Die kommenden Landtagswahlen in Teilen Ostdeutschlands dürften vor allem CDU und SPD Schweißperlen auf die Stirn treiben. Die Frage ist nicht mehr, ob beide Parteien an Zustimmung verlieren werden, sondern nur noch, wie viel. Hinzu kommt eine mittlerweile stabile Wählerschaft bei der AfD, die im Osten der Republik grundsätzlich stärker punkten kann als im Westen.
Wählerschwund bei der CDU …
Blickt man speziell nach Sachsen, so neigt sich die schwarz-rote Regierungskoalition von Ministerpräsident Michael Kretschmer ziemlich sicher dem Ende zu. Das bestätigt auch der Verfassungs- und Demokratieforscher Prof. Dr. Hans Vorländer von der TU Dresden. Der ausländischen Presse erklärte der Polit-Experte am Mittwoch in Berlin die Hintergründe dieses Wandels:
„Die CDU als Partei hat seit den 2000er Jahren bis zur letzten Landtagswahl 2014 absolut deutlich an Stimmen verloren, vor allen Dingen hin zu Nichtwählern und Gruppierungen rechts von der CDU. Und das Entscheidende ist, dass diese von der CDU enttäuschten Wähler von den anderen Parteien - mit Ausnahme von NPD und AfD - nicht haben aufgefangen werden können.“
Ein Resultat dieser Unzufriedenheit sei in Sachsen eine steigende Politikverdrossenheit, 2014 habe es im Freistaat erstmals mehr Nichtwähler als Wähler gegeben. Der Experte erkenne aber auch, dass in einigen Bundesländern mit steigender Wahlbeteiligung die AfD stärker geworden sei, also davon profitiere.
Prof. Vorländer sieht gleich mehrere Gründe für die stabilen Werte der Alternative für Deutschland, speziell in Sachsen. Dies sei zum einen eine tiefe Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, zu denen vielfach auch bereits die Linke gezählt werde. Zweitens habe die Flüchtlingskrise zu Widerstand gegenüber den Regierenden geführt, da der Osten mit Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen zuvor keine Erfahrung gemacht hatte. Und es gebe noch einen dritten Punkt:
„Die AfD macht Angebote, die für Wählerinnen und Wähler eine gewisse Versuchung darstellen: National zu sein, für die Heimat einzutreten, für die Bewahrung von Identität, für die Schließung von Grenzen und für die Kontrolle von Flüchtlingsströmen. Das sind dann eben solche Antworten, die manch einen bewegen, für die AfD zu stimmen.“
Der Experte sieht allerdings auch ein Versagen der etablierten Parteien, sich die von der AfD eroberten Räume zurückzuerobern. Vorländer weist in diesem Zusammenhang auf den Wahlkampf in ländlichen Bereichen Sachsens hin: In einigen Regionen seien die meisten Parteien im öffentlichen Raum kaum wahrzunehmen, nicht einmal Wahlplakate seien dort von CDU, SPD und Co. zu finden. Der Professor nennt dies „aufgegebene Räume“:
„Das ist beispielsweise in Ost-Sachsen keine neue Entwicklung, das haben wir seit den 2000er Jahren beobachten können. In diese Räume ist zunächst die NPD hineingegangen, bis in Schulen und Jugendclubs, und dort haben sie sich sozusagen von unten her aufgebaut. Und diese Räume werden jetzt eben sehr stark von der AfD besetzt.“
Langsam gebe es allerdings auch Gegenbewegungen, wie beispielsweise in Görlitz und Bautzen. Dort sei die Zivilgesellschaft laut dem Politologen immer aktiver, um der Besetzung von öffentlichen Gebieten durch rechte Parteien entgegenzutreten.
