„Wir sind nicht die Buhmänner“

  26 November 2019    Gelesen: 686
„Wir sind nicht die Buhmänner“

Klimasünder, Tierquäler, Insektenkiller? Die Bauern haben es satt, an den Pranger gestellt zu werden. Sie wehren sich. Wir haben einen von ihnen besucht.

Wenn Frank Schmidt seinen Trecker anlässt, scheint es, als würde ein Riese zum Leben erwachen. 280 PS, fast mannshohe Reifen. Es ist nur eine Vorahnung dessen, was an diesem Dienstag auf die Hauptstadt zukommt. Frank Schmidt ist sauer. Und er ist nicht allein.

Schmidt, 1,96 groß, 46 Jahre alt, wettergegerbte Haut, kurze rote Haare, Outdoorjacke und Gummistiefel, ist ein Mann vom Land, kein Politiker. Seinen Hof hat der Landwirt in Perleberg in der brandenburgischen Prignitz. Und doch ist seine Mission jetzt politisch. Er gehört zu den Organisatoren der Bauerngroßdemo in Berlin. Seine Augen sind müde, die Augenringe tief. Diese Arbeit ist er nicht gewöhnt.

Frank Schmidt hat allein an einem Tag 3000 Nachrichten aus nur einer seiner WhatsApp-Gruppen bekommen – und er ist in 150 solcher Bauern-Chatrunden. Es geht um Protest gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung, aber eigentlich geht es um mehr. Um Ruf und Selbstverständnis eines Berufsstandes, der sich von der Politik übergangen und den eigenen Lobbyverbänden nicht mehr vertreten fühlt. Mehr als 30.000 Landwirte sind dabei. Sie vernetzen sich über Facebook und WhatsApp-Gruppen.

Die Landwirte und die Landwirtschaftsministerin stehen unter Druck. Mehr als sieben Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland kommen aus der Landwirtschaft, hat das Umweltbundesamt herausgefunden. In den vergangenen zehn Jahren sind hierzulande ein Drittel aller Insekten und Spinnen verschwunden, berichtet der Bund für Umwelt und Naturschutz und macht dafür auch den Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln in der Agrarwirtschaft verantwortlich. Tierschutzorganisationen versorgen die Öffentlichkeit mit Bildern von Tierquälereien in Ställen und Tiertransportern.

Schmidt sagt: „Es tut mir selber als Landwirt weh, wenn ich mit solchen Bildern konfrontiert werde“. Er verfahre nach dem Grundsatz: Nur wenn es dem Tier gut gehe, könne es auch ihm gut gehen. Die Landwirte als Klimasünder, Insektenkiller und Tierquäler? Das wollen sie nicht länger auf sich sitzen lassen. Sie gehen auf die Straße.

Frank Schmidt hat den Treckerkonvoi am 22. Oktober vom Nordwesten Brandenburgs zur Siegessäule nach Berlin angeführt. Vor zwei Wochen hat er sich mit seinem „Fendt“-Traktor nach Hamburg aufgemacht, um den dort versammelten Umweltministern die Meinung zu sagen. 3500 Trecker wollten damals in die Hansestadt, nur 1700 ließ die Polizei durch.

Doch das, was an diesem Dienstag auf Berlin zurollen wird, stellt alles in den Schatten. Mindestens 5000 Trecker werden erwartet, die Polizei warnt vor einem Verkehrschaos. Auf fünf Routen werden die Trecker in die Stadt rollen, Bismarckstraße, Kaiserdamm und die Straße des 17. Juni werden gesperrt. Dort sollen die Trecker parken. Auf der A 100 werden drei Ausfahrten blockiert sein.

„Das wird die größte Bauerndemo nach der Wende“, sagt Schmidt. „Für uns ist das alles Neuland, wir sind nicht die medienerprobten Volksvertreter, unsere Kompetenz ist die Landwirtschaft.“

Hinter der Großdemo steckt der Zusammenschluss von Bäuerinnen und Bauern namens „Land schafft Verbindung“. Schmidt hat sich für die Bewegung in Brandenburg engagiert. Die Initialzündung kommt jedoch aus Niedersachsen.

Im Oktober schaltet die Landwirtin Maike Schulz-Broers auf Facebook die Seite „Land-schafft-Verbindung“. Sie will, dass die Politik nicht über die Bauern spricht, sondern mit ihnen. Und sie findet, es gäbe einiges zu bereden. Die Bäuerin trifft einen Nerv. Innerhalb kürzester Zeit melden sich mehrere Tausend Landwirte, vor allem junge Leute. „Wir wollen nicht länger die Buhmänner sein“, sagt Henriette Struß, die im Orgateam der Bewegung Niedersachsen vertritt.

Das Land und die Tiere liegen den Bauern am Herzen, betont sie. Ohne sie könnten die Landwirte nicht existieren. Henriette Struß bewirtschaftet mit ihren Eltern einen Hof von 180 Hektar, das entspricht etwa der Hälfte des Tempelhofer Felds. Die Familie hält 80 Milchkühe. Die Ausscheidungen ihrer Tiere haben sie bisher dazu genutzt, die Felder zu düngen. Künftig wird das so nicht mehr gehen.

Weil in vielen Regionen das Grundwasser mit Nitrat belastet ist, muss Deutschland auf Druck der EU die Düngevorschriften verschärfen. Noch wird über die Einzelheiten verhandelt, doch derzeit sieht es so aus, als ob Betriebe in besonders belasteten Regionen künftig 20 Prozent weniger düngen dürfen. Zwar soll das vor allem die Großmäster treffen, die Tausende von Tieren halten und die Umwelt über Gebühr belasten, doch auch Henriette Struß muss sich umstellen.

