Als Honecker in Bukarest zusammenbrach

  08 Juli 2019    Gelesen: 631
 Als Honecker in Bukarest zusammenbrach

Im Juli 1989 befindet sich die DDR in einer tiefen Krise. Immer mehr Menschen flüchten über Ungarn in den Westen. In dieser Zeit fällt dann auch noch SED-Chef Erich Honecker krankheitsbedingt aus. Wochenlang herrscht bei der politischen Führung in Ost-Berlin Sprachlosigkeit.

Der Gipfel der Staats- und Parteichefs des Warschauer Paktes ist das bestimmende Thema der DDR-Fernsehnachrichten am Abend des 7. Juli 1989. Die in den TV-Bildern dargestellte Brüderlichkeit zwischen den Spitzenfunktionären ist nur gespielt, denn bei den Beratungen in der rumänischen Hauptstadt herrscht eine frostige Stimmung. Vor allem zwischen Michail Gorbatschow und Erich Honecker gibt es Spannungen.

Denn die Sowjetunion verabschiedet sich auf dem zweitägigen Bukarester Gipfel nämlich offiziell von der Breschnew-Doktrin der begrenzten Souveränität der Mitgliedsstaaten. Der sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow verkündet die "Freiheit der Wahl", das heißt, die Beziehungen der UdSSR und ihrer bisherigen Satellitenstaaten untereinander sollten künftig "auf der Grundlage der Gleichheit, Unabhängigkeit und des Rechtes eines jeden Einzelnen, selbstständig seine eigene politische Linie, Strategie und Taktik ohne Einmischung von außen auszuarbeiten", entwickelt werden.

Damit löst sich Moskau nach und nach von seiner Bestandsgarantie für die Mitgliedsstaaten. Honecker ist dagegen, ist doch ohne die schützende Hand der UdSSR die Existenz der DDR gefährdet. Erfolglos versucht er mit seinem engsten Verbündeten, Rumäniens KP-Chef Nicolae Ceausescu, Gorbatschow von diesem Vorhaben abzubringen.

Doch Honecker sollte noch auf eine andere Weise für Schlagzeilen sorgen. Denn am Abend des 7. Juli - es ist ein Freitag - bricht der erste Mann der DDR zusammen und muss zurück nach Ost-Berlin geflogen werden. Für den Rest der Beratungen leitet Ministerratschef Willi Stoph die DDR-Delegation.

Zunächst wird Honecker mit schweren Gallenkoliken in das rumänische Regierungskrankenhaus in Bukarest eingeliefert. Kurz darauf wird sein Transport mit einem Sonderflugzeug in die DDR veranlasst. Im DDR-Regierungskrankenhaus in Berlin-Buch entfernt man ihm die Gallenblase und einen Abschnitt des Dickdarms. Während der Operation entdecken die Ärzte einen Nierentumor, doch sie wagen es nicht, den 76 Jahre alten Patienten darüber zu unterrichten. Der Krankenbericht dazu ist dramatisch: Es gibt Komplikationen bei der OP, Honeckers Blutdruck sackt lebensbedrohlich ab, der Patient zeigt in den Folgetagen Anzeichen von Verwirrtheit und Desorientierung.

In der Bundesrepublik war Honeckers Gesundheitszustand bereits vor dem Zusammenbruch in Bukarest ein Gesprächsthema. Nach Angaben der damals zum Springer-Konzern gehörenden "Berliner Morgenpost" wollen westliche Besucher Ende 1988 beim SED-Generalsekretär deutliche Anzeichen von Altersabbau festgestellt haben. Er zeige Konzentrationsschwächen und Gedächtnislücken und spreche Sätze nicht zu Ende, hieß es. Den damaligen Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble sprach Honecker mehrfach mit "Herr Bundeskanzler" an. Schon im Frühjahr 1989 trat der erste Mann der DDR für geraume Zeit nicht in der Öffentlichkeit auf.

Bernd Brückner war Honeckers Leibwächter. Sein Leibwächter Bernd Brückner schreibt in seinem 2014 erschienen  Buch "An Honeckers Seite", dass "EH bewusst und gesund gelebt" habe. Er habe sogar einen leichten Anflug von Hypochondrie gehabt. "Er wusch sich am Tag mehrmals die Hände, und wenn er dies bei langen Händeschüttelschlangen nicht konnte, reichte ich ihm ein entsprechendes Hygienetüchlein." In den 60er-Jahren habe Honecker mit dem Rauchen und dem exzessiven Genuss von Alkohol aufgehört. "Es kam höchst selten vor und dann gleichsam unter politischem Zwang, dass er sich in der sowjetischen Botschaft mal einen Wodka genehmigte." Brückner weiter: "In den späten 80er-Jahren, nachdem er die 70 schon weit überschritten hatte, wurden die Untersuchungen intensiver und umfangreicher, so dass er auch über Nacht im Regierungskrankenhaus blieb."

Honeckers Krankheit fällt in eine für den zweiten deutschen Staat schwierige Phase. Immer mehr DDR-Bürger verlassen über Ungarn das Land. Die Unzufriedenheit der Zurückgebliebenen wächst. Durch auf Verschleiß gefahrene Betriebe wachsen die ökonomischen und ökologischen Probleme. Doch die SED-Führung lehnt Reformen ab. Im allmächtigen Politbüro herrscht Sprachlosigkeit.

Die Jahre 1989 und 1990 stehen für den politischen Umbruch in Osteuropa. Wichtige Ergebnisse sind das Ende des Kalten Krieges sowie der Teilung Deutschlands und Europas. In einer losen Reihe beleuchtet n-tv.de die Ereignisse von vor 30 Jahren.
Wochen vergehen bis zum nächsten Honecker-Auftritt. Im August 1989 nimmt er von der Krankheit gezeichnet einige Termine wahr. So besucht Honecker am 14. August 1989 das Kombinat Mikroelektronik in Erfurt. Dem greisen SED-Chef werden die ersten Funktionsmuster von 32-Bit-Prozessoren übergeben. Honecker preist die "Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaft" gegenüber dem Kapitalismus, obwohl der Ostblock den technologischen Wettbewerb gegen den Westen bereits verloren hat. Er prägt einen Satz, der in negativer Hinsicht Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat und der Honeckers politischen Starrsinn und Realitätsverlust deutlich macht: "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf."

Danach taucht der Generalsekretär wieder wochenlang ab. Sein Intimus Günter Mittag - verantwortlich für wirtschaftliche Fehlentwicklungen in der DDR - leitet in dieser Zeit die Sitzungen des SED-Politbüros. Erst im September 1989 ist Honecker wieder in der Öffentlichkeit präsent - abgemagert und geistig nicht voll auf der Höhe. Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 stehen vor der Tür. Anderthalb Wochen später wird Honecker von seinen eigenen Leuten gestürzt.

n-tv


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