Auf dem Berg Bental wird der syrische Bürgerkrieg zur Touristenattraktion. Auf der Anhöhe an der israelisch-syrischen Grenze lassen sich US-Teenager von einem Fremdenführer erklären, dass jeder im Leben seine Probleme habe - "Geld, Liebe" -, aber da drüben "die Menschen echt sterben" würden. "Literally, you know". Die jungen Leute aus Kalifornien schauen müde ins Bürgerkriegsland. Einer sagt, es sehe ja gar nicht so recht nach Krieg aus. Fernrohre laden Gäste ein, einen Blick auf die Krise zu erhaschen, im Restaurant "Mozzarella" kann man Pizza mit Blick auf die umkämpften Gebiete essen. Zwei UN-Soldaten beantworten geduldig Fragen der Touristen.
Am Fuß des Berges schlängelt sich eine Barriere durchs Land, ein sieben Meter hoher Zaun. Ausgestattet mit allerhand Sensoren und Kameras, gesichert von zahlreichen Militärstützpunkten, überwacht aus der Luft. Ein unüberwindbares Bollwerk gegen den Krieg, so scheint es. Die Grenzanlage wurde zum Sinnbild der israelischen Syrienpolitik. Nämlich, sich komplett rauszuhalten – sowohl in humanitärer als auch in militärischer Hinsicht. Beides hat, seit das Blutvergießen begonnen hat, nur bedingt funktioniert. Und während sich das israelische Militär über Einsätze in Syrien in Schweigen hüllt, ist es bei einem anderen Thema gesprächiger: der Hilfe für Zivilisten, die hinter der Grenze leben.
2013 hat die israelische Armee erstmals schwer verletzte syrische Zivilisten über die Grenze geholt und in Israel behandeln lassen. Inzwischen haben offiziellen Angaben zufolge mehr als 3500 Menschen aus dem Nachbarland Hilfe von israelischen Ärzten bekommen. Den Kontakt in das Nachbarland, mit dem Israel nie Frieden geschlossen hat, hält Sergej Kutikov. Der Major der israelischen Armee leitet die Operation "Good Neighbor", guter Nachbar. Der kompakte Mann mit ukrainischen Wurzeln blickt vom Berg Bental herunter nach Syrien und zeigt auf eine kleine Baracke hinter der Grenzanlage. "Zwölf Betten, zwei Ärzte, keine Anästhesie, keine Beatmung", sagt er. "Man kann das eigentlich nicht als Krankenhaus bezeichnen." Es sei das einzige im Umkreis von Dutzenden Kilometern. Und hoffnungslos überfordert.
"Nach Syrien rein gehen wir nie"
Seit 1967 hält Israel die syrischen Golanhöhen besetzt, seit 1948 befinden sich die beiden Staaten offiziell im Kriegszustand, nur eine Waffenruhe existiert. Daher muss Israel syrischen Flüchtlingen auch kein Asyl gewähren. Tut es auch nicht. Diplomatische Kontakte hat es nie gegeben, die beiden Nationen verbindet eine lange Feindschaft. Und dennoch gibt es einen Austausch über die Grenze. "Als sich die Armee 2013 entschlossen hat, vereinzelt Zivilisten zu helfen, war von Beginn an klar, dass wir niemals mit der syrischen Regierung sprechen werden", sagt Major Kutikov. Die israelische Armee stehe ausschließlich in Kontakt mit zivilen Organisationen und Ärzten, unter anderem in dem kleinen Krankenhaus hinter der Grenze. Man telefoniere, tausche sich über Notfälle aus. Dann bringe die israelische Armee Hilfsgüter zur Grenze oder aber schwerverletzte Syrer würden zur Grenze gebracht und dort abgeholt. "Aber nach Syrien rein gehen wir nie."
Behandelt werden die syrischen Patienten unter anderem im Ziv-Krankenhaus, rund 50 Kilometer westlich der Grenze. Vor allem Kindern, mehr als 1000, sei in dem medizinischen Komplex in Nord-Galiläa geholfen worden, erklärt Michael Harari. Der Arzt erinnert sich, wie am 16. Februar 2013 die Pager und Telefone klingelten. "Man sagte uns, es sei keine Übung und dass eine unbekannte Anzahl syrischer Patienten eingeliefert werde." Damals seien zum ersten Mal Menschen aus dem Nachbarland in die Klinik gekommen. "Fast jeder hatte Explosionsverletzungen", sagt Harari. "Ich bin Intensivmediziner und habe viele schlimme Verletzungen gesehen, etwa nach Autounfällen. Aber ich hatte keine Vorstellungen, was Kriegsverletzungen bedeuten, was Explosionsverletzungen mit dem menschlichen Körper anrichten können. Darauf kann einen niemand vorbereiten." Der Arzt zeigt Bilder von zerfetzten Beinen, Knochen, die aus zerrissenem Gewebe hervorstehen, verdrehten, entstellten Gliedmaßen.
