Vatikan lädt zum Missbrauchs-Krisentreffen

  21 Februar 2019    Gelesen: 971
Vatikan lädt zum Missbrauchs-Krisentreffen

Im Vatikan beginnt ein noch nie da gewesenes Spitzentreffen zum Missbrauch in der Katholischen Kirche. Bisher ist die Haltung von Papst Franziskus zu dem Thema nicht eindeutig, doch eine Festlegung könnte über das Scheitern seines Pontifikats entscheiden.

Ein Papst, zwei Gesichter. Der eine prangert Missbrauch an, trifft Opfer, kündigt Null Toleranz für pädophile Geistliche an. Der andere setzt diese Null Toleranz nicht durch, zieht nicht die notwendigen Konsequenzen und versagt beim Umgang mit heiklen Fällen auf höchster Ebene. "Welchen Papst werden wir nun zu sehen bekommen?", fragt Peter Isely von der Opferschutzorganisation Ending Clergy Abuse. Er wurde als Kind von einem Kleriker in den USA missbraucht und steht nun zusammen mit Opfern aus Deutschland, Indien, Kanada und anderen Ländern in Rom vor dem Petersplatz.

Hier muss Papst Franziskus die bisher wohl härteste Probe seines bisherigen Pontifikats bestehen. Er hat die Spitzen der Bischofskonferenzen der Welt zu einem Gipfel in den Vatikan geladen, um Missbrauch und jahrzehntelanger Vertuschung den Kampf anzusagen. "Dies ist ein historischer Moment, so etwas hat es in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben", sagte Isely. Franziskus "muss jetzt liefern".

Die Erwartungen an das dreieinhalb Tage lange Treffen könnten kaum höher sein. Die Falltiefe könnte allerdings auch kaum größer sein. Dem "Monster" Missbrauch will die Kirche ins Gesicht zu schauen, sagte Papstsprecher Alessandro Gisotti. Das Treffen soll eine "wahre Wende" einleiten, meinte US-Kardinal Blase Cupich, der zum Vorbereitungskomitee des Vatikans gehört. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Priester und andere Geistliche rund um den Globus Kinder misshandelt haben. In Deutschland kam der Skandal vor rund zehn Jahren ans Licht. Warum erst jetzt solch ein Gipfel? Der Druck wurde einfach zu groß.

Reue reicht nicht mehr

Das Treffen sei ein "wichtiger Schritt eines langen Prozesses", sagte der deutsche Pater Hans Zollner, der das Treffen mit vorbereitet hat. Das Aufsehen ist riesig. Medien aus aller Welt strömen nach Rom, Opfer demonstrieren, Pressekonferenzen finden im Stundentakt statt. Viele nutzen das Scheinwerferlicht, um auf andere Probleme wie den Missbrauch von Nonnen, auf Priesterkinder oder auf Homosexualität in der Kirche aufmerksam zu machen.

Die Gefahr einer Enttäuschung ist groß. Reue für das "9/11" der Kirche - wie der Privatsekretär von Ex-Papst Benedikt, Georg Gänswein, mit Verweis auf die Anschläge vom 11. September 2001 sagte - hat die Kirche genug gezeigt. Die Opfer haben konkrete Forderungen: Eine Änderung des Kirchenrechts zum Beispiel. Und eine sofortige Entlassung aus dem Priesterstand, wenn Täter überführt werden. Doch bindende Beschlüsse können die etwa 190 Teilnehmer auf der Konferenz gar nicht fassen. Hinzu kommt, dass in vielen Erdteilen Missbrauch bisher nicht als Problem anerkannt ist - weder in der Kirche noch in der Gesellschaft. "Wir im Nahen Osten zum Beispiel haben dieses spezifische Problem des Kindesmissbrauchs nicht wirklich in unserer Kirche", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche im Heiligen Land, Pierbattista Pizzaballa, dem Domradio.

