Ihre Dreistigkeit wird den Clans zur Last

  10 Januar 2019    Gelesen: 868
Ihre Dreistigkeit wird den Clans zur Last

Die R.s sind eine von mehreren Berliner Großfamilien, deren Mitglieder durch schwere Straftaten auffallen. Drei Angehörige müssen sich nun für den Diebstahl einer hundert Kilo schweren Goldmünze verantworten. Der Verfolgungsdruck auf die Clans steigt.

Beinahe harmlos sehen sie aus, die mutmaßlich dreistesten Kriminellen Berlins: Keine Kutten und Tätowierungen wie die Rocker, keine teuren Anzüge und aalglatte Gesichter wie manch anderes Mitglied der organisierten Kriminalität. Die T-Shirts und Hemden der drei jungen Männer aus der Familie R. spannen zwar an den Oberarmen vor lauter Muskeln. Mit ihren modischen Bärten, Sneakers und Sportkleidung könnten sie aber genauso gut sportbegeisterte BWL-Studenten sein oder in einem Fitnessstudio arbeiten. Der 20-jährige Ahmed, sein 24-jähriger Bruder Wayci und ihr Cousin Wissam sind auf den ersten Blick unspektakuläre Typen.

Die schon wegen anderer Strafverfahren - eigene oder die von Verwandten – vor Gericht aufgetretenen Männer müssen sich ab Donnerstag vor einer Jugendkammer des Berliner Landgerichts verantworten. Die Staatsanwaltschaft bezichtigt sie und einen Mitangeklagten des schweren Diebstahls. Der Fall ist filmreif und machte weltweit Schlagzeilen: Die vier sollen Ende März 2017 in das Berliner Bode-Museum eingebrochen sein und die hundert Kilo schwere Goldmünze "Big Maple Leaf" mit einem Verkaufswert von etwa 3,75 Millionen Euro gestohlen haben.

Vier Monate hat es gedauert, bis die Ermittler den mutmaßlichen Dieben auf die Spur kamen. Der mitangeklagte Denis W. arbeitete als Wachmann in dem Museum und soll die R.s mit Informationen versorgt haben. Der Rest war simpel: Eine Leiter diente als Brücke von der gegenüberliegenden S-Bahntrasse zum Vordach des Museums. Mit einer Axt zertrümmerten die Diebe die Glasvitrine um die Münze. Mit einer Schubkarre transportierten sie das kanadische Goldstück ab. Wahrscheinlich wurde die Münze zerteilt, eingeschmolzen und das Gold versetzt. Offiziell heißt es zur "Big Maple Leaf": Verbleib unbekannt.

Drogengeschäfte, Prostitution, Schutzgelderpressung

Umso bekannter dafür war die Familie der Angeklagten: die R.s, deren Mitglieder immer wieder im Zusammenhang mit Straftaten auffallen. Der von vielen Medien als krimineller Clan beschriebene Familienverbund kam überwiegend in den 1980er-Jahren nach Deutschland. Nach übereinstimmenden Medienberichten, die sich auf Ermittler berufen, handelt es sich um ursprünglich aus dem Südosten der Türkei stammende Mhallamiye-Kurden, die vor den Wirren des Libanonkrieges geflüchtet sind. Traditionelle Familienstrukturen, Arbeitsverbote in der neuen Heimat, ein auf beiden Seiten unzureichender Integrationswille: Viele Angehörige dieser Volksgruppe suchten ihr Heil in Schattenwirtschaft und Kriminalität, darunter offenbar auch zahlreiche Mitglieder der Familie R. aus Berlin-Neukölln.

Seit Jahren fällt der Name regelmäßig, wenn es um die großen kriminellen Gruppierungen in der Hauptstadt geht. Mitglieder der Familie R. sind in Drogengeschäfte, Prostitution, Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Diebstahl und andere Delikte verwickelt. Toufic R. war daran beteiligt, mehr als neun Millionen Euro aus einer Sparkasse in Berlin-Mariendorf zu stehlen. Er ging zwar ins Gefängnis, das Geld aber blieb verschwunden. Ismail R. steht derzeit wegen des Mordes an einem 43-Jährigen vor Gericht, dem die R.s Geld geschuldet haben sollen. Ismails Vater Issa gilt als ein Patron der Familie. Er ist inzwischen eine öffentliche Persönlichkeit, gibt Interviews, in denen er seine Unschuld beteuert.

