Warum Russland und China aktuell „historischen Höhepunkt“ erleben

  05 November 2019    Gelesen: 910
Warum Russland und China aktuell „historischen Höhepunkt“ erleben

In Potsdam trafen sich am vergangenen Wochenende Experten aus Europa und Asien, um über aktuelle geopolitische Herausforderungen zu diskutieren. Alljährlich laden das „WeltTrends-Institut für Internationale Politik“ (IIP) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu diesem „Außenpolitischen Dialog“. Am Samstag stand Eurasien im Fokus. Sputnik war vor Ort.

Der „Potsdamer Außenpolitische Dialog“ – den das „WeltTrends-Institut für Internationale Politik“ (WT-IIP) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brandenburg alljährlich im November organisieren – gilt mittlerweile als feste Größe unter den außenpolitischen Fachtagungen in Deutschland. Dort erörtern internationale Experten jedes Jahr im Herbst, im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, aktuelle Fragen der internationalen Politik. Darunter ehemalige Diplomaten, Politologen und Militär-Fachleute. Das Thema am vergangenen Samstag trug den Titel: „Eurasien im 21. Jahrhundert: Zwischen Kooperation und Konkurrenz“.

Auf der Veranstaltung referierte unter anderem der Sozialwissenschaftler Chen Zhuangying von der „International Studies University“ in Shanghai, einer renommierten Hochschule an Chinas Ostküste.

„China respektiert Deutschland sehr, sowohl wirtschaftlich als auch politisch und kulturell“, sagte der chinesische Deutschland-Experte Chen im Sputnik-Interview vor Ort. „Das chinesische Volk steht Deutschland ganz positiv gegenüber.“

Dabei gebe es enge Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland im technischen Forschungsbereich. Beispielsweise mit dem „Fraunhofer-Institut“, einem vielschichtigen deutschen Forschungs-Zentrum mit vielen Standorten, das zur absoluten Weltspitze in der Technologie- und Informations-Branche gehört. „Wir kooperieren sehr viel mit deutschen Forschungsgemeinschaften, in der Technik und auch in der Sozialwissenschaft“, so der Forscher aus der chinesischen Handelsmetropole Shanghai.
„Informelle eurasische Strukturen in der EU“

Bulat Sultanov von der „Kasachisch-Deutschen Universität“ in Almaty – ein Experte aus Kasachstan für Sicherheitspolitik in Zentralasien – sprach über die zentralasiatischen Länder auf der Veranstaltung. Der Ost-Berliner Politikwissenschaftler Erhard Crome referierte über eurasisch geprägte „informelle Strukturen in der EU“. Darunter die osteuropäischen Visegrad-Staaten oder das „17+1-Format“, sprich China und Osteuropa, sowie die „Drei-Meeres-Initiative“. Asien-Experte Wolfram Wallraf, Senior Research Fellow am WT-IIP, nannte in seinem Vortrag historische Gründe für den gegenwärtigen Aufstieg Chinas, ging dabei aber auch auf Risiken und Herausforderungen für Peking ein. „WeltTrends“-Pressesprecher, Politologe und Abrüstungs-Experte Hubert Thielicke führte teilweise moderierend durch den Tag.

Auch Russland-Kenner und Experten wie Alexander Rahr waren Gäste der Veranstaltung in Potsdam. Dort sah der Volkswirt und Abrüstungs-Experte Lutz Kleinwächter, gleichzeitig auch Vorsitzender vom Verein „WeltTrends“, einen positiven Hoffnungsschimmer für die nahe Zukunft der Menschheit.

Deutschland: „Wichtigster Partner für China“ – Experte aus Shanghai

„Die chinesische Regierung betrachtet Deutschland als wichtigsten Partner in Europa“, sagte der chinesische Deutschland-Experte Chen vor Ort gegenüber Sputnik. Die Europäische Union (EU) werde in Peking als „eine der wichtigsten Mächte der politischen Welt“ wahrgenommen. „Die wirtschaftliche Entwicklung ist für China von wichtigster Bedeutung. Denn unser Land war vor 40 Jahren sehr, sehr arm. Mit der Reform- und Öffnungspolitik (unter Deng Xiaoping, Anm. d. Red.) haben wir es geschafft, dass die meisten Chinesen viel besser leben als vorher. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Deutschland ist für China mit seiner Wirtschaftsstärke und dem technischen Fortschritt sehr wichtig, auch der bilaterale Handel trägt seit Jahrzehnten Früchte.“ 

Dennoch betonte er, China sei „vor allem im ländlichen Raum“ immer noch tatsächlich ein Entwicklungsland. Dies sagte er, angesprochen auf kritische Stimmen aus dem Westen, die fordern, China den Status eines „Entwicklungslandes“ in der UNO und daraus folgende Entwicklungshilfe-Gelder, auch aus Deutschland, abzuerkennen.

