Was wird aus Siemens und seinem Chef?

  22 September 2019    Gelesen: 1203
Was wird aus Siemens und seinem Chef?

Nach sechs Jahren hat der Aufsichtsrat genug von Siemens-Chef Joe Kaeser. Noch knapp ein Jahr darf er die Machtübergabe gestalten - und an seinen "Visionen" feilen. Was aus denen wird, ist allerdings genauso schwer zu beantworten, wie die Frage, ob Kaeser dem Konzern erhalten bleibt.

Die Götterdämmerung von Joe Kaeser hat begonnen. Technologievorstand Roland Busch wird zum 1. Oktober offiziell Stellvertreter von Kaeser. Ob er auch sein Nachfolger wird und wann Kaeser genau geht, soll im Sommer 2020 entschieden werden. Damit leitet der Aufsichtsrat den Chefwechsel früher ein, als viele gedacht haben. Dabei ist Kaeser längst nicht fertig mit seinen "Visionen", wie er die beiden Pläne zum Umbau von Siemens getauft hat.

"So etwas macht man normalerweise nicht mitten im Konzernumbau", sagt Fondsmanager Ingo Speich vom Sparkassen-Vermögensverwalter Deka, der den Konzernen beim Thema gute Unternehmensführung auf die Finger schaut. Busch übernimmt praktisch eine Baustelle. Doch die Investoren sind des Siemens-Chefs nach sechs Jahren überdrüssig geworden.

"Herr Kaeser sollte das Ruder möglichst schnell übergeben", fordert Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment. "Was zählt, sind nicht Visionen, sondern handfeste Fakten. In den Ergebnissen spiegelt sich das noch nicht wider." Busch steht damit von Anfang an unter Druck: "Kaesers Nachfolger muss liefern. Execution ist alles."

Infineon, Epcos, Osram – alles weg


Auch intern ist von der Begeisterung für Kaeser nicht viel geblieben, der 2013 den glücklosen Peter Löscher ablöste. Der ehemalige Finanzvorstand setzte damals nicht mehr nur auf Wachstum, sondern auf die Ergebnisse. Negative Sondereffekte und Pannen gehörten der Vergangenheit an, die Konzernstruktur wurde vereinfacht. "Aber seine Maßnahmen haben sich verbraucht", sagt heute ein Aufsichtsrat, der ungenannt bleiben will. Die ständige Umstrukturierung habe die Belegschaft zermürbt. "Viele Mitarbeiter sind nicht mehr stolz, für Siemens zu arbeiten."

So stark wie Kaeser hat kein Vorstandschef seit 50 Jahren den Industriekonzern umgebaut, nicht einmal Heinrich von Pierer, der 1999 die Chip-Tochter Infineon und die Elektronik-Sparte Epcos an die Börse brachte. Kaeser trennte sich von der Lichtsparte Osram, brachte die Windkrafttochter bei der spanischen Gamesa unter, brachte die Medizintechnik unter dem Namen Siemens Healthineers an die Börse, in der - bisher vergeblichen - Hoffnung auf eine große Übernahme. 2020 will er als Schlusspunkt die Mehrheit an der margenschwachen Energietechnik über einen Börsengang abgeben. Und wenn Kaeser nicht den Widerstand der EU-Kommission unterschätzt hätte, wäre auch die Verkehrstechnik mit dem französischen Erzrivalen Alstom fusioniert worden.

Kaeser wollte den Investoren gefallen, den aktivistischen Anlegern immer einen Schritt voraus sein. Doch die Aktie machte nie die erhofften großen Sprünge: Mit 97 Euro steht sie heute wieder da, wo sie vor fünf Jahren schon lag. "Vielleicht hat er zu viel auf einmal angepackt", glaubt Diehl. "Man kann sagen, er hat seine Versprechen nicht eingehalten." Kaeser habe die Strategie von US-Konzernen wie Honeywell abgekupfert, die sich auf die Automatisierung konzentriert hätten - die aber anders als Siemens bereits hohe Margen lieferten.

Siemens muss jetzt tatsächlich ein Powerhouse werden


Speich geht weniger hart ins Gericht mit ihm: "Das Zielbild eines digitalen Konzerns ist noch nicht erreicht. Und auch die Profitabilität lässt zu wünschen übrig. Der Umbau braucht eine gewisse Zeit." Viel Zeit, sich einzugewöhnen, wird Busch nicht haben. Sein Vorteil: Der 54-Jährige hat sein ganzes Berufsleben bei Siemens verbracht, für das Tagesgeschäft war er schon bislang zuständig. "Der Konzern muss ganz schnell wieder wachsen, um nicht selbst zum Übernahmeobjekt zu werden", fordert ein Aufsichtsratsmitglied.

Busch traut man zu, die Unternehmen auszumachen, die Siemens im künftigen Kerngeschäft mit der Vernetzung von Städten und Gebäuden (Smart Infrastructure) und in der Automatisierung der Produktion (Digital Industries) voranbringen. 20, vielleicht 30 Milliarden Euro Umsatz mehr sollten es sein. Die Finanzierung dürfte kein Problem sein - wenn sich Siemens zurzeit Geld leiht, bekommt der Konzern aufgrund seiner hohen Bonität sogar Zinsen.

Aber auch Michael Sen, der das Energiegeschäft nach der Abspaltung in den Dax führen soll, hat große Aufgaben vor sich: Erst einmal muss er die Investoren überzeugen, bei denen das Geschäft mit großen Gasturbinen keine Lobby mehr hat. Und dann braucht er ein neues Geschäftsmodell, damit der neue Konzern tatsächlich zu einem "Powerhouse" wird, wie es intern genannt wird.

"Nur, wenn aus Joe Kaeser wieder Josef Käser wird"


"Siemens Power muss zum Musterfall für die Energiewende in Deutschland werden", fordert der Aufsichtsrat. Davon ist das Unternehmen weit entfernt: So herrscht zwischen dem traditionellen Kraftwerksgeschäft und Siemens Gamesa mit seinen Erneuerbaren Energien quasi Funkstille.

Und was wird aus Kaeser? Der 62-Jährige hatte sich offenbar ausgerechnet, nach dem Abschied aus dem operativen Geschäft nach der zweijährigen "Abkühlphase" Aufsichtsratschef der Siemens AG zu werden. Doch zum einen hat Amtsinhaber Jim Hagemann Snabe, der als ehemaliger SAP-Manager die notwendige Digitalisierungskompetenz mitbringt, Gefallen an seiner Aufgabe gefunden.

Zum anderen sieht man bei Investoren, aber auch im Konzern einen Aufsichtsratschef Kaeser inzwischen kritisch. Allenfalls bei Siemens Power könne man sich ihn in dieser Funktion vorstellen, "aber nur, wenn aus Joe Kaeser wieder Josef Käser wird", sagt ein Unternehmens-Insider. In seiner Zeit bei Siemens in den USA hatte er seinen Geburtsnamen amerikanisiert. "Doch das wäre für ihn nur zweite Wahl", glaubt ein einflussreicher Investor. Eher werde Kaeser anderswo eine Aufsichtsratskarriere starten. Bei Daimler gehört er dem Gremium schon seit 2014 an.


Quelle: n-tv.de


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