Issa R.s Selbstdarstellung als unbescholtener Immobilienunternehmer kontrastiert mit den Bildern von der Beerdigung des Neuköllner Berufsverbrechers Nidal R. Nachdem dieser auf offener Straße niedergeschossen wurde, tauchte Issa R. im September 2018 zusammen mit stadtbekannten Kriminellen auf Nidal R.s Beisetzung auf, einer absurden Massenveranstaltung mit 2000 Trauergästen.

"Hier regieren wir"


Mehr Aufmerksamkeit noch als Issa R. bekommt Ashraf R., der seit einigen Monaten medienwirksam seine schützenden Hände über den Rapper Bushido hält, seit dieser mit der Familie Abou-Chaker gebrochen hat und darüber sogar öffentlich spricht. Der Rapper Massiv, bekannt durch die Gangster-Serie "4 Blocks", widmete Ashraf R. schon vor Jahren ein eigenes Lied. Es erinnert an die Selbstinszenierung mexikanischer Kartelle, deren Mitglieder und Verbrechen von Mariachi-Bands besungen werden. In den Verbrecher-Hymnen verschwimmen Dichtung und Wahrheit: Ashraf R. sei ein Ehrenmann, der nicht zögere, seine Gegner zu erschießen, dichtet Massiv.

Dieses Verlangen nach Aufmerksamkeit setzt sich auf den Straßen Berlins genauso fort wie in den sozialen Medien: Mitglieder und Freunde der Familie R. posieren mit teuren Sportwagen und Schmuck auf Facebook und Instagram. In den Straßen Berlin-Neuköllns sind immer wieder junge Männer zu beobachten, die sich ihre AMG-Mercedes kaum von legalem Geld erworben haben, aber umso draufgängerischer rasen oder auf den Gehwegen parken.

Die kriminellen Mitglieder der Familien R., Al-Z., A-C. und M. suchen die Aufmerksamkeit. Sie wollen klarmachen: "Hier regieren wir. Wir fürchten niemanden. Wir können tun und lassen, was wir wollen." Selbstüberschätzung und schlicht Dreistigkeit drohen nun zumindest der Familie R. auf die Füße zu fallen. Nach Einschätzung der Behörden sind Berlins arabische Clans trotz allem kleine Lichter im Vergleich zu großen Gruppierungen der organisierten Kriminalität, etwa aus Italien und Osteuropa. Ihr öffentliches Auftreten aber, medienwirksame Verbrechen wie Hinrichtungen und der Einbruch ins Bode-Museum, werden von Politik und Öffentlichkeit nicht länger hingenommen. Nachdem sie die Sicherheitsbehörden jahrelang vorführten, liegt nun deren ganze Aufmerksamkeit auf den verschiedenen kriminellen Aktivitäten.

Härte und neue Ideen


Im Rahmen einer Razzia beschlagnahmte die Polizei im vergangenen Juli vorläufig 77 Immobilien. Die 16 Beschuldigten sollen zum Umfeld der Familie R. gehören. Der Gesamtwert der Immobilien von rund 9,3 Millionen Euro deckt sich in etwa mit der Schadenssumme aus dem Sparkassenbruch von Ismail R. Erworben wurden die Häuser und Wohnungen teilweise in bar von einem Sozialhilfeempfänger. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ende 2018 eine eigene Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit dem Auftrag der Vermögensabschöpfung eingerichtet. Die Justiz will den Clans ans Geld, dessen legale Herkunft sie künftig nachweisen sollen.

Die in Berlin lange Zeit besonders ausgeprägte Abgrenzung zwischen den Behörden, ewige Rangeleien um Zuständigkeiten, werden nun ausgerechnet im Kampf gegen die Clans überwunden. Koordinierungsstellen, Schwerpunktermittler, vermehrte Abschiebungen in den Libanon und innovative Ansätze wie etwa das vom Bezirk Neukölln in Erwägung gezogene Ausstiegsprogramm für Clan-Angehörige erhöhen den Druck nicht nur auf Familie R.

Der mit einiger Sicherheit aufschlussreiche Prozess gegen Ahmed, Wayci und Wissam R. dürfte daher nur eines von vielen Verfahren gegen Mitglieder der Familie R. sein. Die so mühsam wie dreist erarbeite Aufmerksamkeit wendet sich gegen den Clan.


Quelle: n-tv.de


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