Warum unterstützen Evangelikale Trump?

  05 November 2018    Gelesen: 765
Warum unterstützen Evangelikale Trump?

Moralische Ausfälle und Hass statt Liebe: Warum evangelikale Christen einen Präsidenten wie Trump und dessen Kandidaten unterstützen, ist nur ein vermeintliches Mysterium. Trumps Verhalten spiegelt das seiner Wähler.

Kommen die Vereinigten Staaten am Dienstag endlich zur Vernunft? Werden konservative Wähler die Ausfälle ihres Präsidenten abstrafen und stattdessen massenhaft für Kongresskandidaten der Demokraten abstimmen? Danach sieht es nicht aus, die Umfragewerte für Donald Trump sind erstaunlich konstant. Keiner der Skandale konnte die breite Masse seiner Unterstützer bisher umstimmen.

Eine besonders zufriedene Wählergruppe sind evangelikale Christen. Weiße Evangelikale hievten Trump mit überwältigender Mehrheit ins Amt: 80 Prozent von ihnen stimmten 2016 für ihn. Auch zwei Jahre und unzählige Skandale später sind die Zustimmungsraten für den 45. US-Präsidenten unter Evangelikalen nahezu unverändert. Wie kann das sein? Wie vereinbaren diese christlichen Wähler ihre hohen moralischen Ansprüche mit Trumps Verhalten?

Wenige entscheidende Themen

Das evangelikale Christentum ist keine homogene Gruppe, sondern ein Sammelbegriff für eine Vielzahl verschiedener größerer und kleinerer Freikirchen und Gruppierungen. Zu den größten in diesem Spektrum gehören Pentekostale (Pfingstkirchen), Baptisten und Charismatiker. Zusammengenommen ist der Evangelikalismus die größte christliche Strömung in den USA, der laut einer Studie des Pew Research Center ein Viertel aller Amerikaner angehört. Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Gruppen gibt es einige gemeinsame Grundmerkmale. Unter anderem sind das eine wörtliche Auslegung der Bibel und ein sich darauf berufender sozialer Konservativismus, der ein streng konservatives Familienbild propagiert und hohe moralische Ansprüche an den Einzelnen stellt. Doch nur auf den ersten Blick ist verwunderlich, dass ein zweimal geschiedener Präsidentschaftskandidat, der Umgang mit Prostituierten hatte, von Evangelikalen gewählt werden konnte.

Warum Evangelikale Trump unterstützen, verdeutlicht der Fall des konservativen Juristen Brett Kavanaugh, den der Präsident zum Richter an den Supreme Court berief. Von der Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford wurde Kavanaugh sexuelle Belästigung vorgeworfen. Als die Vorwürfe laut wurden, erklärten einige Evangelikale, sie würden nun für Blasey Ford beten, damit sie zu Jesus finde - nicht etwa, weil sie das Opfer Kavanaughs gewesen sein könnte, sondern weil sie ihn der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte. Nach evangelikaler Lesart hatte Ford mit ihrer Aussage die Integrität von Kavanaughs Familie bedroht. Für viele Evangelikale wog das schwerer als der Vorwurf der Belästigung.

Die Mehrheit der Evangelikalen steht im Zweifelsfall klar zu Trump, egal wie sehr dessen Taten oder die seiner Mitstreiter gegen christliche Werte verstoßen. Dabei ist das evangelikale Lager auch bereit, eigene Überzeugungen zu opfern, wenn es darum geht, bestimmte politische Ziele zu erreichen. Einer Umfrage zufolge würden 75 Prozent der Evangelikalen jeden Präsidenten wählen, der Abtreibung verbieten würde. Dieser Fokus auf einige wenige Themen hat ihnen den Ruf eingebracht, Wähler mit wenigen Anliegen zu sein, denen es an Bereitschaft zum politischen Ausgleich mangelt (sogenannte "single-issue voters").

Dinner im Weißen Haus


Spätestens seit Ende der 1960er Jahre sind Evangelikale ein zentraler Bestandteil des konservativen Lagers. Vor jeder wichtigen Wahl werden sie intensiv von den Republikanern umworben. Richard Nixon war einer der ersten Präsidentschaftskandidaten, der dieses Wählerpotential erkannte. Gemeinsam mit dem prominenten evangelikalen Prediger Billy Graham warb er gezielt um christliche Wähler und betonte dabei gesellschaftspolitische und kulturelle Aspekte, die dem evangelikalen Lager besonders wichtig waren und sind: Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe oder auch Bibelunterricht in staatlichen Schulen.

An diesem modus operandi hat sich seit Nixon nicht viel geändert, im Gegenteil. Evangelikale sind erfolgreicher denn je in der amerikanischen Bundespolitik: Vizepräsident Mike Pence ist selbst Evangelikaler, der geistliche Berater Donald Trumps, Jerry Falwell Jr., ist der Sohn eines einflussreichen evangelikalen Predigers und leitet die größte evangelikale Universität der USA. Die Anliegen der Gläubigen werden an oberster politischer Stelle gehört. Unter Trump erhalten Evangelikale exklusiven Zugang zum Präsidenten, zuletzt Ende August, als das Weiße Haus ein Dinner mit einhundert ihrer Kirchenführer veranstaltete. Trump versprach dabei, das Johnson-Amendment abzuschaffen, das Kirchen bisher daran hindert, durch Wahlkampfspenden die Politik direkt zu beeinflussen. Egal, ob das nur ein Lippenbekenntnis war: Evangelikale betreiben Lobbyarbeit und haben in Trump einen Präsidenten, der auch nach der Wahl darauf achtet, ihnen wohlgesonnen zu sein.

