Schlüsselpositionen: Syriens Staudämme rücken in den Fokus der Bürgerkriegsparteien

  23 Januar 2016    Gelesen: 1069
Schlüsselpositionen: Syriens Staudämme rücken in den Fokus der Bürgerkriegsparteien
Staudämme spielen im Rahmen von Geo- und Sicherheitspolitik stets eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt, weil diese ein bedeutendes Instrument bei der Kontrolle der Wasserversorgung darstellen. Ende Dezember eroberten der syrische PKK-Ableger, PYD, und ihr militärischer Arm YPG, den Tischrin-Damm auf dem Euphrat.
Im syrisch-irakischen Verteilungskampf zwischen Rebellen, Kurden, der al-Assad- sowie der irakischen Regierung sowie der Terrormiliz „Islamischer Staat“ sind strategisch wichtige Punkte auf der Landkarte wichtig, um über eingezeichnete Einflusszonen hinweg perspektivisch Macht zu entfalten und expansiv auf Kosten anderer Akteure vorzurücken: So auch im Falle von Staudämmen.

Im Laufe der blutigen Geschichte der Bürgerkriege in Syrien und Irak standen drei davon im Fokus kriegerischer Auseinandersetzungen: Angefangen beim Tabqa-Staudamm über den Mossul-Staudamm im Irak bis jetzt zum Tischrin-Staudamm.

All jene Punkte garantieren die Projektion eines realen Einflusses entlang des entsprechenden Flussverlaufs. So ist der Tabqa-Damm mittlerweile Dreh- und Angelpunkt, damit nicht zuletzt auch Überlebensader des selbsternannten „Islamischen Staates“ in Syrien. Den Mossul-Damm griffen irakische Sicherheitskräfte als einen der ersten Punkte an, nachdem der IS in den Irak einmarschierte und sich den Damm für kurze Zeit sichern konnte. Hätte der IS den Staudamm am Tigris halten können, würde er die irakische Regierung in Bagdad von Wasserlieferungen, die wichtiger als der Zugriff auf Energieträger sind, abhängig machen können.

Ende Oktober kam der Tischrin-Staudamm entlang des Euphrats in Nordsyrien in den Fokus medialer Aufmerksamkeit, als Milizen der sogenannten „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF), die maßgeblich von der syrischen PKK kontrolliert werden, den Damm binnen weniger Tage einzunehmen vermochten.

Der Tischrin-Staudamm ist der letzte Damm, der in Syrien auf dem Euphrat neben dem Tabqa- und dem Baath-Staudamm gebaut wurde. Beide liegen vom Tischrin-Damm aus gesehen weiter südlich. Der Bau des Damms begann im Jahr 1991, als erkannt wurde, dass Tabqa zu wenig Energie produzierte. Beendet wurde der Bau im Jahr 1999, nur ein Jahr, bevor der Machthaber Hafiz al-Assad starb, der Vater des jetzigen Präsidenten Syriens Baschar. Der Tischrin-Damm dient primär der Generierung von Energie aus Wasserkraft. Mit seinen sechs Turbinen hat er eine Kapazität von 630 MW. Ein weiteres wichtiges strategisches Merkmal ist, dass der Damm nur 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt. In den letzten Jahren war der Damm immer wieder Brennpunkt zwischen YPG- und IS geführter Offensiven.

Der Tischrin-Damm befand sich seit 2014 in der Hand des IS. Eine jüngste Offensive der YPG zwischen dem 24. und 26. Dezember führte zum Besitzerwechsel. Es war ein wichtiger Sieg für die umstrittene Kurden-Miliz, die ihr nationalistisches Ziel, die Gründung Kurdistans, mit einem Vormarsch gen Westen in Richtung ihres dritten Kantons Afrin verwirklichen möchte, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Ungeachtet des YPG-Vormarsches wurde berichtet, dass sich noch eine versteckte IS-Zelle in der Ortschaft aufhalte und angeblich bereit sei, den Staudamm mittels großer Mengen Sprengstoff in die Luft zu sprengen. Die Folgen: Der Kurdenmiliz würde der Zugang zu den Energieressourcen, die der Damm zur Verfügung stellt, verwehrt werden und sie würde einen der wenigen verbliebenen Flussübergänge, derer es bedarf, um den Euphrat zu überqueren, verlieren. Dies scheint angesichts der relativen Ruhe in der Ortschaft nicht realistisch zu sein.