Wenn sie den Dünger ihrer Tiere nicht mehr aufbrauchen kann, sagt sie, müsse sie einen Lagerraum für die überzählige Gülle schaffen. „Allein die Genehmigung dafür dauert aber ein bis drei Jahre“.
Viele Vorschläge aus der Politik, glaubt die Bäuerin, sind nicht durchdacht. Um Insekten zu schützen, dürfen die Landwirte etwa Rapssaaten nicht mehr mit Neonikotinoiden behandeln. Die Insektengifte schaden den Bienen. „Das stimmt“, sagt Struß. Doch in Bodennähe halte sich keine einzige Biene auf. Und wenn man das Saatgut nicht behandele, müsse man später umso mehr Pestizide auf die heranwachsenden Pflanzen sprühen. Struß hält das für widersinnig.

Oder Glyphosat. Die Bundesregierung will das Herbizid 2023 verbieten, weil es alles Grün tötet, mit dem es in Verbindung kommt. Auch das ist schlecht für die Insekten. Struß benutzt Glyphosat, um den Boden vor der neuen Aussaat von Unkraut und Resten von Zwischenfrüchten zu säubern. Wird das Mittel verboten, sagt sie, müsste sie stattdessen vier oder fünf Mal mit dem Trecker übers Feld fahren, um das Unkraut aus dem Boden zu holen. Das verbraucht Diesel und schadet den Hasen oder Lerchen, die im Feld sitzen. „Fragt doch mal die Praktiker, bevor Ihr pauschale Auflagen beschließt“, ärgert sich Struß über die Politiker.

Von den etablierten Bauernverbänden fühlen sich die Protestierenden nicht mehr gut vertreten. Die seien „einfach nicht mehr modern genug“, findet Frank Schmidt. Er vermisst den sachlichen Dialog, für die NGOs sei es leicht, gegen eine anonyme Berufsgruppe zu argumentieren. Der Bauernverband sieht keine Spaltung. „Land schafft Verbindung“ sei eine „Graswurzelbewegung aus den sozialen Netzwerken“, betont Generalsekretär Bernhard Krüsken. Die Demos und Aktionen seien ein großer Erfolg. „Wir stehen im Austausch mit den Organisatoren und unterstützen auf vielen Ebenen“, so Krüsken. „Wir haben die gleichen Ziele“.Doch auch die junge Bewegung hat bereits ihre erste Krise hinter sich. Einigen ist Maike Schulz-Broers zu prominent geworden, das gab Ärger. Auf einem Krisentreffen im November raufte man sich jedoch zusammen, mit klaren Zuständigkeiten, neuen Regeln und Verantwortlichkeiten auf mehreren Schultern.

Eines ist allen wichtig: Am Dienstag soll es friedlich bleiben. Bilder wie jene aus Holland, wo Bauern Absperrungen niederreißen, will man vermeiden. Manch einer hofft daher insgeheim, dass die Berufskollegen aus den Niederlanden oder Frankreich den weiten Weg nach Berlin scheuen. Gewalt würde nämlich die Verbraucher verschrecken, und deren Sympathie ist den protestierenden Landwirten wichtig. Sie wollen Verständnis schaffen, und sie hoffen, dass die Kunden dann wieder verstärkt Agrarprodukte aus Deutschland und nicht billige Importwaren kaufen. Etwa beim Hähnchenfleisch.

Bauer Schmidt hat seinen Mastbetrieb im vergangenen Jahr verkauft und konzentriert sich jetzt nur noch auf Zuckerrüben, Wintergetreide und Raps, die er auf seinen knapp 500 Hektar Land anbaut. 1,10 Euro hat er zuletzt für ein Hähnchen bekommen, das 1600 Gramm wiegt. „Da bleibt nichts über“, sagt er. Der Lebensmitteleinzelhandel setze die Mäster mit Billigimporten aus Südamerika und Osteuropa unter Druck. Aber auch die Verbraucher sieht Schmidt in der Verantwortung: „Wer 100 Gramm Hühnerbrustfilet für 1,66 Euro kauft, gibt das Recht, sich über Intensivtierhaltung zu beschweren, an der Ladentheke ab.“

Einen ersten Erfolg hat der Bauernaufstand bereits gebracht. Im Dezember will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Landwirten treffen. Und Merkels Parteifreundin, Bundesagrarministerin Klöckner, plant eine Wertschätzungskampagne – „eine Roadshow durch Deutschland, um Landwirte, Verbraucher, Umweltverbände, Politik und Medien an einen Tisch zum Dialog zu holen“.

Am Dienstag will die Ministerin auf der Kundgebung am Brandenburger Tor sprechen, um deutlich zu machen, „dass eine moderne Landwirtschaft die Wertschätzung der Gesellschaft braucht“. „Ich verstehe unsere Bauern, wenn sie keine Lust haben, der Buhmann für alles zu sein“, sagt sie. Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat sich angesagt.

Bei den Treffen mit der Politik wird Frank Schmidt nicht dabei sein. „Das ist nichts für mich“, sagt er. Jetzt, da die große Demo weitgehend organisiert ist, macht er erst einmal eine Pause. „Das ist mir zu viel geworden.“ Nun sollen andere übernehmen. Ob er am Dienstag in Berlin dabei ist, ist noch unklar. Reizen würde es ihn schon. „Das ist schon ein tolles Gefühl, mit dem dicken Trecker um die Siegessäule zu fahren“, sagt er.

tagesspiegel


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