Abhörsicher und Hacker-unerreichbar – Bundeskanzleramt setzt trotz Spott auf Rohrpost

  01 Mai 2019    Gelesen: 1333
 Abhörsicher und Hacker-unerreichbar – Bundeskanzleramt setzt trotz Spott auf Rohrpost

Während Deutschland heftig die Auswirkungen des digitalen Wandels diskutiert, hält das Bundeskanzleramt im vollen Ernst an einer Kommunikationstechnologie aus der deutschen Kaiserzeit fest, der Rohrpost. Digitalministerin Dorothee Bär verteidigte das jetzt gegenüber der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei (FDP).

Seit das Bundeskanzleramt in Berlin 2001 eingeweiht wurde, gibt es lästerliche Berichte über die beträchtlichen Dimensionen des Riesenbaus, gegen den das Weiße Haus in Washington D.C. wie ein Pförtnerhäuschen wirkt. Auch Mutmaßungen, welche aufwendige und teure Technik sich in den mehr als 280.000 Quadratmetern umbauten Raumes wohl befinden könnte, werden immer wieder angestellt. Die Besucher der alljährlichen Tage der Offenen Tür im Kanzleramt sind regelmäßig rechtschaffend beeindruckt von den Raumfluchten, und besonders die Männer diskutieren gerne, wie schnell wohl die Internetverbindung im Kanzleramt ist.

Den allermeisten fällt eine unscheinbare Klappe an einer Wand im über 140 Quadratmeter großen Büro der Bundeskanzlerin gar nicht auf. Dahinter verbirgt sich Technik, die bautechnisch etwas aufwendig und deshalb in ihrer Erstinstallierung nicht eben billig ist, jedoch keineswegs High-Tech darstellt. Aber sie gilt als zuverlässig. Und abhörsicher. Doch zu diesem Aspekt der Geschichte kommen wir noch.

Rohrpost ist im Kanzleramt immer noch erste Wahl für wichtige und eilige Dokumente

Wichtige und eilige Dokumente nehmen im Kanzleramt immer noch den Weg der Rohrpost. Dass ein Transportsystem, das vor mehr 150 Jahren erfunden wurde, von Anfang an integraler Bestandteil der Baupläne für die neue deutsche Regierungszentrale war, darüber lassen sich in den Archiven keine Hinweise finden. Vielleicht ist das Rohrpostsystem auch erst nachträglich eingebaut worden, im Rahmen von diversen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten, die seit 2001 stattfanden.

Jedenfalls ist die relative Unbekanntheit des Rohrpostsystems im Kanzleramt der Grund, warum der Lachnummer-Effekt so gut funktionierte, als nun durch eine simple Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion bekannt wurde, dass es diese Anlage im Kanzleramt gibt, dass sie angemessen genutzt wird und dass die zuständige Staatsministerin auch nicht daran denkt, das zu ändern. Dabei referiert Dorothee Bär (CSU) normalerweise gerne und ausgiebig über die Segnungen des digitalen Zeitalters, denn immerhin trägt sie den offiziellen Titel einer „Staatsministerin für Digitalisierung bei der Bundeskanzlerin“.

Rohrpost billiger als Post-Boten

Nun aber beschied sie die Liberalen im Bundestag mit der Information, dass die analoge Rohrpostanlage sinnvoll, weil sowohl ausgelastet als auch kostensparend sei. Die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion und die Antwort der Bundesregierung ließen sich bei Redaktionsschluss dieses Artikels nicht in der Dokumentendatenbank des Bundestages recherchieren.

