SPD rückt nach links: "Sozialistische Partei Deutschlands"?

  07 Dezember 2019    Gelesen: 532
 SPD rückt nach links: "Sozialistische Partei Deutschlands"?

Die neu gewählte SPD-Spitze will die Partei klar nach links steuern. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin ihre Eckpunkte für eine Weiterführung der GroKo abgesteckt: Ein höherer Mindestlohn, ein effizienteres Klimapaket, mehr Investitionen in Bildung und eine Ostpolitik nach dem Vorbild Willy Brandts.

Tag 1 des SPD-Bundesparteitags in den Berliner Messehallen war geprägt von der Wahl des neuen SPD-Vorstands und deren Stellvertretern. Und schnell wurde klar: Die SPD macht ernst und will thematisch einen klaren Linksruck vollziehen. Das spiegelt sich im Personal und auch den bisherigen Beschlüssen wider. Ob der politische Richtungswechsel innerhalb einer Koalition mit CDU und CSU umzusetzen ist, bleibt fraglich.

Hartz IV soll weg

Die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken erhielt mit 75,9 Prozent der Delegiertenstimmen ein eher mittelmäßiges Ergebnis als neue Parteivorsitzende. In ihrer Bewerbungsrede erneuert die 58-jährige Stuttgarterin ihre Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro. Esken erklärte, die SPD werde den Sozialstaat ins 21. Jahrhundert führen. Damit nahm sie Bezug auf das Sozialstaatskonzept, das die Delegierten auf dem Parteitag am Samstag beschließen möchten:

"Wir waren die Partei, die Hartz IV eingeführt hat. Wir sind die Partei, die Hartz IV überwindet und durch ein besseres Konzept ersetzt."

Die SPD habe auch dazu beitragen, dass in Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren Westeuropas entstehen gekonnt habe, so Esken. Sie wolle ab sofort ihr ganzes Herzblut investieren, um diesen Niedriglohnsektor auszutrocknen. Mit dem Zitat "Hört ihr die Signale" aus der berühmten Arbeiter-Hymne "Die Internationale" schloss sie ihre Rede.

Nach Esken trat ihr Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans an das Rednerpult. Er sei dankbar dafür, 67 Jahre in Frieden in Deutschland gelebt zu haben, so der ehemalige NRW-Finanzminister Er wolle sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das auch kommenden Generationen vergönnt sei: Willy Brandt habe vorgelegt, wie man mit historischer Verantwortung umgehe:

„Wenn die Verteidigungsministerin die Bundeswehr an möglichst vielen Orten in der Welt im Einsatz sehen will, dann ist das grundfalsch. Das ist Irrealpolitik und eine Militarisierung der Außenpolitik.“

Auch deshalb sei die Erhöhung der deutschen Militärausgaben auf zwei Prozent des BIP mit ihm nicht machbar, so Walter-Borjans. Stattdessen forderte der gebürtige Niederrheiner, mehr Geld in Bildung, Umwelt und Gesundheitsvorsorge zu investieren. Wenn die Schwarze Null einer besseren Zukunft entgegenstehe, dann sei die Schwarze Null falsch und müsse weg, so Walter-Borjans. Die Delegierten wählten ihn am Freitagnachmittag mit beachtlichen 89,2 Prozent neben Saskia Esken an die Parteispitze.

​Juso-Chef Kevin Kühnert appellierte wenig später an die Delegierten, dem Leitantrag des Bundesparteitags zuzustimmen. Dieser sieht Gespräche und Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags mit der Union vor. Er vertraue den neuen Parteivorsitzenden Esken und Walter-Borjans, dass sie die Botschaft der Mitglieder verstanden hätten:

„Die Botschaft war: kein Weiter-So. Diesen Auftrag haben die beiden. Ich bin überzeugt davon, dass sie ihn nicht missbrauchen."

Er selbst trage keine „Oppositionssehnsucht“ in sich, eine Partei müsse immer auch regieren wollen, sonst werde sie nicht gewählt. Kühnert kritisierte aber, dass es auch bei den politischen Inhalten der SPD viel zu lange ein „weiter so“ gegeben habe. Auch verurteilte er die Form, in der bisher politische Kompromisse entstanden seien. Es liege jetzt am neuen Führungs-Duo, den Kurs zu ändern. Der Leitantrag zur so genannten „Halbzeitbilanz“ wurde schließlich auf dem Parteitag mehrheitlich angenommen. Ein Änderungsantrag zum sofortigen Ausstieg aus der GroKo fand dagegen keine Mehrheit.

Auch mit der Wahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden setzte die SPD ein Zeichen. Eigentlich sollten die Vize-Posten von sechs auf drei reduziert werden, doch um eine Kampfabstimmung zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil zu umgehen, wurden die Stellvertreter-Jobs kurzerhand wieder auf fünf erhöht. Besetzt werden sie nun von dem parteilinken Kevin Kühnert (30), von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (47), der Brandenburgerin Klara Geywitz (43), der Saar-SPD-Chefin Anke Rehlinger (43), sowie der Schleswig-Holsteinischen SPD-Landeschefin Serpil Midyatli (44) – ein recht junger Parteivorstand.

Stehender Applaus für Kühnert

In seiner rhetorisch starken Bewerbungsrede für den Vize-Vorsitz erklärte Kühnert zuvor, dass es in der Politik symptomatisch sei, dass er mit seinen 30 Jahren noch als Nachwuchs gelte. Der erste Schritt dagegen sei seine Kandidatur:

"Ich bin mittlerweile 30 Jahre alt, mein zweites Lebensdrittel hat begonnen, in zwei Jahren kann ich im Fußball bei den alten Herren mitspielen."

Zum Schluss seiner Rede zitierte Kühnert Altkanzler Helmut Schmidt, der sagte: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“. Der Juso-Chef rief die Delegierten dazu auf, alle Ärzte, Sprechstundenhilfen und Wartezimmer des Landes zu besuchen, um dort alle von den Visionen der SPD zu überzeugen. Dafür erntete er in den Messehallen stehenden Applaus und im Anschluss ein Wahlergebnis als Vize-Parteichef von 70,4 Prozent. 

​Die Reaktionen auf den SPD-Parteitag in Berlin bleiben auch bei den übrigen Bundestagsparteien nicht aus. Die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gratulierte den neuen Vorsitzen zwar auf Twitter, gleichzeitig forderte sie aber ein klares Bekenntnis von Esken und Walter-Borjans zum gemeinsamen Regierungsauftrag – die CDU sei dazu bereit. FDP-Chef Christian Linder forderte bereits zuvor, die CDU dürfe bei Verhandlungen mit der neuen SPD-Spitze vor allem beim Thema Schwarze Null nicht umfallen. Selbst Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung wären laut Linder besser.

​Am Samstag will die SPD über ihr Sozialstaatskonzept beraten. Weitere Anträge zum Thema „30 Jahre friedliche Revolution“ sowie zum Thema Umwelt und Klima sind ebenfalls geplant. Sonntag debattieren Delegierte und Parteispitze dann über Bildung, Digitalisierung und Friedenspolitik. Am Ende will die SPD, soviel ist schon jetzt sicher, einen politisch deutlich links verorteten Weg einschlagen. Ob das zwangsweise zu einem Koalitionsbruch führt, werden die Verhandlungen der Regierungsparteien in den kommenden Wochen zeigen. Ausgeschlossen ist es sicher nicht. 

sputniknews


Tags:


Newsticker