Frankreich: Gewährt Macron dem Whistleblower Snowden Asyl?

  19 September 2019    Gelesen: 825
  Frankreich: Gewährt Macron dem Whistleblower Snowden Asyl?

Der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden hat zum Erscheinen seiner Autobiografie dem Sender France Inter ein Interview gegeben, in dem er sagte, dass er in Frankreich gerne Asyl bekommen würde.

Schon vor einiger Zeit hatte der Whistleblower, der fließend Französisch spricht, sich mit dieser Bitte an den früheren Präsidenten Francois Hollande gewandt, allerdings vergeblich. Sputnik befragte dazu Antoine Lefébure, Autor des Buchs „L’Affaire Snowden“.

„Edward Snowden hat der ganzen Menschheit einen großen Gefallen getan, indem er etliche Beweise publik machte, dass es ein globales Ausspähungssystem gibt.“

Am 15. September erklärte die französische Justizministerin Nicole Belloubet während der Radio- und TV-Sendung „Le Grand jury RTL Le Figaro LCI“, sie würde die Idee begrüßen, Snowden Asyl zu gewähren. Einen Tag später äußerte sich die französische EU-Parlamentsabgeordnete der Partei „La République en Marche“ Nathalie Loiseau ähnlich.

Der amerikanische Whistleblower hatte bereits 2013, unter Präsident Hollande, Asyl in Frankreich beantragt, doch sein Antrag wurde damals abgelehnt. Loiseau, ehemalige Ministerin für EU-Angelegenheiten, verwies darauf, dass sich mit Snowdens Antrag die Flüchtlingsschutzbehörde OFPRA befassen sollte, die nach ihren Worten „eine völlig unabhängige Agentur“ ist. Dennoch sei es fraglich, ob sich die Exekutive in diese äußerst wichtige Frage wirklich nicht eingemischt hätte. 

Am 16. September zeigte sich Snowden in dem besagten Interview erneut an einem Asyl in Frankreich interessiert. Paris‘ Zusage wäre nach Auffassung vieler Beobachter eine Chance, sich als „Gegengewicht-Großmacht“ für die USA zu etablieren, wie das Präsident Emmanuel Macron formuliert hatte. Das wäre auch ein Beispiel dafür, wie man in Einklang mit den Grundwerten der Französischen Republik handeln sollte, betonte Loiseau gegenüber France Inter.

„Ich würde mich sehr freuen, wenn er sich in Europa befinden würde“, sagte die Politikerin. „Kein einziges Land hat Snowden Asyl gewährt. Das widerspricht total den Prinzipien, die wir propagieren.“

Aber was hindert Frankreich daran, Edward Snowden Asyl zu geben? Und welchen Status haben in Frankreich solche Whistleblower? Sputnik wandte sich mit diesen Fragen an Antoine Lefébur, Experte für Kommunikationstechnologien und Autor des Buchs „L’Affaire Snowden: comment les États-Unis espionnent le monde“.

Sputnik France: Edward Snowden erklärte, er würde „sehr gern“ Asyl in Frankreich bekommen. Nicole Belloubet sprach sich dafür aus, genauso wie Nathalie Loiseau, nach deren Auffassung er „ der Menschheit einen großen Gefallen getan“ hat. Ist Macrons Regierung Ihrer Meinung nach bereit, Edward Snowden Asyl zu gewähren? Besonders wenn man bedenkt, dass in Frankreich über solche Anträge offiziell nicht die Exekutive, sondern eine unabhängige Behörde entscheidet.

Antoine Lefébur: Das ist nicht ausgeschlossen. Aber da wird die französische Regierung mit einer Sicherheitsfrage konfrontiert, die übrigens in Russland viel weniger akut ist. In Frankreich gibt es Probleme mit der Sicherheit. Das haben die Anschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und auf die Konzerthalle „Bataclan“ deutlich gezeigt. Ob Edward Snowden sich in Frankreich in Sicherheit befinden würde? Das glaube ich nicht. Hier wäre er höchstwahrscheinlich einer großen Gefahr ausgesetzt.