Emotionen statt Diskurs


Das evangelikale Lager war nicht immer fest an der Seite ultrakonservativer Republikaner. So war der erste pentekostale Gottesdienst in San Francisco im Jahre 1906 zugleich einer der ersten Gottesdienste ohne Trennung von Schwarzen und Weißen, ein Skandal zu dieser Zeit. In den 1920er Jahren waren es evangelikale Organisationen, die im Namen des social gospel die ärgsten Folgen des "vergoldeten Zeitalters" für die Ärmsten im Lande abzufedern suchten. Vierzig Jahre später kamen neue Impulse für das evangelikale Christentum ausgerechnet aus der Hippiekultur. Der erste evangelikale Präsident, der Baptist Jimmy Carter, war ein Demokrat aus Georgia. Enttäuscht von dessen Politik von 1977 bis 1981, schloss sich die Mehrheit der Evangelikalen der konservativen Massenbewegung Moral Majority an, die für Ronald Reagan warb - als geschiedener Hollywood-Schauspieler eigentlich ein unmöglicher Kandidat für ihr Lager. Trotzdem wechselten bei seiner Wahl 1980 die Evangelikalen zum letzten Mal die Seiten.

Seither sind die Fronten verhärtet. Evangelikale setzen auf stark emotionale Reize wie Abtreibung, um Wähler zu mobilisieren. Solche Themen werden so überspitzt, dass sachliche Diskussionen schwer bis unmöglich werden. Sprache spielt hierbei eine große Rolle. Die schwierige persönliche Abwägung einer Abtreibung wird zum Beispiel zum "Recht, Babys zu töten", die gleichgeschlechtliche Ehe zu einer Bedrohung für die eigene heterosexuelle Orientierung umgedeutet.

Nach jahrzehntelanger Zuspitzung funktionieren diese mobilisierenden Reizthemen inzwischen wie Memes, die extreme Emotionen auslösen und politischen und um Ausgleich bedachten Diskurs verhindern sollen. Das Ziel ist nicht der politische Kompromiss, sondern die maximale Empörung über die Gegenseite und deren Bekämpfung mit allen Mitteln, um das eigene Lager zur Wahl zu treiben.

Kampf zwischen Gut und Böse


Die politische Zuspitzung deckt sich mit dem evangelikalen Weltbild, welches das Leben als einen ewigen Kampf zwischen Gut und Böse betrachtet. Diese Vorstellung ist geprägt vom festen Glauben an das Übernatürliche und ein Gegenentwurf zur rationalen und "entzauberten Welt" im Sinne Max Webers: Evangelikale Christen sehen sich als Teil eines Jahrtausende währenden Abwehrkampfes gegen Satan und seine Verlockungen, zu denen auch das liberale Amerika gehört. In dieser Welt können Krankheiten durch Beten geheilt werden, fährt der Heilige Geist jeden Sonntag in Gläubige, lässt sie in Zungen sprechen und finden Wunder jederzeit statt. Man muss nur lernen, sie zu erkennen.

Alles kann diesem Weltbild untergeordnet und entsprechend gedeutet werden: Als 2014 in der Ukraine prorussische Kämpfer auch evangelikale Missionare angriffen, sprachen evangelikale Medien von der Ukraine als einem "Schlachtfeld des Christentums", auf dem evangelikale Ukrainer von nichtchristlichen Russen verfolgt würden. An anderer Stelle wird Donald Trump zum Wiedergänger biblischer Figuren wie dem persischen König Kyros, der auch als Heide ein Freund des Volkes Gottes war. Ein Prediger vergleicht Trump gar mit König David, der laut Bibel auch nicht ohne Fehl und Tadel gewesen sei: David habe Ehebruch begangen und sogar den Mann der Frau töten lassen, sagt Pastor John Kilpatrick aus Alabama. Gott habe ihn dennoch zum König von Israel gemacht. Derselbe Prediger erklärt, die nicht zu übersehenden Schwierigkeiten des Präsidenten seien eine Folge von "Hexerei", die versuche, "Amerika wieder zu übernehmen".

Evangelikale befinden sich also schon länger in einer Blase, die sich immer stärker von der Realität entfernt. Ironischerweise entspricht die dem Zeitgeist von Trumps Politik emotionalisierter Unwahrheit. Bei dem Treffen mit evangelikalen Kirchenoberen im Weißen Haus warnte Trump seine Gäste davor, was passieren könnte, sollten die Demokraten bei den Kongresswahlen gewinnen: "Sie werden alles umschmeißen und sie werden es schnell und gewalttätig tun", sagte er und sprach von der Opposition wie vom Satan. "Sie werden alles beenden." Evangelikale und manch andere Trump-Wählergruppe passen daher gut zusammen: Sie alle haben sich an hoch emotionale und entsachlichte Diskurse gewöhnt. Denn gegen Hexerei hilft keine pragmatische Politik mehr. Sondern nur noch Beten.

Quelle: n-tv.de


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