Aber die „Saarbrücker Zeitung“ und die Nachrichtenagentur DPA wurden mit der Antwort von Dorothee Bär beliefert. Sie rechnete demnach vor, dass monatlich bis zu 2.400 Sendungen über die Kanzleramtsrohrpost intern verschickt werden, dass bis zur Einführung der elektronischen Akte im Kanzleramt nur eine Übermittlung durch zusätzliche Boten als Ersatz in Frage käme, die aber deutlich mehr als 130.000 Euro im Jahr kosten würde. Die Kosten für die Unterhaltung und Wartung der Rohrpostanlage betragen dagegen nur einen Bruchteil davon.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, lästerte pflichtgemäß: „Dass mit Dorothee Bär gerade die Staatsministerin für Digitalisierung sagt, dass die antiquierte Rohrpost quasi alternativlos sei, lässt tief blicken.“

Rohrpost ist abhörsicher und sicher vor Hackern

Marco Buschmann könnte allerdings, genauso wie die meisten Medien, die seinen hämischen Kommentar verbreiteten, nicht gründlich genug über die Antwort von Frau Bär nachgedacht haben. Der Verweis auf die noch immer nicht erfolgte Einführung der so genannten elektronischen Akte im mit Abstand wichtigsten Haus der bundesdeutschen Regierung könnte auch bedeuten, dass im Kanzleramt im Zweifel überhaupt gar nicht daran gedacht wird, diese elektronische Akte einzuführen. Denn, wir wollen noch einmal daran erinnern, die Technologie der Rohrpost mag mehr als 150 Jahre alt sein, aber sie hat den heute unschätzbaren Vorteil, dass sie abhörsicher und von Hackern nicht angreifbar ist. Diesen Aspekt haben die Kritiker und Spötter offenbar komplett ausgeblendet.

Rohrpost hat erstaunlich lange funktioniert – vor allem in Berlin

Überhaupt hat sich die Rohrpost, trotz schnell expandierender anderer Kommunikations- und Nachrichtenübertragungstechnologien, erstaunlich lange gehalten, gerade in Berlin. Wenn man auf die Anfänge dieses Systems in der deutschen Hauptstadt zurückblickt, fällt auf, dass die wesentlichen Motive seiner Einführung schon damals Schnelligkeit und Zuverlässigkeit waren. Die erste Rohrpostverbindung wurde in Berlin 1865 in Betrieb genommen. Nicht zufällig zwischen dem seinerzeitigen ersten Haupttelegrafenamt in der Französischen Straße und dem Sitz der Berliner Börse am Hackeschen Markt. Für die dortigen Händler waren schnelle und zuverlässige Nachrichtenübermittlung bares Geld wert.

Mit bis zu 15 Metern pro Sekunde schossen die verschließbaren Kartuschen, die der Berliner Volksmund umgehend zur „Rohrpostbombe“ taufte, dank Druckluft in einem Leitungsnetz, dass in seiner größten Ausdehnung einmal 250 Kilometer in ganz Berlin umfassen sollte, das weltweit größte. Rohrpost konnte einst in Berlin vom Olympiastadion bis nach Rummelsburg, von Zehlendorf bis Pankow oder vom Grunewald bis Neukölln transportiert werden. Selbst als drahtgebundene Kommunikation wie Telegramm, Telefon und Telex ihren Siegeszug angetreten hatten, konnte sich die Rohrpost behaupten. Zu allen Zeiten ihrer Existenz schätzten Absender wie Empfänger am Rohrpostsystem dessen schnelle und sichere „Daten“-Übertragung ohne große Umwege. Es ist gewiss kein Zufall, dass dies vor allem wichtige Regierungsstellen in der deutschen Hauptstadt betraf, die zum Teil hochsensible Post zu befördern hatte.

Das änderte sich auch nicht nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Millionenmetropole. In West-Berlin endete die Ära der Rohrpostzustellung für die Allgemeinheit 1963, in einigen Betrieben und Behörden aber erst 1972. In Ost-Berlin wurde der öffentliche Rohrpostbetrieb 1976 eingestellt. Aber noch in den 80ern nutzte die Redaktion des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ in der Nähe des Ostbahnhofs eine Rohrpostverbindung mit dem Postamt am Alexanderplatz. Und noch heute wird in Berlin Rohrpost genutzt, nicht nur im Kanzleramt. Europas größtes Klinikum, die Charité, verschickt tägliche Tausende Kartuschen mit Röntgenbildern, Gewebe- oder Blutproben usw. Und wer beim Einkaufen an der Kasse etwas aufmerksamer ist, dem wird auffallen, dass in manchen Supermärkten oder anderen großen Konsumtempeln Rohrpost für den Transport von Bargeld genutzt wird.

