Shopping tötet

  20 Januar 2016    Gelesen: 716
Shopping tötet
Nie mehr unbeschwert Kleidung einkaufen: Parallel zur Fashion Week kommt der Dokumentarfilm "The True Cost" ins Kino. Er zeigt die Abgründe der globalen Textilindustrie.
Hurra, es ist Schlussverkauf! Und in Berlin beginnt die Fashion Week. Instagram streamt die Trends von den Laufstegen aufs Smartphone, online oder im Laden kann man sie sofort mit den Teilen abgleichen, die es jetzt gerade spottbillig gibt, aber nur für kurze Zeit. Selbst für alle, denen Trends egal sind, ist es die Zeit, sich einzudecken: mit Jeans, Hemden, Shirts, Sneakern. Dieses Jahr allerdings platzt ein Dokumentarfilm in diese konsumselige Phase, der die gesamte Verwertungskette in den Blick nimmt: The True Cost – Der Preis der Mode.

Sicherlich: Wir wissen längst, wie Näherinnen in Ländern wie China, Bangladesch, Indien oder Kambodscha von der Textilindustrie ausgebeutet werden. Nichts Neues, dass sie für unter drei US-Dollar am Tag in überhitzen Fabriken schuften, teils 20-Stunden am Stück, ohne Arbeitsschutz, Rente, Versicherung, manchmal eingesperrt von ihren Chefs, um Kleider in Massen zu nähen für die meistgekauften Marken der Welt, darunter H&M, Gap, Zara oder Benetton, um nur einige zu nennen.

Die bisher größte Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie dürfte vielen noch im Gedächtnis sein: der Einsturz der Fabrik Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch, im April 2013. Mehr als 1.130 Menschen, die meisten Frauen, starben in den Trümmern. Dem Management waren die Risse im Gebäude längst gemeldet worden. Trotzdem zwang man die Näherinnen, weiter dort zu arbeiten. Bis zum Kollaps des Hochhauses.

Wir wissen es und schauen weg

Auch dass jedes Jahr tonnenweise toxische Chemikalien aus Ledergerbereien Gewässer und Böden verseuchen, Arbeiter und Anwohner vergiften und in den Dörfern die Rate an Krebs und Fehlbildungen unter Neugeborenen steigen lassen – kaum jemand kann behaupten, das höre er zum ersten Mal.

Doch The True Cost geht über das allgemein Bekannte hinaus: Die Weltreise des Regisseurs Andrew Morgan führt von den größten Textilproduktionsstätten auch dorthin, wo die Baumwolle, der Hauptrohstoff für diesen Massenmarkt, angebaut wird, nach Texas und Indien. An diesen Orten wird deutlich, dass der Profit- und Optimierungsdruck schon früher einsetzt: Globale Konzerne machen Bauern von sich abhängig, indem sie ihnen genverändertes Saatgut verkaufen, das nur dann gedeiht, wenn sie die passenden Dünger und Pestizide kaufen, die wiederum von denselben Monopolisten angeboten werden.

Je tiefer uns die Collage aus Szenen in Kontakt bringt mit dem Leid von Menschen aus anderen Ländern, desto stärker keimt eine Ahnung auf, die zunehmend zur Gewissheit wird: Nicht nur die Menschen am untersten Ende der Wertschöpfungskette werden betrogen. Auch wir, die Konsumenten billiger Importwaren, die vermeintlich Reichen in den USA und Europa. Für unser Geld bekommen wir längst keine hochwertige, haltbare und gute Kleidung mehr.

Stattdessen zahlen wir Unsummen für leere Versprechen: Die globale Textilwirtschaft hat es in wenigen Jahren geschafft, aus Kleidung Wegwerfprodukte zu machen. Verbrauchsgüter also, wie Kaugummi oder Klopapier. Statt vier Kollektionen im Jahr kommen mittlerweile wöchentlich neue Kleider in die Läden.

80 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr, 400 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren, werden mittlerweile umgesetzt, heißt es in der Dokumentation. Rund elf Millionen Tonnen davon landen allein in den USA jährlich im Müll. Das Gros ist nicht biologisch abbaubar.

Selbst wer ausrangierte Kleidung spendet, entkommt diesem Kreislauf nicht. Deutlich wird das am Beispiel Haiti: Bergeweise Kleiderspenden haben den lokal gut funktionierenden Textilmarkt zum Erliegen gebracht. Jetzt werden in Haitis Fabriken billige T-Shirts zu Dumpinglöhnen gefertigt: für den Export in die USA.

Ein paar Hoffnungsschimmer lässt Andrew Morgan dann doch. So porträtiert er die britische Designerin Safia Minney, Gründerin der Fair-Trade-Marke People Tree, die sich in 20 Jahren ein globales Netzwerk aus Produzenten aufgebaut hat, die unter sozialen Bedingungen zu fairen Löhnen ihre Entwürfe umsetzen. So richtig mag aber auch der Filmemacher nicht glauben, dass so ein Engagement Einzelner oder die Schwarmintelligenz der Kunden, die mit ihren Kaufentscheidungen den Markt beeinflussen könnten, die Lösung dieses globalen Problems wäre.

So steht am Ende die ganz große Systemkritik. Solange der Kapitalismus in seiner jetzigen Form bestehe, der schon aus Selbsterhaltungstrieb Profit generieren muss, werde sich kaum etwas ändern, lautet das Fazit. Die wahren Kosten, die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Ausbeutung, die Umweltverschmutzung, die Spätfolgen der Monokulturen aus genveränderten Pflanzen – all das müsse in die Bilanzen der Produzenten und Händler eingerechnet werden. Eine Jeans für acht Dollar gäbe es dann für niemanden mehr. Ein Minimum an Menschenwürde hingegen schon.




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