Sebastian Kurz hat alles versucht. Österreichs Regierungschef hat anderthalb Jahre lang jeden Fehltritt seines Koalitionspartners von Rechtsaußen wegmoderiert, aus dem Weg geschafft, teilweise auch einfach ausgesessen. Die Harmonie sollte über allem stehen in Wien, das sollte er sein, der "neue Stil", den der Shooting Star seinen Wählern versprochen hatte: Gemeinsam anpacken statt anpatzen. Also beließ es Kurz bei sachten Ermahnungen, wenn die FPÖ sich mal wieder einen Skandal leistete – bloß keinen Streit riskieren.
Als vor einigen Wochen der EU-Spitzenkandidat der Freiheitlichen, Harald Vilimsky, dem Star-Journalisten Armin Wolf vor laufender Kamera mit "Konsequenzen" wegen einer unangenehmen Frage drohte, bequemte sich der Kanzler nur zur Aussage, er sei "ein Fan unabhängiger Medien". Diese unabhängigen Medien haben nun aber den nächsten Skandal veröffentlicht: Ein Video aus dem Jahr 2017, auf dem der jetzige Vizekanzler und damals-schon-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit einer reichen Russin allerlei unmoralische und halblegale Optionen auf gegenseitige Gefälligkeiten sondiert.
Die Oligarchen-Nichte war nicht echt, der politische Schaden ist es umso mehr. Und dazu noch so groß, dass Kurz kaum seine schützende Hand über die FPÖ legen kann, ohne sich zu verbrennen. Die logische Konsequenz: Er muss die Koalition beenden.
Oft war in den letzten Monaten von der ominösen "roten Linie" des Kanzlers die Rede. Kritiker ätzten: Wo keine ist, kann auch keine überschritten werden. Allerdings scheint es sie tatsächlich zu geben, nur nimmt sie immer wieder einen anderen Verlauf: Der Braunauer Stadtrat, der das international berühmt gewordene "Rattengedicht" verfasste, musste seinen Hut nehmen. Der FPÖ-Spitzenpolitiker, in dessen Burschenschaft vor über einem Jahr Bücher mit antisemitischen Liedern gefunden wurden, ist nach einer Abkühlungsphase wieder zurück im politischen Geschehen. Harald Vilimsky darf, wie erwähnt, seinen Feldzug gegen Armin Wolf und den ORF unbeirrt fortsetzen.
Egal, wo die rote Linie aktuell verläuft – wenn dieses Video sie nicht überschreitet, was dann? Ein Vizekanzler, der bei Schnaps und Zigaretten den Umbau von Österreichs Medienlandschaft nach dem Modell Orbán skizziert, der Journalisten als "die größten Huren" bezeichnet, der staatliche Aufträge im Gegenzug für eine gute Presse in Aussicht stellt, der windige Modelle für die Parteienfinanzierung erläutert, so ein Vizekanzler ist untragbar.
Kurz weiß das. Er weiß auch, dass weder die großen einheimischen noch ausländischen Medien, auf deren Meinung er viel Wert legt, eine Ermahnung nach Schema F goutieren würden. Kurz hat viel Ressourcen, Zeit und Nerven in die Imagepflege dieser Regierung gesteckt. So viel, dass man seine eigenen Leute stöhnen hören konnte darüber, dass sie ständig den Dreck des Koalitionspartners aufkehren müssen. Er hat mit viel Aufwand im Ausland für Verständnis für das Bündnis mit der FPÖ geworben, auch und gerade in Israel. Er hat sich Mühe gegeben, aber er wird sich fragen müssen, ob es die Mühe wirklich wert war.
n-tv
Tags: