Artikel 61 der französischen Verfassung schreibt vor, dass bestimmte Gesetze vor ihrer Verkündung dem Verfassungsrat vorgelegt werden müssen beziehungsweise „Gesetze vor ihrer Verkündung vom Präsidenten der Republik, vom Premierminister, vom Präsidenten der Nationalversammlung, vom Präsidenten des Senats oder von sechzig Abgeordneten oder sechzig Senatoren dem Verfassungsrat unterbreitet werden“ können. Das ist mit dem „Gesetz zur Stärkung und Gewährleistung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung während Demonstrationen“ geschehen. Zu heftig war die Kritik, die sogar bis in die Partei von Staatspräsident Emmanuel Macron reichte.
„Anti-Randalierer-Gesetz“ sollte Demonstrationsverbote für Personen erleichtern
Die als „Anti-Randalierer-Gesetz“ bekannt gewordene Verordnung sollte es den Behörden gestatten, Personen einen Platzverweis bei Demonstrationen zu erteilen, von denen „eine besonders schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung“ ausgehen würde. Alarmiert waren Juristen und gesellschaftliche Organisationen allerdings von der Tatsache, dass diese Demonstrationsverbote ohne richterliche Verfügungen ausgesprochen werden sollten. Und exakt diesen Passus hat der Verfassungsrat für unvereinbar mit der Verfassung der Fünften Republik und deshalb für null und nicht erklärt. Denn den Kern seiner Kritik hat der Verfassungsrat wie folgt formuliert:
„Les dispositions contestées laissent à l'autorité administrative une latitude excessive dans l'appréciation des motifs susceptibles de justifier l'interdiction.”
(Deutsch: „Die beanstandeten Bestimmungen haben der Verwaltungsbehörde zu viel Spielraum gegeben bei der Beurteilung der Gründe für die Rechtfertigung eines Verbotes.")
Der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel – CC) Frankreichs wurde 1958 installiert und ist das Pendant zum deutschen Bundesverfassungsgericht. Sprich, Entscheidungen des CC sind nicht anfechtbar und für jeden bindend. Das bedeutet, Teilnehmer der kommenden Gelbwesten-Proteste müssen nicht damit rechnen, dass ihnen Platzverweise erteilt werden, weil Polizisten aufgrund welcher Kriterien auch immer sie als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ einstufen.
Allerdings müssen sich diejenigen warm anziehen, die bislang mit ihren Gewaltexzessen unter dem Schutz der Masse bei diesen Protesten die willkommenen Verbots-Begründungen für diejenigen boten, die die Gelbwesten-Proteste als grundsätzliche Gefahr für „das System“ betrachten. Denn der Verfassungsrat hat ausdrücklich gebilligt, Personen und deren Habseligkeiten, die sie bei einer Demonstration mit sich führen oder auf dem Weg dahin, zu kontrollieren. Vermummungen sind ausdrücklich untersagt.
Randalierer, die beispielsweise in Berlin auch gerne als so genannte Krawall-Touristen zum 1. Mai anreisen, waren für Mächtige schon immer eine willkommene Gelegenheit, um für sie gefährliche Proteste gegen Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu diskreditieren und zu denunzieren und letztlich mit Gewalt bekämpfen zu können. Bezeichnend ist die Fokussierung vieler Medien auf genau diesen Gewaltaspekt bei den Gelbwesten-Protesten, die die eigentlichen Gründe für die Wut dieser Franzosen immer wieder in den Hintergrund drängte.
Diesen Gewalttätern nicht entschlossen genug entgegengetreten zu sein, muss man den Organisatoren der Gelbwestenproteste als schweres und unentschuldbares Versäumnis anlasten. Die Entscheidung des Verfassungsrates ist deshalb geradezu eine Aufforderung an die Gelbwesten-Bewegung in dieser Hinsicht, endlich Gewalttäter und Krawall-Touristen zu isolieren, um den berechtigten Protest nicht durch sie diskreditieren zu lassen.
sputniknews
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