Das Argument lassen die Aufklärer im Vatikan nicht gelten. "Manchmal höre ich (...): "Bei uns gibt es das nicht." Aber das heißt, dass man nicht darüber redet. Denn es existiert in der gesamten Menschheit", sagte Zollner. Für die Kirchenoberen dieser Länder gilt also erst mal, die Augen zu öffnen. In Indien werden Opfer gedemütigt, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen. Der Papst trug also zuerst den Chefs der Bischofskonferenzen auf, sich vor dem Gipfel mit Opfern zu treffen. Dem gegenüber stehen Länder wie Deutschland, die USA oder Irland, wo Skandale schon vor Jahren ans Licht kamen. Selbst wenn es auch dort Widerstände gegen die Aufklärung gibt, die Aufarbeitung hat zumindest begonnen.

Strukturelle Probleme des "Systems Kirche"

In Deutschland steht die Kirche besonders unter Druck, laufen ihr die Gläubigen davon. Man erwartet sich also mehr als Schuldbekenntnisse, wachsweiche Erklärungen und Buße. Die Laien-Bewegung "Wir sind Kirche" und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordern eine andere Sexualmoral, die Weihe von Frauen, die Abschaffung des Pflichtzölibats sowie eine echte Gewaltenteilung in der Kirche. All das wird das Treffen nicht liefern. Vor allem nicht, solange männliche Geistliche die Macht auf sich vereinen, in der Kurie ältere Männer das Sagen haben und sich viele in einer Art unantastbaren Parallelwelt mit Heiligenschein wähnen.

"Sexueller Missbrauch ist vor allem auch Missbrauch von Macht", heißt es in einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz. Deshalb sollen auf der Konferenz im Vatikan auch strukturelle Probleme des "Systems Kirche" diskutiert werden. Transparenz soll künftig groß geschrieben werden. Höchste Zeit. Der Vatikan veröffentlicht bisher noch nicht mal Zahlen zu Missbrauchsfällen oder Tätern. Und die für Missbrauch zuständige Glaubenskongregation gleicht einem Buch mit sieben Siegeln. Sie hat noch nicht mal eine Pressestelle oder einen aussagekräftigen Internetauftritt geschweige denn genug Leute, die sich um die Strafverfolgung von Tätern kümmern könnten. Einige fordern nun, auch das Thema Missbrauch von Frauen, das der Papst mit seinem Kommentar über "sexuelle Sklaverei" in religiösen Gemeinschaften ans Tageslicht befördert hat, müsse diskutiert werden. Andere wollen über die große Schwulen-Gemeinschaft im Vatikan und das Tabuthema Homosexualität sprechen, die genauso wie Missbrauch geheimgehalten und unterdrückt werde und so letztlich ein System der Vertuschung in der Kirche fördere.

Alles legitimie Forderungen. Doch all das würde die Konferenz vollkommen überfrachten. Ein Schritt ist besser als kein Schritt. "Als wäre es möglich, alle Probleme der Kirche in dreieinhalb Tagen zu lösen, als wäre es möglich, das gesamte Leben der Kirche zu ändern", sagte Zollner. Der Papst sah sich genötigt, die Erwartungen zu dämpfen: "Das Problem des Missbrauchs wird weiterbestehen." Für Franziskus geht es um sein Erbe als Papst. Wird der argentinische Hoffnungsträger nun endgültig entzaubert und als Ankündigungspapst in die Geschichte eingehen? "Für Franziskus ist der Gipfel ein Moment des Kampfes in einer Kirche, wo ein großer Teil der Bischöfe und des Klerus keine grundlegenden Änderungen will", sagte der Vatikan-Autor Marco Politi. Der Gipfel sei "für die Endjahre des Pontifikats wichtig". Es bestehe die Gefahr, dass die Konferenz von Franziskus' konservativen Gegnern instrumentalisiert werde.

Wenn nach dem Gipfel neue Skandale ans Licht kommen, würden sie nicht die Ortskirche treffen, sondern "direkt die Glaubwürdigkeit des Papstes", so Politi. "Das, was nachher kommt, wird ein Bumerang sein für Franziskus." Auch der deutsche Kardinal Walter Kasper sieht diese Gefahr und warnte vor einem "Missbrauch des Missbrauchs". "Es gibt schon Leute, die einfach dieses Pontifikat nicht mögen, und die wollen das so schnell wie möglich beenden", sagte er dem ARD-Magazin "report München". Dreieinhalb Tage werden auch dafür nicht reichen. Aber die Weichen für die Zukunft der Kirche und für die von Franziskus könnten nun durchaus gestellt werden.


Quelle: n-tv.de


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