Nach zähen Verhandlungen haben sich Kanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen beim Gipfel in Brüssel auf Neuerungen in der europäischen Asylpolitik geeinigt. Dies teilte EU-Ratschef Donald Tusk nach mehr als zwölfstündigen Beratungen mit. Schon zuvor deutete sich bei dem Gipfel Bewegung im europäischen Asylstreit an.
Eine Gruppe von Ländern um Frankreich habe den Aufbau von "kontrollierten Zentren" zur Aufnahme von Geflüchteten in EU-Staaten am Mittelmeer vorgeschlagen, berichteten Diplomaten vorab. Schutz- und asylberechtigte Migranten sollten von dort dann auf andere aufnahmebereite EU-Länder verteilt werden. Zugleich sollen nach dem Willen der EU-Staaten auch Sammellager in nordafrikanischen Staaten entstehen, damit sich weniger Menschen auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen.
Die Kanzlerin begrüßte die Beschlüsse. Es sei eine "gute Botschaft", dass die Staats- und Regierungschefs dazu einen gemeinsamen Text verabschiedet haben, sagte die CDU-Chefin. Es warte zwar noch eine Menge Arbeit am gemeinsamen Asylsystem. "Aber ich bin optimistisch nach dem heutigen Tag, dass wir wirklich weiter arbeiten können." Auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sah in der Einigung einen "wichtigen Schritt in die richtige Richtung". "Wir sind froh, dass es jetzt endlich einen Fokus auf die Außengrenzen gibt", so Kurz.
Bei möglichen Sammelstellen für Bootsflüchtlinge außerhalb der EU werde mit dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration zusammengearbeitet und internationales Recht eingehalten, sagte Merkel. "Ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir gesagt haben: Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten." Die Grenzschutzagentur Frontex werde bereits bis 2020 aufgestockt. "Das ist eine sehr wichtige Botschaft." Darüber hinaus sei auch eine stärkere Ordnung und Steuerung der sogenannten Sekundärmigration innerhalb der EU vereinbart worden. Klar sei, dass alle sich an Regeln halten müssten und sich kein Asylbewerber einen EU-Staat aussuchen dürfe. "Es braucht aber auch Solidarität mit den Ankunftsländern", fügte Merkel hinzu.
Ungarn blieb skeptisch
Aus italienischen Regierungskreisen in Brüssel hieß es, dass auch Italien mit den unterbreiteten Vorschlag einverstanden sei. Am Abend hatte Ministerpräsident Giuseppe Conte noch jegliche Beschlüsse des EU-Gipfels auch außerhalb des Migrationsbereichs blockiert. Italien sieht sich als Hauptankunftsland für Geflüchtete auf der Mittelmeerroute von den anderen EU-Staaten allein gelassen. Denn nach den EU-Regeln ist normalerweise das Erstankunftsland für Asylbewerber zuständig. Aus Protest hat Italien bereits Schiffen mit vor Libyen geretteten Geflüchteten die Einfahrt in seine Häfen verweigert.
Ziel des Vorschlags für Aufnahme- und Verteilungszentren sei es, dem italienischen Wunsch nach "geteilter Verantwortung" für die Geflüchteten Rechnung zu tragen, sagte ein Diplomat. Ein italienischer Regierungsvertreter sprach von "guten Nachrichten". Allerdings hätten sich einige Länder, insbesondere Ungarn, zunächst "energisch widersetzt". Viele osteuropäische EU-Mitgliedstaaten lehnen seit Jahren prinzipiell jegliche Umverteilung von Geflüchteten in Europa ab.
Ob Deutschland auf Basis der geplanten freiwilligen Zusagen Geflüchtete aufnehmen wird, blieb unklar. Auch die Frage, ob und wie der Vorschlag den Streit zwischen CDU und CSU lösen könnte, bleibt ungewiss. Bundeskanzlerin Angela Merkel sucht dringend einen europäischen Ansatz, um das Weiterziehen von registrierten Asylbewerbern aus anderen EU-Ländern nach Deutschland zu bremsen. Anderenfalls will Innenminister Horst Seehofer die Betroffenen im Alleingang an der deutschen Grenze abweisen. Die CSU hat Merkel eine Frist bis zum Wochenende gesetzt.
Drei Milliarden Euro für die Türkei
In Folge eines weiteren Gipfel-Beschlusses bekommt die Türkei von der EU weitere drei Milliarden Euro, um Flüchtlinge aus Syrien zu versorgen. Dafür werden zwei Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt der EU genommen. Aus den nationalen Haushalten soll eine weitere Milliarde fließen. Ein erstes Hilfspaket mit drei Milliarden Euro war jüngst aufgebraucht worden. Die EU hatte der Türkei aber im Zuge der Flüchtlingskrise bis zu sechs Milliarden Euro versprochen.
Umstritten war in den vergangenen Monaten vor allem gewesen, wie viel Geld aus dem Gemeinschaftshaushalt genommen werden soll. Länder wie Frankreich und Deutschland wollten eigentlich, dass die drei Milliarden Euro vollständig über den EU-Haushalt finanziert werden. Die Kommission hatte hingegen zunächst vorgeschlagen, nur eine Milliarde aus dem EU-Haushalt zu nehmen.
Die Unterstützung der Türkei bei der Versorgung von Flüchtlingen war mit dem im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt vereinbart worden. Er sieht vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nehmen EU-Staaten der Türkei schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien ab und finanzieren Hilfen für in der Türkei lebende Flüchtlinge. Das Land hat bislang insgesamt knapp 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
Quelle: n-tv.de
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