Verlust an beiden Rändern …
Während in ländlichen Bereichen häufig die AfD-Wähler mobilisieren kann und damit der CDU das Wasser abgräbt, so verliert die Regierungspartei in den Städten an die Grünen. Das ist laut Prof. Vorländer den beiden großen Themengebieten geschuldet, die in der Bevölkerung als wichtig gelten: Auf der einen Seite Migration und innere Sicherheit, auf der anderen Seite Klimaschutz und Umwelt:
„Die Grünen leben sehr stark von der Resonanz in den urbanen Gebieten. Sie sind in Dresden bei den Kommunalwahlen die stärkste Partei geworden, sie sind auch sehr stark in Leipzig. Insofern haben Sie thematisch als auch bei der Zustimmung der Wählerschaft eine neue Polarisierung.“
Diese mache sich im Übrigen auch im Alter der Wähler bemerkbar: Während AfD-Anhänger meist älter seien, verzeichneten die Grünen nach Beobachtung des Experten vor allem bei jungen Wählern einen Zuwachs.
Verbundenheit mit Russland …
Auch das Thema Russland spielt bei der Wahl im Osten, vor allem in Sachsen, eine Rolle. Ministerpräsident Kretschmer war jüngst nach Moskau gereist, auch fordert er im Gegensatz zu seiner Bundespartei ein Ende der Wirtschaftssanktionen. Prof. Vorländer erkennt für den positiven Blick Sachsens Richtung Moskau gleich mehrere Gründe: Einerseits einen ökonomischen, denn durch die Sanktionen ist der Export des Freistaats nach Russland um 70 Prozent zurückgegangen. Doch zweitens gäbe es auch eine kulturelle Verbundenheit:
„In Ostdeutschland und gerade auch in Sachsen gibt es ein Gefühl der Nähe zu Russland, welches sich im Wesentlichen auch auf die Kultur bezieht. Viele haben in der Sowjetunion studiert, sind der russischen Sprache mächtig. Und über diese Form der Sozialisation hat sich ein Gefühl des wechselseitigen Verstehens entwickelt.
Eine dritte Rolle für das häufig positive Russlandbild im Osten sei laut dem Wissenschaftler die Kritik der ostdeutschen Bevölkerung an der Politik der USA. Dies habe auch seine Wurzeln in dem Antiamerikanismus, der zu DDR-Zeiten vorherrschte.
Bleibt die Frage: Wie wird es nach der Wahl in Sachsen weitergehen? Nachdem CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zunächst ein Bündnis mit der AfD nicht ganz ausgeschlossen hatte, ist dies für ihn nach aktuellen Aussagen keine Option mehr. Ob das auch nach der Wahl so bleibt, ist auch für den Experten fraglich:
„Es hat eine Umfrage unter den 60 Direktwahlkandidaten der CDU gegeben. Von denen haben 45 gesagt, dass sie sich eine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD nicht vorstellen können. Bleiben 15 übrig. Und es gibt ja auch ganz offensichtlich innerhalb der CDU Kräfte, die durchaus Gemeinsamkeiten in politischen Positionen mit der AfD erkennen lassen und das auch ganz deutlich formulieren.“
Sollte es allerdings soweit kommen, dass die CDU nach der Wahl ernsthaft über eine Koalition mit der AfD verhandelt, so, ist sich Prof. Vorländer sicher, könne dies nicht mit Kretschmer an der Spitze geschehen. Sein Glaubwürdigkeitsverlust dürfte dann zu einer Absetzung des bisherigen Ministerpräsidenten führen.
Der gemeinsame Nenner …
Doch so weit ist es noch lange nicht, theoretisch könnte es im Freistaat auch für ein Regierungsbündnis zwischen CDU, SPD und Grünen reichen. Wenngleich die Positionen zwischen Schwarz und Grün vor allem in Sachen Umweltpolitik und Tagebau weit auseinander liegen. Es läuft also wieder einmal auf einen politischen Kompromiss hinaus. Ob dieser dann auch gut für Sachsen ist, muss am Ende wiederum der Wähler entscheiden.
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