Experten geben Syrien keine Zukunft mehr

  30 September 2015    Gelesen: 759
Experten geben Syrien keine Zukunft mehr
Die Flüchtlingskrise hat den Bürgerkrieg in Syrien auf der weltpolitischen Agenda wieder ganz nach oben gesetzt. Die Vorschläge reichen von Luftschlägen gegen den IS über Gespräche mit Dikator Assad bis hin zu Pufferzonen. Doch hat das Land nach mehr als vier Jahren Krieg sowie Millionen Menschen auf der Flucht überhaupt noch eine Zukunft?

Mehrere Beobachter und Experten bezweifeln das."Ich denke, dass Syrien, wie wir es kennen und wie es vor 100 Jahren gebildet wurde, am Ende ist", sagt der Syrien-Experte Andrew Tabler vom Washingtoner Institut für Nahost-Politik.

Tatsächlich ist die Teilung des Landes für viele Betroffene längst Realität. Die Glaubensgruppe der Alawiten von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert Damaskus und Gebiete entlang der Mittelmeerküste sowie eine Reihe weiterer Städte und Verbindungskorridore. Die Kurden haben den Nordosten für sich abgesteckt und im sunnitischen Osten ist die Terrormiliz Islamischer Staat an der Macht.

UMFRAGE
Sollte Syriens Machthaber Baschar al-Assad in eine Strategie gegen den IS eingebunden werden?

Nein, mit dem Diktator darf sich der Westen nicht mehr an einen Tisch setzen.
Ja, Assad ist offensichtlich das kleinere Übel.
Das kann ich nicht beurteilen.

Andere sunnitische Rebellen kontrollieren kleinere Territorien im Norden und Süden. Und die Drusen beginnen auch immer offener über Autonomie in ihren Gebieten im Süden zu sprechen. "Was wir heute haben, ist eine Aufteilung, die niemand formal anerkennen will", sagt der Oppositionelle Ahmed Schami aus Damaskus.

Kartographie am Reißbrett

Schon in den 1920er Jahren, als die Franzosen nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs die Grenzen des heutigen Syrien zogen, waren eigene Staaten für Alawiten, Drusen und andere Gruppen im Gespräch. Aber letztlich wurde es dann doch ein Zentralstaat. Es war eine Reißbrettkartographie der Kolonialländer, die nur von der harten Hand eines Autokraten zusammengehalten werden konnte. Bis eben zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011.

Syrien-Experte Tabler empfiehlt der internationalen Gemeinschaft nun, die "De-Facto-Teilung" zu akzeptieren und zu versuchen, die einzelnen Gebiete zu stabilisieren.

Allerdings steht die internationale Gemeinschaft solchen Umwälzungen grundsätzlich zurückhaltend gegenüber. Die Tendenz im Völkerrecht gehe immer noch dahin, die damals gezogenen Grenzen beizubehalten, sagt der Politikwissenschaftler Kenneth Schultz von der Stanford University.

HINTERGRUND: Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im März 2011 sind rund 250.000 Menschen uns Leben gekommen. Rund die Hälfte der etwa 23 Millionen Syrer ist auf der Flucht. Die meisten davon innerhalb des Landes, etwa vier Millionen flüchteten über die Grenze.

Der Konflikt hat die Infrastruktur des Landes fast vollständig zerstört. António Guterres, der Hochkommissar für Flüchtlinge bei den Vereinten Nationen, nennt den Krieg den schlimmsten Konflikt seit Langem. Kein anderer habe seit einer Generation derart großes Leid erzeugt.

In Syrien wäre eine solche Aufteilung vielerorts ohnehin nur schwer zu bewerkstelligen. Großstädte wie Damaskus und Aleppo etwa sind so durchmischt, dass es schwierig wäre, sie einer Gruppe zuzusprechen. Zudem wäre eine neue Grenzziehung vermutlich auch nicht das Ende von Gewalt und Chaos.

Beobachter fürchten ethnische Säuberungen innerhalb bestimmter Regionen und erbitterte Kämpfe um die Größe der einzelnen Gebiete. Dass der IS und andere sunnitische Extremisten die Gebiete einer möglichen zukünftigen Sunnitenregion kontrollieren, erschwert ein solches Vorgehen weiter.

Eine Variante wäre es, einige Regionen innerhalb eines losen Föderalstaates nach Bevölkerungsgruppen aufzuteilen, andere geografisch. Der drusische Aktivist und Assad-Gegner Tarek Abdul-Hai plädiert für ein solches System aus Kantonen. Für die Drusen wäre eine komplette Abspaltung angesichts ihrer geringen Zahl von gerade mal ein paar Hunderttausend nicht machbar, sagt er.

Vorbild Bosnien?

Der Politologe Schultz nennt Bosnien als mögliches Vorbild. Dort seien nach dem Krieg in den 1990er Jahren die Grenzen der jugoslawischen Teilrepublik beibehalten worden, gleichzeitig kontrollieren aber die Serben einen weitgehend autonomen Staat innerhalb des Landes. Ein solches Modell könnte auch in Syrien funktionieren, sagt er.

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