Gehen oder bleiben? Um diese Frage kreisen die Diskussionen der SPD seit der Wahl der neuen Führungsspitze. Die Überraschungssieger Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken hatten im Wahlkampf mit der Option eines vorzeitigen Ausstiegs geworben. In einem Entwurf für den Leitantrag ist diese Frage aber auf der politischen Agenda nach hinten gerückt - zu Recht, wie Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke findet.
Woidke rief dazu auf, nicht mehr über ein Ende des Bündnisses von Union und SPD zu spekulieren. "Die SPD muss für Stabilität und Sicherheit in diesem Land stehen. Das hat sie in den letzten Jahrzehnten - auch manchmal unter Schwierigkeiten", sagte der SPD-Landesvorsitzende. "Die große Koalition jetzt war keine Liebesheirat, aber es blieb, um die Stabilität des politischen Systems in Deutschland zu sichern, keine andere Wahl."
Bei den Wählern zahle es sich jedoch nicht so aus, wie auch von ihm erhofft. "Dieses "nicht auszahlen" hat auch damit zu tun, dass wir es immer wieder selber schaffen, mit überflüssigen Diskussionen über ein schnelleres oder langsameres Ende der GroKo die Themen, die uns eigentlich wichtig sind, die Themen, die Erfolge erzielt haben, nicht genug nach vorne zu tragen", kritisierte Woidke in Potsdam.
Walter-Borjans und Esken stehen der großen Koalition skeptisch gegenüber. Im innerparteilichen Wahlkampf hatten sie sich noch gegen das Bündnis mit der Union profiliert und Nachverhandlungen gefordert. Sollten CDU und CSU dazu nicht bereit sein, werde sie dem Parteitag den Ausstieg aus der Koalition empfehlen, sagte Esken in einem TV-Duell.
Im Leitantrag ist davon nichts mehr zu finden. Im Entwurf ist nun nur noch von "Gesprächen" mit der Union die Rede. Weder der Verbleib noch der Austritt aus der Koalition sei ein Selbstzweck. Walter-Borjans sagte der Parteizeitung "Vorwärts": "Wir wollen nicht Hals über Kopf raus aus der Großen Koalition." (mehr dazu lesen Sie hier). Der Parteivorstand soll den Entwurf am heutigen Donnerstag billigen.
Führungsduo glaubt an 30 Prozent
"Die Äußerungen der letzten Tage nehme ich eher als Beleg dafür, dass die Regierungsbeteiligung der SPD Hebel dafür sein muss, das Leben für Menschen zu verbessern", sagte Woidke. "Wenn die SPD dieses nicht mehr bedienen kann, wenn sie das Gefühl hat, mit ihren Vorstellungen sich nicht mehr wiederzufinden, wenn zum Beispiel die Grundrente nicht gekommen wäre, wären das Gründe, um eine solche Koalition zu verlassen." Dies sehe er derzeit nicht
Esken und Walter-Borjans sehen vor einem schwierigen Parteitag: Die beiden Neuen müssen auf die Verlierer der Stichwahl zugehen, um eine Spaltung der Partei zu verhindern.
Das neue Führungsduo gibt sich derweil optimistisch, die Partei aus dem Umfrageloch zu führen, wie sie der Parteizeitung "Vorwärts" sagten. Bis Ende 2020 wollten sie wieder "Zustimmungswerte von 30 Prozent und vielleicht mehr" erreichen, sagte Esken der Zeitung. Derzeit kommt die SPD in Umfragen auf rund 15 Prozent.
Wenn die SPD wieder höhere Zustimmungswerte habe, stelle sich auch wieder die Frage nach einer Kanzlerkandidatur, sagte Esken. Dann habe die SPD "natürlich den Anspruch, wieder eine Regierung anzuführen". Diese Debatte müsse aber geführt werden, wenn Wahlen anstehen.
Kritik von der Basis
Esken und Walter-Borjans haben ihren Sieg vor allem den Stimmen aus Nordrhein-Westfalen zu verdanken. Die Genossen dort haben nun große Erwartungen.
"Ich weiß nicht, warum wir so zaghaft im Hintergrund bleiben", kritisiert etwa SPD-Ortsvereinschef Klaus Amoneit. Als eine Art revolutionäre Zelle für "Rot Pur" hat der Ortsverein Bochum-Hamme Spitzenfunktionären in den vergangenen Jahren oft Dampf gemacht.
"Die Bundestags- und die Landtagsfraktionen marschieren nicht konsequent nach vorn. Die befinden sich im tiefen Winterschlaf", sagte Amoneit weiter. In den vergangenen Jahren sei die Entwicklung der Bundesrepublik als sozialer und demokratischer Bundesstaat - wie in Artikel 20 des Grundgesetzes gefordert - mit zu vielen faulen Kompromissen "in der GroKo-Sackgasse" zurückgeblieben, bemängelte der 74-jährige. "Mit Grünen und Linken hätten wir ganz andere Möglichkeiten."
spiegel
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