Nach dem Brückeneinsturz in Genua hat Italiens Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio mit einer Verstaatlichung der Autobahnen gedroht. Wenn die Betreiber der Autobahnen nicht in der Lage seien, ihre Aufgabe richtig zu erfüllen, dann müsse der Staat die Autobahnen übernehmen, sagte der Fünf-Sterne-Politiker im italienischen Rundfunk.
Die Betreiber der Autobahnen hätten mehr in die Sicherheit investieren sollen, anstatt sich über die Dividenden Gedanken zu machen, sagte di Maio. Die italienische Autobahn A10 mit der eingestürzten Brücke wird von dem privaten Unternehmen Autostrade per l'Italia betrieben. Die italienische Regierung hatte bereits am Vortag Autostrade für den Brückeneinsturz verantwortlich gemacht und damit gedroht, dem Unternehmen die Lizenz entziehen. Autostrade ist ein Tochterunternehmen des italienischen Dienstleisters Atlantia. Der von der Benetton-Familie kontrollierte Konzern mit Sitz in Rom hält 88 Prozent der Autostrade-Anteile.
An der Mailänder Börse geriet der Aktienkurs von Atlantia massiv unter Druck . Nach der Wiederaufnahme des Handels büßten die Anteilsscheine fast ein Viertel ihres Wertes ein. Nach dem Einsturz der Brücke hatte der Börsenbetreiber den Handel mit Atlantia-Aktie vorübergehend ausgesetzt. Die Ursache des Einsturzes ist noch vollkommen ungeklärt.
Damit ist auch die Frage, wer für das Unglück verantwortlich gemacht werden muss, noch offen. Die Rettungsarbeiten an der Unglücksstelle dauern an. Gutachter müssen zunächst die Statik der stehengebliebenen Teile der Morandi-Brücke prüfen, bevor die Ermittlungsarbeiten anlaufen können.
Italienische Spitzenpolitiker erheben dennoch bereits schwere Vorwürfe: Der Betreiber habe Milliarden Euro an Maut eingenommen, das Geld aber nicht wie vorgesehen eingesetzt, kritisierte etwa Innenminister Matteo Salvini. Autostrade wies diesen Vorwurf zurück. Die aus den 1960er Jahren stammende Brücke sei gemäß den gesetzlichen Vorgaben alle drei Monate kontrolliert worden, erklärte das Unternehmen.
Wie viele Menschen bei dem Einsturz des vierspurigen Autobahn-Viadukts zu Tode kamen, ist auch zwei Tag nach der Katastrophe noch unklar. Die italienische Polizei gab die Zahl der Todesopfer des Brückeneinsturzes von Genua am Morgen mit 38 an. Behördenvertreter hatten am Vortag zeitweise von mehr als 40 Todesopfern gesprochen.
Italien hofft auf ein Wunder
Rettungskräfte suchen seit dem Einsturz der Brücke am Dienstagmittag Tag und Nacht ohne Pause nach Opfern, die in dem Trümmerfeld verschüttet überlebt haben könnten. Mehrere Menschen gelten noch als vermisst. Die pausenlose Suchaktion läuft bereits seit gut 46 Stunden. In der Nacht hatten Helfer erneut Scheinwerfermasten aufgestellt, um die Unglücksstelle auszuleuchten. Die Hoffnung schwindet von Stunde zu Stunde: Experten schätzen die Chancen, weitere Überlebende in den Überresten des Bauwerks zu finden, mittlerweile als sehr gering ein.
Die Brücke der italienischen Autobahn A10, die Genua mit Südfrankreich verbindet, überspannte einen Fluss, ein Gewerbegebiet und mehrere Gleise der Bahn. Bei dem Einsturz wurden Dutzende Fahrzeuge in die Tiefe gerissen. Die Reste der Konstruktion sind einsturzgefährdet und müssen wohl abgerissen werden. Mehrere Hundert Anwohner der Unglücksstelle mussten ihre Wohnungen verlassen. Sie sind vorerst obdachlos.
Vierspurige Autobahn gekappt
Hinter der menschlichen Tragödie werden nach und nach auch die verkehrstechnischen Folgen sichtbar: Eine wichtige Verbindung im italienischen Fernverkehr ist dauerhaft unterbrochen. In der Region muss mit lang anhaltenden Verkehrsbehinderungen gerechnet werden.
Die italienische Regierung verhängte über Genua einen zunächst auf zwölf Monate angesetzten Ausnahmezustand. Damit soll unter anderem sichergestellt werden, dass die schwer getroffenen Hafenstadt in den kommenden Monaten leichter Zugang zu Hilfs- und Fördermaßnahmen bekommt.
Die schweren Kursverluste bei Atlantia wirken sich im europäischen Börsenhandel negativ auf den gesamten Sektor aus. Im Sog der Verkaufswelle trennten sich Anleger auch von den Aktien anderer Bau- und Betreiberkonzerne. Der Kurs des Infrastrukturkonzerns ASTM etwa verlor zeitweise fast 9 Prozent an Höhe, die Aktie der Tochter SIAS gab knapp 10 Prozent nach.
Auch die Aktien des spanischen Bau- und Infrastrukturkonzerns ACS standen unter Druck. Hier sorgten sich Anleger, dass sich Atlantia aus der gemeinschaftlichen Übernahme von Abertis zurückziehen könnte. Die Aktien von ACS fielen um 5 Prozent zurück. Selbst die Aktien der ACS-Tochter Hochtief gaben um 2,6 Prozent nach.
Quelle: n-tv.de
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