Die Berliner AfD beschäftigt seit einigen Tagen ein Video, das im Internet kursiert: Es zeigt Dreharbeiten an einem offensichtlich nicht echten Infostand der Partei. Darin zu sehen ist ein Vertreter der Partei, der Flugblätter verteilt, ein glatzköpfiger Mann mit Tarnhose greift interessiert zu. Im Vordergrund werden zwei dunkelhäutige Personen von einem Mann in Bomberjacke verfolgt.
Vertreter der Partei reagieren entsetzt. "Es ist unfassbar zu welchen Mitteln inzwischen gegriffen wird, um die AfD zu diskreditieren", kommentiert der Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses, Karsten Woldeit, in einem Video der Partei den Clip. Auch Bundestagsabgeordnete teilen die Empörung: Der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Dirk Spaniel, sagt, das Video zeige, "dass der politische Gegner mit seinen Argumenten am Ende ist".
Die Berliner AfD will der Sache auf die Spur gehen. Immer wieder wird das "Fake-Video" von der AfD auf ihren Kanälen in sozialen Medien thematisiert. In einschlägigen Gruppen und Foren werden Bilder von Akteuren des Videos ausgetauscht, es wird darüber gesprochen, dass es doch möglich sein müsse, die Namen und Adressen der Personen aufzustöbern. Schließlich finden Parteivertreter die Anschrift tatsächlich heraus. In Begleitung eines Kameramanns will der Berliner Abgeordnete Frank-Christian Hansel der Produktionsfirma einen Besuch abstatten und die Verantwortlichen zur Rede stellen. Die Kamera filmt dabei die genaue Adresse und die Namen auf dem Klingelschild. Für die Produktionsfirma hat das nun ernste Konsequenzen: Sie bekommt Morddrohungen, ihre Anschrift ist öffentlich.
"Am Narrativ festhalten, um gegen uns aufzuhetzen"
Was da in Berlin-Lichtenberg gedreht wurde, war allerdings kein "Fake-Video" des "politischen Gegners", es war eine Szene für einen Satire-Clip des "Bohemian Browser Ballet", ein Satire-Kollektiv, das Witze über alles Mögliche im Netz verbreitet: die Aktivisten im Hambacher Forst, FKK-Strandgänger, den Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer, das Chaos im Bamf, Organspende und eben aktuell die Ereignisse in Chemnitz. In dem für den SWR produzierten Film, der gestern auf der Facebook-Seite des "Bohemian Browser Ballet" veröffentlicht wurde, bekommen viele Akteure in überzeichneter Weise ihr sprichwörtliches Fett weg: die Sensationsgier der Medien wird kritisiert, Konzerne, die versuchen aus dem Konzert in Chemnitz Profit zu schlagen und natürlich die AfD, die scharf dafür kritisiert wurde, dass sie in Chemnitz gemeinsam mit Rechtsradikalen aufgetreten ist.
"Wir haben am Set deutlich gemacht, dass es sich um Dreharbeiten für einen Satire-Clip handelt", sagt ein Sprecher der Steinberger Silberstein GmbH n-tv.de. Christian Brandes, einer der Produzenten, schildert zudem auf seinem Blog, wie sich am Drehort schnell Anwohner versammelt hätten, die Verdacht schöpften, man wolle dort eine Nazi-Demo drehen, die es gar nicht gab. Man habe den Menschen "geduldig" erklärt, dass es sich um Satire handele. Das Set sei mit entsprechenden Hinweisschildern "zugekleistert" gewesen. Der Rechercheverband "Correctiv" berichtete zudem schon vor knapp einer Woche, dass es sich um das Video, dass die AfD als Versuch wertet, die Partei zu diskreditieren, um Satire handelte. "Als der Abgeordnete Hansel vor unserer Tür stand, muss er bereits gewusst haben, dass es Satire ist. Wir gehen davon aus, dass er an dem Narrativ dennoch festgehalten hat, um gegen uns aufzuhetzen", sagt der Sprecher der Produktionsfirma.
Der Sprecher der Berliner AfD, Roland Gläser, sagt n-tv.de, man habe "auf Augenhöhe" mit den Verantwortlichen sprechen wollen. Auf die Frage, warum in dem Video die Adresse und die Namen veröffentlicht wurden, entgegnet er: "Die Information hat bei Google jeder in drei Sekunden herausgefunden. Das ist jetzt keine Enthüllung." Die Namen der Verantwortlichen seien überdies von "öffentlichem Interesse", weil sie von "Zwangsbeträgen" profitierten. Gegenüber dem RBB will er sogar Vorteile für das Satire-Kollektiv erkennen, es habe durch das AfD-Video "ein riesiges Bekanntheitsplus bekommen".
"Ihr Juden seid ein Geschwür"
Von Freude über mehr Bekanntheit kann bei der Steinberger Silberstein GmbH keine Rede sein. Die Verantwortlichen werden mit dem Tod bedroht. Angesichts des jüdischen Namens Silberstein schicken AfD-Anhänger den Geschäftsführern antisemitische Mordfantasien. In einer Mail, deren Echtheit der Sprecher n-tv.de bestätigt, heißt es: "Und es sind wieder Juden wie ihr, die so Hetze betreiben (…) Ihr Juden seid ein Geschwür. Euch muss man ermorden. So dreist und verlogen seid nur ihr. Wir ermorden euch eines Tages." Der Sprecher der Firma sagt dazu: "Die Mail haben wir bekommen, nachdem das Video auf der Facebook-Seite der AfD veröffentlicht wurde. Jemand, der ein solches Video veröffentlicht, muss sich darüber im Klaren sein, dass es zu solchen Drohszenarien kommen kann."
Unter dem Video, das Hansel vor der Tür der Produktionsfirma zeigt, gehen Kommentare in eine ähnliche Richtung. "Unter jeder Scheiße die gleiche Schlange (Jud..). Kommt heraus!", schreibt jemand. AfD-Sprecher Gläser sagt n-tv.de, "nur Verblendete, die nichts mit der AfD zu tun haben", würden "antisemitisches Zeug" verbreiten. In einer Pressemitteilung des Berliner AfD-Chefs Georg Pazderski vom Dienstag ist indes weiter von einem "von der Rundfunk-Zwangsabgabe finanziertem Hetzvideo" die Rede. Er vermutet, antisemitische Kommentare würden von "linken Trollen" verfasst. Antisemitismus sei in der AfD "kein Thema". Die Morddrohungen werden weder von Glaser noch von Pazderski thematisiert.
Antisemitismus kein Thema? Als der Chefredakteur des "Tagesspiegel" den Abgeordneten Hansel bei Twitter auf die Mail mit der Morddrohung anspricht, antwortet der bloß mit einem Link zu einem Wikipedia-Artikel über die Silberstein-Affäre. Dabei soll 2017 ein jüdischer Spin-Doctor versucht haben, den Wahlsieg des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz zu verhindern. Was will Hansel damit sagen - dass sie nun mal "so" sind, die Juden?
Quelle: n-tv.de
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