Es erscheint als zweifelhaft, dass der kurdische Sieg in Tischrin langlebig ist. Einerseits droht der IS, eine Gegenoffensive um Tischrin zu starten, welches einer der wichtigsten Punkte ist, um Ost- und Westsyrien miteinander zu verbinden. Andererseits haben die Turkmenen-Milizen und andere moderate Rebellen mit einer Großoffensive von Azez aus gestartet und mithilfe türkischer Luft- wie Bodenunterstützung bereits zahlreiche Dörfer vom IS befreit. Die Rebellen wollen bis auf die Stadt Dscharablus vorrücken sowie in letzter Konsequenz die YPG wieder auf die östliche Seite des Euphrats zurückdrängen.

Bei allen Operationen der YPG spielten vor allem Luftschläge der US-geführten Anti-IS-Koalition im Vorfeld eine zentrale Rolle. Dennoch betrachtet die Türkei, ein bedeutender Akteur im syrischen Bürgerkrieg, die YPG nicht als krediblen Faktor und lehnt es auf Grund ihrer inhaltlichen und ideologischen Verbindungen zur türkischen PKK weithin ab, diese zu unterstützen. Die Luftunterstützung, die die YPG in Tischrin erhielt, wurde jedoch vom türkischen NATO-Stützpunkt zur Verfügung gestellt, damit gab es bisher zumindest indirekt Unterstützung für die Miliz. Das dürfte sich spätestens mit dem Übertritt auf die Westseite des Euphrats geändert haben. Die Türkei erklärte die Azez-Dscharablus-Linie zur „roten Linie“ für den PKK-Ableger. Dem widersetzt sich die YPG unter dem Eindruck türkisch-russischer Zerwürfnisse infolge des Abschusses eines russischen Bombers im türkisch-syrischen Grenzgebiet durch die türkische Luftwaffe am 24. November immer offener. Die YPG betrachtet Ankaras politischen Streit mit Moskau als willkommenes Zeitfenster für ihre Expansion, glaubt sie doch, dass die Türkei außenpolitisch durch Russland unter Druck gekommen sei.

Insbesondere die USA sollen durch das Handeln der YPG in Tischrin bemerkt haben, so eine Analyse der türkischen Denkfabrik ORSAM, dass die Kooperation mit zwei einander in der Türkei aufs blutigste bekämpfenden und in Syrien gegensätzlichen Kräfte langfristig nicht tragbar ist. Türkische Analysten sehen die Türkei als zweitgrößte NATO-Armee und wider alle Anschuldigungen eines „Schulterschlusses Ankaras mit dem IS in Syrien und Irak“ im Kampf um die Gunst Washingtons am längeren Hebel. Zudem bleibt zu bemerken, dass die Türkei gerade wegen der Verwerfungen mit Moskau an der Südachse Russlands unverzichtbar für US-amerikanische Geopolitik ist. Die Türkei kontrollieren die strategisch wichtigen Meerengen zwischen Dardanellen und Bosporus und könnten russischen Handel sowie Militärversorgung gen Mittelmeer im Kriegsfalle kurzerhand unterbinden.

