Nach bundesweiter Empörung

  23 Oktober 2019    Gelesen: 611
Nach bundesweiter Empörung

Nach knapp sieben Wochen ist wieder Schluss. Der Ortsbeirat Waldsiedlung im hessischen Altenstadt wählte den NPD-Politiker Stephan Jagsch vom Amt des Ortsvorstehers ab - und beendete damit eine peinliche Polit-Posse.

Jagsch leitete die Sitzung zunächst selbst, bei der er abgewählt werden sollte. Er wolle vorher noch einige einleitende Worte sagen, teilte er gleich zu Beginn den "sehr geehrten Ortsbeiräten" und "werten Gästen" mit. Nach seiner Wahl sei er einer "Hysterie und Hetzjagd", ausgesetzt gewesen. Dann stritt er mit dem Altenstädter Bürgermeister Norbert Syguda (SPD) einige Minuten darüber, ob seine Abwahl in offener oder geheimer Wahl stattfinden müsse. Am Ende hoben sieben der acht anwesenden Ortsbeiräte die Hand gegen Jagsch, er selber votierte für seinen Verbleib im Amt.

Jagsch war Anfang September von den Ortsbeiratsmitgliedern zum politischen Repräsentanten der Siedlung gewählt worden, einstimmig. Die Freizeit-Ortspolitiker von CDU, SPD und FDP erklärten hinterher, Jagsch sei der einzige gewesen, der aus dem Gremium heraus für das Amt kandidiert habe. Überdies könne er im Unterschied zu den meisten anderen im Ortsbeirat mit einem Computer umgehen und Emails verschicken, meinte einer der Ortsbeiräte. Jagschs Vorgänger, ein FDP-Mann, hatte das Amt niedergelegt, weil er von der "politischen Wirkungslosigkeit des Gremiums" überzeugt war.

Tatsächlich verfügen hessische Ortsbeiräte in der Regel über fast keine eigene politische Gestaltungsmacht. Sie können Vorschläge machen oder Hinweise von Bürgern an die Stadtverwaltung weiterleiten, die verbindlichen Entscheidungen über die Initiativen treffen jedoch dann die übergeordnete Gemeindevertretung oder der Altenstädter Bürgermeister.

Polizei bewacht Sitzung des Ortsbeirats

Dass sie mit der Wahl von Jagsch dennoch einen schweren Fehler gemacht haben, dämmerte den Ortsbeiratsmitgliedern spätestens, als wenige Tage nach der Wahl Politiker und Generalsekretäre ihrer Parteien auch auf Bundesebene ihr Entsetzen äußerten. Auch Bürgermeister Syguda drängte, Jagsch zum nächstmöglichen Sitzungstermin nach den hessischen Herbstferien wieder abzuwählen. Der Antrag dazu wurde daraufhin von allen Ortsbeiratsmitgliedern unterschrieben, die Jagsch zuvor gewählt hatten.

Diese Volte verschaffte dem Gremium, das normalerweise weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle tagt, nun zumindest ein beträchtliches öffentliches Interesse. Ungefähr 100 Zuschauer waren in das Gemeinschaftshaus der Siedlung gekommen, das vorsichtshalber mit 250 Plätzen bestuhlt worden war. Am Eingang hatten die Zuschauer zunächst ausführliche Personenkontrollen über sich ergehen lassen müssen. Die Gemeinde hatte einen Sicherheitsdienst engagiert, deren Mitarbeiter in alle mitgebrachten Taschen schauten und die Besucher auf Waffen abtasteten. Die Wetterauer Polizei war ebenfalls mit mehreren Beamten vor dem Gemeinschaftshaus postiert.

Morddrohung gegen NPD-Ortsvorsteher

Jagsch hatte der Polizei zwar zugesagt, dass die NPD auf Demonstrationen verzichten werde, aber die Ordnungsbehörden waren sich vorher keineswegs sicher, ob sich nicht andere Rechtsextreme aus Anlass der Abwahl auf sich aufmerksam machen würden. Auch möglicherweise gewaltsame Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten wurden nicht ausgeschlossen. Jagsch selbst hatte vor der Sitzung ein Foto mit einer Morddrohung gegen ihn veröffentlicht: "Nazisau Jagsch töten", hatte jemand auf seine Garage geschmiert.

Am Ende blieb es dann aber doch einigermaßen ruhig. Einige Jagsch-Sympathiesnten im Saal murrten während der Sitzung über die Abwahl. "Kasperletheater" , sagte ein junger Mann in der vierten Reihe halblaut. Eine Frau im gelben Pullover beklagte, dass "die Demokratie ausgehebelt" werde. Jagsch sei seit 2006 Mitglied im Ortsbeirat und rechtskräftig gewählt worden. Der Meinungsumschwung der Ortsbeiräte sei offenbar nur auf Druck von außen entstanden.

"Gewählt ist gewählt" , sagte auch eine grauhaarige Frau, als sie vor Beginn der Sitzung an der Eingangskontrolle wartete. Ihr sei egal, welcher Partei der Ortsvorsteher angehöre, Hauptsache er kümmere sich um die Belange der Bürger. Ein Rentner, der daneben stand, schüttelte den Kopf. "Ein NPD-Mann und bekennender Neonazi, das geht doch überhaupt nicht", sagte er. Der Riss gehe mitten durch den Ort, meinte er.

Als Nachfolgerin von Jagsch wurde die Christdemokratin Tatjana Cyrulnikow gewählt. Die 22-jährige Studentin und Kreisvorsitzende der Jungen Union in der hessischen Wetterau erhielt sieben Stimmen. Auch sie gehörte schon vorher dem Waldsiedlungs-Ortsbeirat an, konnte sich aber als unbelastete Kandidatin präsentieren: Bei der Sitzung im September, in der Jagsch gewählt worden war, hatte sie entschuldigt gefehlt.

spiegel


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