In Minute 37 liefert Timo Faltus eine Anleitung zum Betrug: Wenn man neue Werkzeuge der Gentechnik mit bekannten Züchtungsmethoden kombiniere, lasse sich nicht mehr nachweisen, dass man einen gentechnisch veränderten Organismus hergestellt habe. Die Pflanze könne ohne Risikoprüfung auf deutschen Feldern angebaut und ohne Kennzeichnung in Supermärkten verkauft werden.
Die Betrugsanleitung hat der Jurist und Biologe der Universität Halle-Wittenberg Anfang der Woche vor dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages präsentiert. FDP und Grüne hatten dort Anträge zur Frage gestellt, ob das strenge deutsche Gentechnikrecht verändert werden sollte. Die Grünen sind dagegen. Die FDP will den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland erleichtern.
Sie schlägt vor, Nutzpflanzen künftig anhand ihrer Eigenschaften zu bewerten, statt anhand der Methoden, mit denen sie hergestellt wurden. "Wir brauchen einen offenen und fairen Dialog über die Chancen neuer biotechnologischer Methoden", sagte die FDP-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses Carina Konrad. In der Ausschusssitzung konnten die Parteien des Bundestags Fragen an eingeladene Experten und Interessensvertreter stellen.
Genveränderte Pflanzen sind längst Teil unseres Alltags
Dass Gentechnik hierzulande wieder ein Thema ist, liegt an einer neuen Technik, der Entwicklung sogenannter Genscheren - bekanntestes Beispiel ist Crispr-Cas. Das Besondere: Mit den Werkzeugen lassen sich Veränderungen in Pflanzen einfügen, die auch in der herkömmlichen Züchtung entstehen. "Wichtig ist, dass wir uns klar machen, dass es hier nicht darum geht, Gentechnik insgesamt zu deregulieren, sondern um einen Spezialfall", erläuterte Experte Faltus.
Der Knackpunkt sind sogenannte Punkmutationen. In Zuchtpflanzen werden diese Veränderungen einzelner Basen in der DNA seit Jahrzehnten mit erbgutschädigender Strahlung oder Chemikalien erzeugt. Das Erbgut der Pflanzen verändert sich dabei zufällig an tausenden Stellen. Aufgrund einer Sonderregelung im Gesetz, dürfen die Organismen trotzdem ohne besondere Risikoprüfung und ohne Kennzeichnung in Deutschland angebaut und verkauft werden.
Mit neuen gentechnischen Werkzeugen wie Crispr-Cas lassen sich ebenfalls Punktmutationen erzeugen - allerdings gezielt an bestimmten Stellen im Pflanzenerbgut. Pflanzen mit solchen Veränderungen gelten nach EU-Recht als gentechnisch veränderte Organismen. Das hat der Europäische Gerichtshof im Juli 2018 klargestellt. Die Nutzpflanzen müssen eine strenge und teure Risikoprüfung durchlaufen und im Handel als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden.
Leicht zu knackendes Gentechnikgesetz
Umgehen lässt sich das, indem man zuerst mit Crispr eine Mutation in eine Pflanze einfügt und sie anschließend bestrahlt. Danach kann niemand mehr nachweisen, welche Punktmutationen durch die Genschere verursacht wurde. "Sie können dann einfach behaupten, alle Mutationen stammten von der Bestrahlung und müssten die Pflanze nicht als gentechnisch verändert kennzeichnen", erklärt Faltus. Mit seinem Beispiel wolle er zeigen, wie einfach es ist, das aktuelle Gentechnikgesetz zu umgehen.
Kritiker wollen sich auf diese Argumentation allerdings nicht einlassen. Tade Matthias Spranger, außerplanmäßiger Professor an der Universität Bonn, erklärte, dass für das Rechtssystem nicht entscheidend sei, ob man einen Betrug nachweisen könne. Er verwies auf das Vorsorgeprinzip, dass immer gelte, wenn der Mensch eingreife, egal, ob man sein Eingreifen später nachweisen könne.
Der für seine gentechnikkritische Position bekannte Bio-Landwirt Felix Prinz zu Löwenstein kritisierte, dass die neue Technik mit denselben Versprechungen angepriesen werde, wie die herkömmliche Gentechnik. Das mache ihn misstrauisch, ob es sich wirklich um etwas Neues handele. Es sei klar, dass weder die Klima- noch die Hunger- oder die Biodiversitätskrise mithilfe von Gentechnik bekämpft werden könne.
Gentechnik könnte Pflanzenschutz in der Biolandwirtschaft erleichtern
"Keiner in der Wissenschaft behauptet, dass wir das Hungerproblem lösen", entgegnete der Biologe Stephan Clemens, Professor am Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie der Universität Bayreuth. "Wofür wir werben ist, dass wir zusätzliche Möglichkeiten bereitstellen können, um etwas zur Lösung beizutragen." Forscher hoffen etwa, mithilfe von Crispr neue Sorten entwickeln zu können, die Schädlingen oder Extremwetter besser standhalten.
Clemens stört, dass es in der Debatte um Gentechnik oft um ein Entweder-oder gehe, dabei müsse man sich gar nicht entscheiden. Moderne Gentechnik eigne sich sowohl als Bestandteil des Ökolandbaus als auch der konventionellen Landwirtschaft. So könne die Technik helfen, den Pflanzenschutz in ökologischen Betrieben zu verbessern und den Einsatz von umweltschädlichem Kupfer zu reduzieren.
Vorsorgeprinzip bedeute für ihn, dass abgewogen werden müsse, welche Risiken einer Technik mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten könnten, so Clemens, und welche Folgen es im Vergleich dazu haben könnte, auf eine Technik zu verzichten. "Wir müssen festhalten, dass die bisherige Praxis nicht evidenzbasiert ist und den Stand der Wissenschaft ignoriert."
spiegel
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