Die Macht des Kreml erodiert

  09 September 2019    Gelesen: 823
Die Macht des Kreml erodiert

Der Wahlsonntag in Russland hat gezeigt: Putins Regierungssystem bröckelt. Seine Stammpartei Einiges Russland ist inzwischen so unpopulär, dass kremltreue Politiker als vermeintlich unabhängige Kandidaten ins Rennen gehen – und vielerorts versagen.

Im Lager der russischen Oppositionellen wird heute gejubelt: Die symbolträchtige Wahl zum Moskauer Regionalparlament versetzte der Kreml-Partei Einiges Russland einen empfindlichen Schlag. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen zeichnet sich ab, dass Einiges Russland und ihre Unterstützer 12 Sitze im gerade 45 Sitze umfassenden Regionalparlament verloren haben.

Im September werden in Russland traditionell Lokal- und Regionalwahlen abgehalten. Im Moskauer Regionalparlament dürften nun 21 oppositionelle Abgeordnete sitzen. Das wirtschaftsliberale Blatt „Wedomosti“ titelt bereits: „Die Partei der Macht hat Moskau verloren”. Diese Einschätzung ist wohl verfrüht, denn bis auf vier Abgeordnete von der nicht in der Staatsduma vertretenen liberalen Jabloko-Partei handelt es sich um Politiker der Kommunisten sowie der linken Partei Gerechtes Russland. In der föderalen Duma bilden sie kremltreue Fraktionen.

Die große Hoffnung der Kremlkritiker ist nun, dass diese auf regionaler Ebene ihr kritisches Potenzial entdecken und gegen den Kreml stimmen werden. Zur Wahl „Systemoppositioneller” hatte ausgerechnet der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny aufgerufen, nachdem seine Mitstreiter nach dubiosen Absagen aus der Wahlkommission nicht zur Moskauer Wahl antreten durften. Die Folge waren wochenlange Demonstrationen und eine Welle von Polizeigewalt und politischen Prozessen gegen Demonstrationsteilnehmer. Diese haben nun offenbar viele Moskauer und andere Russen in noch größere Proteststimmung versetzt.

Diese hält nun seit mehr als einem Jahr an. Für Wut sorgte die Rentenreform vom vergangenen Sommer - gerade die machte Einiges Russland für viele Russen unwählbar. Schon die Wahlen im vergangenen September waren für den Kreml unerfreulich ausgegangen. In vielen Regionen schnitt Einiges Russland überraschend schwach ab und konnte die Mehrheit nur mit Mühe halten. In zwei Regionen regieren seitdem Gouverneure von der rechtspopulistischen LDPR, in einer Region ein bislang kaum politisch in Erscheinung getretener junger Kommunist. In der Region Chabarowsk wird der LDPR-Gouverneur nach der gestrigen Wahl von einer Mehrheit seiner Partei in der regionalen Duma unterstützt.

Laut Meinungsumfragen unterstützt heute landesweit gerade ein Drittel der Russen die Kreml-Partei. So klein war der Anteil der Einiges-Russland-Unterstützer in der russischen Bevölkerung noch nie. Das Hauptproblem des russischen Autokraten sind dabei weniger die westlich orientierten jungen Moskauer, sondern der Rest des Landes. Mit Wladimir Putins Stammpartei konnten sich viele Russen anfreunden, als die Wirtschaft um sieben bis acht Prozent jährlich wuchs, genau wie die Realeinkommen der Bevölkerung.

Doch damit ist es seit Jahren vorbei. Die Realeinkommen fallen, die Wirtschaft stagniert. Schon vor Jahren versprach Putin, die russische Wirtschaft aus der Abhängigkeit von Gas- und Öl-Exporten zu führen, doch heute ist diese größer denn je. Russlands mittlere und kleine Unternehmer ächzen unter der Willkür der Bürokratie. Russland hat heute in absoluten Zahlen mehr Staatsbedienstete als die Sowjetunion vor 30 Jahren – viele Gruppen der russischen Bevölkerung haben also guten Grund, unzufrieden zu sein.

Das erklärt auch die landesweite Welle der vermeintlich unabhängigen Kandidaten, welche Kremls Spindoktoren ohne das toxisch gewordene Einiges-Russland-Etikett ins Rennen schickten. Von 16 Kreml-Gouverneurskandidaten traten sieben als Unabhängige an. Bei der Regionalwahl in Moskau, wo Putins Partei mit einem Rating von rund 20 Prozent ohnehin notorisch unbeliebt ist, warb keiner der Kreml-Kandidaten fürs Regionalparlament mit seiner Einiges-Russland-Mitgliedschaft. Viel gebracht hat es nicht.

In Sankt Petersburg hingegen ging der Trick auf: der von Putin eingesetzte Übergangsgouverneur Alexander Beglow, der als Unabhängiger kandidierte, wurde offenbar im Amt bestätigt – wie auch Putins Übergangsgouverneure in anderen Regionen. Für Putins Premier Dmitri Medwedew, der zugleich Einiges-Russland-Parteichef ist, lief deswegen alles gut. Er zeigte sich „zufrieden” mit den Ergebnissen. Die Wahlbeteiligung lag landesweit allerdings im Schnitt bei nur 34 Prozent, kein gutes Omen für Moskaus Eliten, meint etwa der Politologe und Kenner der russischen Regionalpolitik Alexander Kynew. Von breiter Unterstützung für die Kreml-Politiker kann keine Rede sein.

Für die Duma-Wahlen in zwei Jahren verheißen die Ergebnisse des Sonntags für den Kreml wenig Gutes. Die Ära der leicht erzielbaren Mehrheiten geht für den Kreml allmählich zu Ende. Trotz Medienkontrolle, Druck auf Staatsbedienstete als Wähler – etwa Lehrer oder Ärzte – und Nichtzulassung vieler starker Oppositionskandidaten sind Wahlsiege für Putins Parteigänger nicht mehr programmiert.

Die Kontrolle des Kreml über alle Ebenen der Staatsmacht lässt sich in der heutigen Form nicht länger halten. Wladimir Putin läuft nun Gefahr, dass seine Westentaschenoppositionellen wie die rechtspopulistische LDPR oder die Kommunisten zu ernsthaften politischen Konkurrenten heranwachsen könnten – sofern die Führung der Parteien nicht vor dem Kreml einknickt.

Quelle : welt.de


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