngsten Schritten die EU auch militärisch fit gemacht wird, um in der 1. Liga der Weltpolitik mitspielen zu können“.

Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU und die Washingtoner Forderungen nach mehr Rüstungsausgaben stärkten die europäischen Kräfte, die mehr Geld fürs Militär ausgeben wollen, so das Editorial. Die neuen Beschlüsse des Europäischen Rates zu ständigen Zusammenarbeit (Pesco) und für einen Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) „könnten der Startschuss für eine ‚Verteidigungsunion‘ sein“.

Schreiber erinnert an die Anfänge der Entwicklung, die zu Pesco geführt hat: „Die Idee einer Militär- und Rüstungsunion begleitet die Europäische Union seit Beginn. Der Beschluss von 2017 ist gewiss nicht die Konsequenz einer neuen Bedrohungslage, wie oft unterstellt wird.“ Von Anfang an sollte die EU und ihre Vorgängerin EG eine Rüstungs- und Verteidigungsunion werden, erklärte er im Sputnik-Interview. Bereits 1950 habe es aus Paris Vorschläge für eine Europaarmee mit deutscher Beteiligung gegeben, so der Autor. Das in der Folge entstandene Abkommen über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sei aber 1954 am Votum der französischen Nationalversammlung gescheitert. „Seit dieser Zeit gibt es das Bestreben, auf dem Rüstungssektor im Rahmen der westeuropäischen Staaten zu kooperieren.“

Vertane Chancen
Die transnationale Rüstungskooperation in Westeuropa habe „relativ losgelöst von der Nato“ begonnen, erinnert der Militärökonom. Es sei darum gegangen, den Eigenbedarf an Waffen und Militärtechnik durch eine westeuropäische Rüstungsindustrie zu decken. Die Bundesrepublik und Frankreich seien dabei von Beginn an der „Motor“ gewesen, schreibt Schreiber. Allerdings seien die erhofften Effekte einer arbeitsteiligen Rüstungskooperation weitgehend ausgeblieben. Dafür hätten die verschiedenen nationalen Interessen und Ansprüche gesorgt.

Der Autor erinnert auch an die ersten Jahre nach 1989/90:

„Mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus und dem Ende der Blockkonfrontation geriet die westeuropäische Rüstungsindustrie in eine Krise. Alle Kooperationsprojekte stagnierten. Durch den Verlust des militärischen Gegners stellte sich in ganz Westeuropa die Frage nach der Konversion, sowohl der Streitkräfte als auch der Rüstungsindustrie.“

Das Problem und die Gefahr sinkender Rüstungsprofite wurden zuerst durch die Nato- und EU-Osterweiterung ab Ende der 1990er Jahre eingehegt, wie der Experte zeigt. Seit 2014 sorgt nun die angebliche neue russische Gefahr dafür, dass es wieder deutlich aufwärts geht mit den Profiten der Waffen- und Militärindustrie. Doch der EU fehlt es immer noch an einem einheitlichen politischen Willen in der Außen- und Sicherheitspolitik und entsprechenden wirksamen Instrumenten und Strukturen, wie Schreiber hervorhebt.

Militarisiertes Kerneuropa
Pesco soll nun gemeinsam mit dem EVF mit jährlich 500 Millionen Euro für Rüstungsprojekte über zehn Jahre und mit dem „CARD“-Programm, mit dem die nationalen Maßnahmen überprüft werden, Abhilfe schaffen. Ausgangspunkt dafür sei der Vertrag von Lissabon von 2007 gewesen, erklärt der Autor in seinem Text. Es handele sich um einen qualitativen Einschnitt, an dem sich 25 EU-Mitglieder beteiligen wollen. Erstmals werde dabei das Einstimmigkeitsprinzip für Entscheidungen innerhalb der EU ausgehebelt, betonte er gegenüber Sputnik. Für gemeinsame Projekte reichten nun „Koalitionen der Willigen“, die mit jeweils „qualifizierter Mehrheit“ entscheiden könnten.

Die Initiatoren Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien hätten sich erfolgreich aus der „Abhängigkeit eines Vetos seitens der kleineren Länder“ befreit. Für Schreiber ist mit Pesco & Co. der Weg zu einem „sicherheitspolitischen Kerneuropa im Rahmen der EU“ klar vorgezeichnet, wie er schreibt. Er schränkt indes ein: „Aber eine Militär- und Rüstungsunion ist noch lange nicht in Sicht.“ Die neue Form der Kooperation werde sich dennoch durchsetzen, zeigte er sich im Interview sicher. Pesco sei jedoch zugleich eine Chance  für die Emanzipation von den USA, fügte er hinzu.

Neue Ziele

Im „WeltTrends“-Heft beschäftigen sich Sabine Lösing, Mitglied des Europäischen Parlaments (Linksfraktion GUE/NGL) und Jürgen Wagner von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) mit dem EVF, den sie als „Rüstungsfonds für die Weltmacht EUropa“ bezeichnen. Der Fonds gelte „als Mittel, sich mit Blick auf zunehmende Großmachtkonflikte und eigene Ambitionen, hier (militärisch) in der ersten Riege mitzuspielen, in Stellung zu bringen“. Das habe die bundesdeutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenzim Februar 2018 deutlich gemacht.

Die Politikwissenschaftlerin Delphine Deschaux-Detard beschreibt in der Zeitschrift das Scheitern der EVG. Ihr Fachkollege Werner Ruf setzt sich mit der Rolle des Militärischen im europäischen Integrationsprozess auseinander. Er findet es bemerkenswert, dass gerade die in den 1950er Jahren als Ersatz für die EVG gegründete Westeuropäische Union (WEU) die Militarisierung der EU vorantrieb. Gleichzeitig habe sie den militärischen Wiederaufstieg Deutschlands ermöglicht – obwohl sie „zunächst gegen die Remilitarisierung der Bonner Republik“ gerichtet war. Später sei sie zum Ausgangspunkt der Entwicklungen hin zu Pesco & Co. geworden. Diese Beschlüsse gehen nun über die früheren Entscheidungen zur Militarisierung der EU hinaus, stellt der Politologe Wilhelm Ersil im „WeltTrends“-Heft fest: „Pesco wird die EU-Integration einschneidend beeinflussen“, meint er.

Die Ausgabe der Zeitschrift aus Potsdam versucht die inhaltliche Linie der leider nach drei Heften eingestellten Zeitschrift für kritische Sicherheitsforschung „multipolar“ aufzunehmen und fortzusetzen. Das soll jährlich in jeweils drei Ausgaben der Monatszeitschrift „WeltTrends“ geschehen, kündigte der Militärökonom Schreiber gegenüber Sputnik an.

sputnik.de


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