Rohrpost erlebt eine bemerkenswerte Renaissance

Überhaupt kann vom Tod der Rohrpost keine Rede sein. Als in West-Berlin das Ende der Rohrpost eingeläutet wurde, dachte man in Hamburg über eine Erweiterung des dortigen Netzes nach. Und in unseren Tagen ist Instandsetzung, Erweiterung oder kompletter Neubau von Rohrpostnetzen eine Selbstverständlichkeit. Vor allem Krankenhäuser nutzen bis heute dieses Transportsystem. Zum Teil in bemerkenswerten Dimensionen. Die Medizinische Hochschule Hannover beispielsweise würde Deutschlands Digitalministerin Dorothee Bär wahrscheinlich ohne zu zögern für ihr Lob der Kanzleramt-Rohrpost verteidigen, denn in Hannover hat man so hervorragende Erfahrungen mit diesem Transportsystem gemacht, dass dort die über 60 Kilometer lange Anlage mit mehr als 600 Stationen von Grund auf den neuesten Stand gebracht wird. Auch Industrieunternehmen weltweit setzen in ihren hochmodernen Produktionsstätten unbeirrt auf die Technik, die laut FDP antiquiert sei.

Rohrpost ist wahrscheinlich der beste Abhörschutz für das Kanzleramt

Welches mögliche Motiv hinter der Treue des Kanzleramtes zur Rohrpost steht, haben wir bereits angedeutet. Vielleicht erinnert sich ja die eine oder der andere an das Entsetzen und die Fassungslosigkeit, als 2013 herauskam, mit welcher unvergleichlichen Dreistigkeit die angeblichen Freunde USA und Großbritannien mit ihren Geheimdiensten NSA und GCHQ deutsche Regierungsstellen elektronisch ausspionierten. Und wer sich dann auch noch daran erinnert, dass mit der Schnüffelei selbst vor dem Mobiltelefon der Bundeskanzlerin kein Halt gemacht wurde, der braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Benutzung der Rohrpost im Bundeskanzleramt ganz gewiss kein Zufall ist.

Rohrpost ist nicht die einzige „antiquierte“ Technik, die eine Renaissance erlebt

Noch eine andere angeblich „antiquierte“ Technik erlebte wegen der Spionage der USA und Großbritanniens einen ungeahnten Neustart. Als der Whistleblower Edward Snowden der Welt einen Schock versetzte, wie umfangreich und unverfroren die USA und Großbritannien mit ihren Nachrichtendiensten die Telekommunikation der halben Weltbevölkerung ausspionieren und überwachen, soziale Medien im Internet manipulieren, damit Wahlen beeinflussen und im Privatleben von Millionen unschuldiger Menschen schnüffeln, hatte das ungeahnte Konsequenzen.

Die deutschen Schreibmaschinenhersteller Triumph-Adler und Olympia meldeten 2014, dass die Umsätze ihrer Geräte, die von vielen schon als museumsreif erklärt wurden, geradezu explodierten. Triumph-Adler verkaufte 2014 ein Drittel mehr analoge Schreibmaschinen als 2013, und Olympia verdoppelte sogar seinen Umsatz und verkündete das beste Geschäftsjahr seit 20 Jahren. Der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages überlegte ernsthaft, die Ausschussunterlagen nur noch auf analogen Schreibmaschinen anfertigen zu lassen. Und Geheimdienste weltweit, auch russische, holten ihre bereits eingemotteten Schreibmaschinen wieder aus den Depots oder orderten neue.

Dazu trug sicher auch die seinerzeitige Werbung von Triumph-Adler bei, die ihre Schreibmaschinen ausdrücklich als „abhörsicher“ beworben hatte. Vielleicht sollten Marco Buschmann und seine Kolleginnen und Kollegen in der FDP-Bundestagsfraktion einfach noch einmal ein bisschen in den Archiven nachlesen, wie man auf die Nase fallen kann, wenn man zu technikgläubig und zu hochmütig gegenüber anderen, insbesondere Frauen, ist. Das geht in diesem Fall sogar ohne Rohrpost.

sputniknews


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