Der strauchelnde Kommandeur

  19 April 2019    Gelesen: 567
Der strauchelnde Kommandeur

Petro Poroschenko hat die Armee der Ukraine im Krieg innerhalb weniger Jahre reformiert. Doch vor der Stichwahl um das Präsidentschaftsamt schwindet selbst bei den Soldaten der Rückhalt für den Staatschef.

Wenn Kompaniechef Bajda auf seinem Mobiltelefon im Nordosten der UkraineNachrichten liest, versteht er, dass er inzwischen einer Minderheit in seinem Land angehört. Gerade einmal 27 Prozent wollen wie der 35-Jährige am Sonntag für Präsident Petro Poroschenko stimmen. Der Amtsinhaber liegt damit weit abgeschlagen hinter seinem Herausforderer Wolodymyr Selensky, der laut der jüngsten Umfrage mit 73 Prozent die besten Chancen hat, zum neuen Staatschef gewählt und damit auch Oberbefehlshaber der Armee zu werden.

"Was dann? Wie will Selensky das Militär führen? Ich verstehe es einfach nicht", sagt Bajda, der gerade mit seinen Männern in einer Kaserne rund 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt in Hluchiw stationiert ist. Sie erholen sich von ihrem jüngsten Einsatz für die "Operation der Vereinten Kräfte (OOS)", wie die Militäraktion an der Frontlinie zu Luhansk und Donezk offiziell heißt. Es sind jene Gebiete, die von durch Moskau unterstützte Separatisten kontrolliert werden.

Bajda, ein Beamter aus dem zentralukrainischen Saporoschje am Dnjepr, heißt eigentlich anders. Er möchte seinen wirklichen Namen aus Sicherheitsgründen nicht in den Medien lesen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen ist er bereit zu sprechen.

Er redet ruhig, wenn er davon erzählt, dass er das alles gar nicht mehr witzig findet, was sich seit Wochen im Land abspielt. Er meint damit einen immer emotionaler werdenden Wahlkampf, in dessen Zentrum der TV-Produzent Selensky steht. Der verfügt über keinerlei politische und militärische Erfahrung, entzog sich lange Interviews und öffentlichen Auftritten, sodass nicht klar ist, was der Kandidat für das höchste Amt des Landes eigentlich will. Stattdessen machte Selenksy lieber als Comedian weiter seine Witze über Poroschenko und das politische System.

"Was zuerst witzig war, ist jetzt eine Bedrohung", findet der 35-Jährige. Selensky, der vermutlich künftige Oberbefehlshaber der Ukraine, hat bisher wenig dazu gesagt, was für Pläne er mit der Armee hat. Einmal erklärte er, man müsse die Gefechte im Donbass einstellen, was Bajda falsch findet. "Das hört sich so an, als ob nur die ukrainische Armee schießt. Aber was ist mit dem Aggressor? Wir müssen uns doch verteidigen." Auch ist der Soldat kategorisch gegen Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Selensky zunächst in Aussicht stellte. "Wer hat denn die Krim annektiert, internationales Recht gebrochen? Das war Russland."

Bajda steht mit zwei Kameraden im Zentrum von Hluchiw an der Gedenkstätte für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Auf den historischen Panzer hat jemand "Vorwärts in den Westen" gepinselt.

"Das ist die Richtung der Ukraine: Europa und Nato, das hat Poroschenko klar umrissen. Der Kurs ist endgültig und unwiderruflich, und das ist gut so", sagt Bajda. Poroschenko habe sich klar gegen Putin gestellt, sei mehrmals gleich nach seiner Wahl 2014 an die Front gefahren - zu einem Zeitpunkt, als dort damals noch Hunderte Soldaten starben. "Er ist ein starker militärischer Führer", sagt der Kompaniechef. "Er hat alles Mögliche getan, um aus den Resten der sowjetischen Armee, die es damals gab, bei all der Bürokratie und den Vorschriften eine moderne Armee aufzubauen."

Analysten wie Oleksandr Musijenko vom Zentrum für Militärrecht-Studien stimmen dieser Einschätzung zu - auch wenn die Reformen "schmerzhaft" gewesen seien, einiges wie die Kommunikation und Koordination etwa zwischen Generalstab und Brigaden noch nicht optimal laufe. Außerdem sorgt der staatliche Rüstungskonzern Ukroboronprom, ein Zusammenschluss aus 130 Firmen und Unternehmen, immer noch mit Korruptionsfällen für Schlagzeilen.

Dennoch habe Poroschenko die Einflussmöglichkeiten seines Amtes genutzt, sagt Musijenko. Poroschenko ist als Präsident auch Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, kann weitgehend ohne das Parlament über Personalien entscheiden.

Die ukrainische Armee besteht inzwischen aus rund 250.000 Soldaten, darunter rund 204.000 professionellen Berufssoldaten. Poroschenko hat das Budget für das Militär von rund 1,9 Milliarden Dollar im Jahr 2013 auf 3 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auch dank westlicher Unterstützung erhöht. Die Ausstattung der Armee mit Kleidung und Waffen hat sich dadurch wesentlich verbessert.

Doch so richtig gewirkt haben diese Botschaften offenbar nicht. In den 79 Sonderwahllokalen, die für die Sicherheitskräfte an der Front eingerichtet wurden, gewann Poroschenko nach Angaben der Wahlkommission in der ersten Runde nur knapp - mit rund hundert Stimmen Vorsprung.

Das hat nicht nur Soldat Bajda, sondern auch Experte Musijenko überrascht. "Ich dachte, dass mehr Soldaten die Verdienste Poroschenkos anerkennen würden."

sputniknews


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