Innerhalb von fünf Monaten nach diesem 16. Februar seien über 100 Patienten behandelt worden. Im Schnitt blieben sie 18 Tage. Kriegsverletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. Die für Hariri härtesten Fälle seien fünf Kinder gewesen, die in den vergangenen Jahren mit schwersten Verletzungen ohne Begleitung gekommen seien. "Wir haben bei ihnen später herausgefunden, dass die Eltern bei den Explosionen ums Leben gekommen sind, bei denen die Kinder verletzt wurden", erzählt Hariri. "Stellen Sie sich Kleinkinder vor mit unfassbaren Schmerzen, die von ihren Eltern getrennt sind in einem fremden Land."
"Unsere einzige Hoffnung"
Feres Issa ist einer der Sozialarbeiter, die sich um die Patienten aus Syrien kümmern, wenn es die Ärzte gerade nicht tun. Vor allem am Anfang sei der Umgang schwierig gewesen, erinnert sich der wuchtige Mann, der mit rauer Stimme fließend Arabisch spricht. "Viele Patienten waren geschockt, als sie erfahren haben, dass sie in Israel sind", sagt Issa. Sie hätten dann zum Teil gar nicht gesprochen, ihre Namen nicht verraten, weil sie dachten, dass sie in der Hand des Feindes sind. "Natürlich kommen sie mit Stereotypen über Israel. Wenn man sein ganzes Leben lang etwas lernt über ein Land, etwas schlechtes, ist es schwierig, das in einer oder zwei Wochen abzulegen." Inzwischen sei es jedoch einfacher geworden. Hinter der Grenze habe sich herumgesprochen, dass Syrern in Israel geholfen würde. Das Misstrauen sei über die Jahre kleiner geworden, zumindest gegenüber dem Krankenhauspersonal. "Viele Patienten bedanken sich. Manche schreiben Briefe, in denen steht, dass sie sich bei uns bedanken, bei dem israelischen Volk. Aber nicht bei der Regierung." Er lacht.
Der 13-jährige Ahmad ist einer der Patienten, der mit schweren Verletzungen aus Syrien nach Israel gekommen ist. Bei einem Luftangriff bohrte sich ein Schrapnell durch sein Bein, zertrümmerte den Oberschenkelknochen. "Ich habe in Syrien erfahren, dass es die Möglichkeit gibt, in Israel behandelt zu werden", erzählt seine Mutter. Aus Ahmads Bein ragen große Schrauben, die von einem Gestell gehalten werden. "Anfangs hatten wir Angst, weil wir immer gelernt haben, dass Israel ein Feind ist. Aber mit diesen schweren Verletzungen war es unsere einzige Hoffnung", sagt sie. Die Alternative in Syrien wäre eine kleine medizinische Station gewesen, die erste Hilfe hätte leisten können, mehr nicht. Es wird lange dauern, bis Ahmad wieder wird laufen können. Aber eine Behandlung wie in Israel wäre für ihn in Syrien vermutlich nicht möglich gewesen.
Dass im Ziv-Krankenhaus Menschen aus einem Land behandelt werden, mit denen sich Israel offiziell noch im Kriegszustand befindet, stößt jedoch nicht überall auf Begeisterung. "Wenn wir einem Patienten aus Israel, der hier seine Steuern und seine Krankenversicherung bezahlt, wiederholt den Termin für seine Hüft-Operation verschieben müssen, weil unsere Ärzte damit beschäftigt sind, Syrern zu helfen, gibt es auch Widerstände", sagt der Arzt Michael Hariri. "Viele Israelis finden es nicht gut, dass wir Syrer behandeln", berichtet auch Sozialarbeiter Issa. Die medizinischen Kapazitäten sind auch in Israel begrenzt und viele Menschen hätten kein Verständnis, dass sie durch Patienten aus einem Konflikt belastet werden, aus dem sich Israel ja eigentlich heraushalten wollte.
Und diese Kritik könnte künftig noch weiter anschwellen. Denn hinter der israelisch-syrischen Grenze formieren sich derzeit die Truppen des Machthabers Baschar al-Assad, um die letzten von Rebellen gehaltenen Gebiete zurückzuerobern. Rund 50 Kilometer von der Grenze auf den Golanhöhen entfernt werden die ersten Gefechte im Kampf um den äußersten Südwesten Syriens ausgetragen. Ein Gebiet von ungefähr 2500 Quadratkilometern ist dort noch in der Hand von unterschiedlichen Milizen, zahlreiche Dörfer und Städte liegen darin. Holt sich Assads Armee das Land zurück, sind mehr zivile Opfer zu erwarten. Im Ziv-Krankenhaus werde bereits darüber gesprochen, was passiert, "wenn Assad zum finalen Schlag ausholt in der Region", erzählt Hariri. "Wir könnten noch ein paar Patienten mehr aufnehmen, aber eben nur ein paar", sagt der Arzt.
Quelle: n-tv.de
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