Umso mehr die YPG eigene strategische Überlegungen verfolgt und sich damit nicht ausschließlich in den Dienst der USA stellt, desto mehr rücken Washington und Ankara einander näher. Die USA würden sich zunehmend des Umstandes bewusst werden, dass eine weiterführende Unterstützung YPG-geführter Kräfte zur Verschlechterung der Stabilität der Region führe, glaubt ORSAM. Zumindest die regional einflussreichen Türken, welche die Titularnation der Türkei stellen, die sunnitischen Araber Syriens, ebenfalls die Mehrheitsbevölkerung des Staates stellend, und die Araber Iraks stehen der Gründung eines Kurdenstaates unter PKK-Führung skeptisch gegenüber, die wegen ihrer fragwürdigen politischen Ziele und militärischen Praktiken von der Türkei, den USA, der EU und der UN als terroristische Vereinigung gelistet wird. Gute Beziehungen zu Kurden, wie das Beispiel der Barzani-Regierung im Nordirak beweist, pflegt Ankara bereits seit Jahren mit Erfolg und man ist auch bereit, etwaige Emanzipationsbewegungen derselben, sofern diese nicht expansiven Charakters sind, grundsätzlich zu unterstützen. Gegen die PKK jedoch, welche türkisches Territorium im mehrheitlich von Kurden besiedelten Südosten beansprucht, führt der türkische Staat nach einem mehrjährigen Waffenstillstand erneut einen Krieg.

Im Endeffekt hebt der Kampf um die Staudämme in Syrien und Irak eines hervor: In Ländern, in denen Energieträger wie Erdöl und Erdgas zu Genüge zur Verfügung stehen, spielen Wasserressourcen unter den ansonsten harten Lebensbedingungen im Nahen Osten eine zentrale Rolle. In Ermangelung einer stabilen und effektiven staatlichen Kontrolle wurden Staudämme zu Kriegszonen, nicht selten zur Ursache von Zusammenstößen.

Obwohl die Türkei lange Zeit ihrer eigenen Projekte zum Bau von Staudämmen in der Südosttürkei wegen von Damaskus und Bagdad kritisiert wurde, bleibt eines unangesprochen: Trotz Bürgerkriegs und der Zerstörung von einzelnen staatlichen Institutionen sind die südlichen Nachbarstaaten der Türkei dazu anzuhalten, eine Wasserverwaltung aufzubauen, die den Rohstoff Wasser in Zukunft effizienter nutzt. Auch wenn die Türkei mehr Wasser durchlassen würde – wie von den arabischen Nachbarn gefordert -, bleibt es an den lokalen Regierungen hängen, die Ressource verantwortlich zu nutzen. Ohne entsprechende Institutionalisierung ist das langfristig nicht möglich.

Der erste Schritt dahin wäre laut ORSAM die Wiederherstellung der Grenzsicherung vonseiten syrischer Behörden, was die Türkei lange über eigene paramilitärische Ableger aufseiten der Rebellen zu kompensieren suchte. Das ist wegen der feindlichen Haltung der YPG und des IS gegenüber Ankara, die das Gros syrischen Territoriums entlang der türkischen Grenze kontrollieren, jedoch nicht mehr möglich. Die Adressierung einer Erwartungshaltung an Damaskus ist wegen des noch immer ungeklärten Schicksals Syriens praktisch unmöglich. Vor allem sollte der Konflikt in Syrien auf die Region des Nahen Ostens reduziert werden und eine weitere Internationalisierung wie jene über die Einmischung von Großmächte vermieden werden.

Schließlich müssen sich, wenn überhaupt, alle Akteure der einhelligen Zerstörung von IS-Strukturen widmen, damit sind alle NATO-Staaten wie auch die Russische Föderation gemeint. In diesem Kontext können allerdings wegen der Konsolidierungsgefahr des IS in Syrien und Irak geopolitische Erwägungen keine zentrale Rolle mehr spielen. Die Stärkung der al-Assad-Regierung und nationalistische Ziele der YPG, wie die Gründung von „Rojava“ (so nennen syrische Kurden ihren potenziellen Staat) auf Kosten syrischer Araber und Turkmenen, die alle beide auf Kosten von Rebellen erfolgen sollen, sind hinderlich und dem Kampf gegen dem IS gegenüber unehrlich, hinderlich wie auch Ressourcen aufreibend.

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