Sind unsere Beziehungen mit den USA immer noch viel wichtiger als die Werte, für die Frankreich steht?

In Wahrheit haben wir da keine große Wahl, denn Frankreich ist immerhin sowohl an der Nato als auch an den Aktivitäten der NSA beteiligt. Es verwendet dieselben Anlagen und dieselbe Software. Wie gesagt: In Frankreich besteht das Problem vor allem in der Sicherheit – sehr viele Vertreter der (US-amerikanischen) Rüstungsindustrie würden ihn gerne fertig machen, und zwar nicht aus Rache, sondern vor allem damit ein entsprechender Präzedenzfall entsteht. Er hat viele Dinge getan, für die er immer noch nicht bestraft wurde – und damit schwebt er tatsächlich in Gefahr.

Aber warum hat er dann wieder Asyl in Frankreich beantragt und auch die Medien darüber informiert?

Möglicherweise überschätzt er einfach Frankreichs Unabhängigkeit und das Sicherheitsniveau in unserem Land. In den 1930er-Jahren waren viele jüdische Intellektuelle vor dem Faschismus geflüchtet und haben Asyl in der Heimat der Menschenrechte gefunden. Aber das half ihnen nicht – einige Jahre später landeten sie doch in Konzentrationslagern. Es ist also nicht das erste Mal, dass jemand Frankreichs Fähigkeit zum Schutz von Asylanten überschätzt.

Und was kann man über den politischen Willen der französischen Regierung sagen?

Ich denke, da gibt es zwei Lager. Die einen sind Atlantiker und sehen keinen Sinn darin, einen Mann zu beherbergen, den die Hälfte der US-Bevölkerung für einen Verräter hält. Und die anderen betrachten ihn als Verteidiger der Freiheiten und glauben, dass man ihn aufnehmen sollte.

Wäre das für Frankreich nicht eine einmalige Chance, sich als Führungskraft der freiheitlichen Welt und als ausgleichende Kraft zwischen Russland und den USA zu etablieren?

Ja, für Macron wäre das eine Möglichkeit, etwas zu tun, womit er in den Augen der Öffentlichkeit positiv dastünde. Aber er wird diesen Schritt nicht wagen – das vermute ich jedenfalls.

Vielleicht hat die französische Führung Angst, dass sie durch die Aufnahme Snowdens oder auch anderer Whistleblower ihre Aktivitäten quasi begrüßen würde?

Natürlich hat sie Angst, dass sie dadurch andere Whistleblower ermuntern würde. Außerdem würden die Kräfte in der US-Regierung, die Snowden für einen Verräter halten, sich das nicht gefallen lassen. Frankreich gehört immerhin zu den wichtigsten Verbündeten der USA, vor allem in Afrika.

Wie ist es um den Status von Whistleblowern in Frankreich bestellt? Sind sie besser geschützt als in den USA?

Nein, sie befinden sich in einer ziemlich ungünstigen Umgebung, die viel schlechter als in den USA ist. In Frankreich hört der Schutz der Informanten dort auf, wo die Staatssicherheit und Akten mit der Aufschrift „Streng vertraulich“ beginnen. Sie können sich nur so lange sicher fühlen, solange sie keine Informationen über technische oder Industriesektoren verbreiten – und unter der Bedingung, dass dies mit militärischen Fragen oder mit Aufklärung nichts zu tun hat.

Übrigens sollten Informanten laut Gesetz zunächst ihre Vorgesetzten verständigen, dass sie diese oder jene Informationen veröffentlichen…

Genau. Und man kann sich ja vorstellen, wie das in Wirklichkeit abläuft… Das einzige Ziel dieses Gesetzes ist, den Eindruck zu vermitteln, dass Informanten weiterhin in Sicherheit sind, nicht aber, sie richtig zu schützen.

sputniknews


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