„Die quantitative Zahl der wohlhabenden Chinesen ist groß, aber die Prozentzahl ist sehr gering. Die Kluft zwischen Land und Stadt ist noch immer groß. Es gibt noch sehr viele Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Deshalb ist es richtig, dass China weiter in diesem Entwicklungskreis eingestuft wird.“

Noch bis 2017 war die chinesische Gesetzgebung in der Außenwirtschaft so gefasst, dass kein ausländischer Investor mehr als 49 Prozent Anteile an einem Unternehmen in China besitzen durfte. Diese Regelung war ab 1980 unter dem chinesischen Wirtschaftsreformer und KP-Politiker Deng Xiaoping einer der Faktoren für den wirtschaftlichen Aufholprozess Chinas. Seitdem holte die Volksrepublik strategisch und gezielt ausländisches Kapital ins Land – ohne die politische Kontrolle über die chinesische Wirtschaft abzugeben. Vor zwei Jahren veränderte die chinesische Regierung nun diese Joint-Venture-Regelung für ausländische Investoren.

„Das ist der neuste Schritt“, kommentierte Chen im Interview. „Seitdem gibt es keine 49-Prozent-Grenze bei Joint-Venture-Firmen mehr. Das bedeutet einen großen Schritt nach vorn in der Öffnungspolitik Chinas.“ Peking erhoffe sich dadurch, „mehr Investitionen aus dem Ausland zu gewinnen und mehr Zuversicht in die eigene ökonomische Entwicklung zu demonstrieren.“
Warum Peking und Moskau aktuell „Honeymoon“ feiern

Angesprochen auf die chinesisch-russischen Beziehungen – auch in Hinblick auf die Sicherheit Eurasiens, also der Kontinente Europa und Asien – sagte der Forscher aus Shanghai:

„Russland und China erleben aktuell eine Honeymoon-Periode“, erklärte er. Der englische Begriff „Honeymoon“ bedeutet so viel wie „Hochzeitsreise“ oder kann auch mit „Hochphase“ übersetzt werden. „Das haben wir Donald Trump zu verdanken. Der führt die beiden zusammen. Aber traditionell haben beide Staaten schon eine lange Geschichte. Das Vertrauen ineinander befindet sich historisch in einer Höhepunkt-Phase. Das ist gut und trägt zur regionalen Stabilität bei.“
„Zentralasien will Chinas Neue Seidenstraße“ – Sicherheits-Experte aus Kasachstan

Professor Sultanov aus Almaty, der früher unter dem Namen Alma-Ata bekannten Hauptstadt Kasachstans und dessen immer noch unangefochtenes kulturelles, wissenschaftliches und wirtschaftliches Zentrum, sprach beim „Potsdamer Dialog“ die Folgen der aktuellen Weltneuordnung für den zentralasiatischen Raum an. 

„Die Region befindet sich im Epizentrum eines Dreiecks zwischen Russland, China und der islamischen Welt“, sagte er. „Ein schwieriges Problem für Zentralasien ist das Anwachsen radikaler religiöser Bewegungen in Nachbarländern der Region: Afghanistan, Iran, Pakistan, Türkei. Nicht zu übersehen sind die Bemühungen des ‚Islamischen Staates‘*, in Zentralasien einzudringen.“

Dabei hätten die Islamisten mit gewissen – teilweise nur vorgetäuschten – sozialen Forderungen für die Bevölkerung „die Kommunisten in dieser Rolle“ abgelöst. „Immer mehr Menschen in Zentralasien folgen radikalen islamischen Organisationen“, beklagte er.

„Angesichts der schwierigen sozial-ökonomischen Situation in den zentralasiatischen Ländern sind mittelfristig Versuche nicht auszuschließen, die säkulare Regime stürzen könnten. Bisher kam es in vier zentralasiatischen Ländern zu einem unblutigen Wechsel. Von der ‚alten Garde‘ blieb nur der Präsident Tadschikistans – Emomalij Rahmon – an der Macht. Lediglich Kasachstan hat Grenzen mit Russland und China – kein Wunder also, dass beide Länder für Kasachstan die wichtigsten außenpolitischen Richtungen darstellen.“

Allerdings fehle der Region, die bis 1991 Teil der Sowjetunion war, eine tatsächliche multilaterale Zusammenarbeit. Frühere Projekte wie die „Zentralasiatische Union“ scheiterten immer wieder auf lange Sicht. „Im März 2018 fand erstmals in den letzten zehn Jahren ein Treffen der Führer der fünf Länder in Astana statt, auf dem die Erweiterung der regionalen Zusammenarbeit eine große Rolle spielte.“

Zu bewältigende Herausforderungen für die Region seien neben den klassischen Wirtschaftsthemen auch der illegale Handel von Waffen, Drogen und Menschen. „Die Einnahmen daraus kassieren Vertreter der herrschenden Eliten in Zentralasien.“ Auch schwelende Grenzkonflikte wie beispielsweise zwischen Kirgistan und Tadschikistan gelte es zu lösen. Der kasachische Sicherheitsexperte sehe es positiv, dass viele dieser Staaten bereits Mitglieder in der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SCO) sind. 
Sultanov betonte, zwischen den zentralasiatischen Ländern gebe es große wirtschaftliche Unterschiede. Während Kirgistan zu den „zwanzig ärmsten Ländern der Welt“ zähle, verfüge Kasachstan über große Ressourcen. Diese würden sich jedoch in der Hand weniger Oligarchen befinden. „In Usbekistan beträgt die Arbeitslosigkeit fast 30 Prozent.“ Hinsichtlich der „Neuen Seidenstraße“, dem chinesischen Mammut-Projekt im Wirtschaftsbereich, zeigte er sich optimistisch: „Alle Länder Zentralasiens unterstützen das Projekt der Chinesen. Kasachstan wird dabei ein außerordentlich wichtiger Verkehrsknotenpunkt, auch für den Energie-Handel.“

Aktuell werden viele kasachische Eisenbahnstrecken, Transport-Infrastrukturen und Autobahnen modernisiert. „Man hofft dabei auf chinesisches Geld.“ Zudem „ist Russland interessiert, die Eurasische Wirtschaftsunion EAWU in Zentralasien voranzubringen. Immerhin ein Markt von über 183 Millionen Menschen.“ Für Kasachstan sei dies alles „von grundlegender wirtschaftlicher Bedeutung“.

Weltfrieden in Sicht? – „Die Menschheit wird es schaffen“

Lutz Kleinwächter lobte in seinem Vortrag und in seiner Funktion als „WeltTrends“-Vorsitzender „alle Redner und Anwesenden, dass diese tolle Veranstaltung immer weiter fortgeführt wird.“ Dann hob er im aktuellen Eurasien eine „Verschiebung der Werte, Themen und Akteure im 21. Jahrhundert“ hervor.

„Der eurasische Faktor wird in Deutschland und Europa nur als Herausforderung und nicht als Chance gesehen“, meinte Kleinwächter kritisch. „Wir haben als Deutschland eine günstige Situation zwischen den USA und Zentralasien.“ Er gab zu verstehen: „Das Zeitalter dominanter Imperien ist seit den 70er Jahren vorbei. Die Entwicklung verläuft von der Bi-Polarität zur Multi-Polarität.“
Mit dieser Sichtweise seien Wirtschaftsvertreter häufig schon „weiter als die Politiker. Die USA bleiben auf mehreren Ebenen eine einflussreiche Großmacht im 21. Jahrhundert. Russland bleibt eine außerordentliche Großmacht auf zwei Ebenen: Regionalpolitisch gesehen und sicherheitspolitisch aufgrund der vorhandenen Raketen-Technik.“ Chinas riesiger wirtschaftlicher Fortschritt berge Risiken und aktuell seien schon „einige Bremsfaktoren“ für das chinesische Wachstum auszumachen. „Die Ökonomie bleibt für China entscheidend.“ Damit bestätigte der deutsche Volkswirt die vorherigen Aussagen des chinesischen Analytikers Chen.

Für Kleinwächter besteht aktuell keine Gefahr eines akuten weltweiten militärischen Konflikts oder gar eines Atom-Kriegs. Selbst „kleinere Kriege wie der in Syrien sind diplomatisch mit den Großmächten abgestimmt wie noch nie“, betonte er auch bezugnehmend auf die friedensstabilisierende Rolle Russlands im Syrien-Konflikt. Für Russland, China und Indien würden aktuelle Herausforderungen darin bestehen, die Bevölkerung „wirtschaftlich flächendeckend zu versorgen. Wir im Westen haben Verteilungsfragen, Herausforderungen im Öko-Bereich und den Erhalt des bereits erwirtschafteten Wohlstands zu meistern.“

Hinsichtlich der Zukunft der Menschheit zeigte er sich positiv: „Das Ende der menschlichen Entwicklung ist noch lange nicht erreicht. Ich bin vorsichtig positiv, dass die Menschheit das hinbekommt“. Er forderte eine Art „eurasische KSZE“. Denn: „Die KSZE ist ein Schatz der Zivilisation“, sagte Kleinwächter. „Das können wir als Europa positiv in den eurasischen Prozess mit einbringen.“

sputniknews


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