Als Hitlers Armeen in den Ardennen verbluten

  16 Dezember 2019    Gelesen: 666
Als Hitlers Armeen in den Ardennen verbluten

Ende 1944 steht das Dritte Reich kurz vor der Niederlage. Doch Hitler glaubt noch immer, die Kriegswende erzwingen zu können. Ein letztes Mal gehen die Deutschen an der Westfront zum Großangriff über.

Samstag, der 16. Dezember 1944: Es ist noch dunkel, als die deutsche Artillerie um Punkt 5.30 Uhr das Feuer auf die US-amerikanischen Stellungen in den belgischen Ardennen eröffnet. Die Explosionen der Granaten reißen in den vordersten Linien viele GIs aus dem Schlaf. Hastig stürzen sie aus ihren Schlafsäcken und suchen Deckung in den Schützenlöchern. Dann erhellen deutsche Scheinwerfer die schneebedeckte Landschaft. Tiger-Panzer preschen in hohem Tempo aus dem Nebel hervor. Deutsche Infanteristen tauchen in ihren weißen Tarnanzügen zwischen den Bäumen auf wie Gespenster.

Vor 75 Jahren setzt Hitler in den Ardennen alles auf eine Karte. Mit dem letzten Aufgebot an Mensch und Material will der deutsche Diktator mit einer Großoffensive doch noch die Kriegswende herbeiführen. Doch der Plan leidet an völliger Selbstüberschätzung. In den dichten Wäldern der Ardennen verbluten in vier Wochen harter Kämpfe die letzten deutschen Reserven.

Eroberung von Antwerpen soll die Wende einläuten

Mit der Idee einer Gegenoffensive im Westen beschäftigte sich Hitler bereits seit dem Ausbruch der Alliierten aus dem Brückenkopf in der Normandie. Unter dem Decknamen "Wacht am Rhein" beauftragt der Diktator im September seinen Stab mit der Ausarbeitung eines Angriffs, um aus der "ewigen Defensive" herauszukommen. Als Ziel fasst Hitler Antwerpen ins Auge, die wichtigste Nachschubbasis der Alliierten. Mit einem bedeutenden Sieg glaubt er, Briten und Amerikaner zu einem Separatfrieden zwingen zu können. Mitte November schwört Hitler seine Generäle auf die bevorstehende Operation ein. Jetzt bestehe die einmalige Chance, die "unnatürliche Koalition" der Alliierten durch "ein paar ganz schwere Schläge" zu zerstören, versichert der Diktator.

Gemäß den Plänen soll der Durchbruch Richtung Antwerpen an der nur dünn besetzten Nahtstelle zwischen britischen und amerikanischen Verbänden in den Ardennen erfolgen. In der schwer zugänglichen Waldlandschaft gelang der Wehrmacht bereits 1940 im Frankreich-Feldzug der schnelle Durchmarsch. Für die erste Angriffswelle zieht das deutsche Oberkommando noch einmal eine stattliche Streitmacht, bestehend aus 200.000 Soldaten und 600 Panzern und Sturmgeschützen, im deutsch-belgischen Grenzgebiet zusammen. Ihnen gegenüber liegen etwa 80.000 Amerikaner.

Den Hauptschlag soll die 6. Panzerarmee führen, die von Hitlers ehemaligem Leibwächter, SS-Obergruppenführer Sepp Dietrich, befehligt wird. Ihre Divisionen sollen gleich am ersten Angriffstag die Frontlinie in der Provinz Lüttich durchstoßen und dann die 80 Kilometer entfernte Maas überqueren. Südlich von Dietrichs Truppen steht die 5. Panzerarmee unter dem General und späteren FDP-Bundestagsabgeordneten Hasso von Manteuffel. Sie bekommt den Befehl, die Verkehrsknotenpunkte St. Vith und Bastogne zu sichern, Brückenköpfe über die Maas zu schlagen und anschließend Richtung Brüssel vorzustoßen. Zudem steht im Rahmen des "Unternehmen Greif" ein 2000 Mann starkes Sonderkommando aus englisch sprechenden SS- und Wehrmachtsangehörigen bereit. Ausgestattet mit alliierten Beute-Uniformen sollen die Soldaten in kleinen Gruppen hinter den feindlichen Linien operieren und Verwirrung stiften.

"Kämpft wie in Russland und legt sie um"

Der Angriff am frühen Morgen des 16. Dezember beginnt zunächst vielversprechend. Dietrichs Truppen gelingt es, die US-amerikanischen Vorposten auf breiter Front zu überrennen, der entscheidende Durchbruch scheitert allerdings. Einzig die Kampfgruppe Peiper findet eine Lücke und stößt in den folgenden Tagen Richtung Westen vor. Auf ihrem Vormarsch begehen die SS-Soldaten viele Kriegsverbrechen. Mehr als 300 Gefangene und über 100 belgische Zivilisten werden von der Einheit ermordet - offenbar auf Befehl von oben. Kurz vor Beginn der Operation soll Kommandeur Joachim Peiper gegenüber seinen Offizieren angedeutet haben, dass es nicht immer möglich sein werde, Gefangene zu machen. "Kämpft wie in Russland und legt sie um", soll der 29-Jährige auf Nachfrage bekräftigt haben.

Im Gegensatz zu Dietrich kommen Manteuffels Truppen deutlich besser voran. Der 5. Panzerarmee gelingt es sogar, zwei US-Regimenter zur Kapitulation zu zwingen. Doch die engen, schlammigen Straßen und der Mangel an Benzin bremsen den Vormarsch. Immerhin kann die feindliche Luftwaffe aufgrund des schlechten Wetters nicht in die Kämpfe eingreifen.

Das alliierte Oberkommando wird von der Offensive völlig überrascht. Obwohl zunächst kaum Informationen über das Ausmaß des Angriffs bekannt sind, schätzt Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower die Lage sofort richtig ein. Noch im Laufe des ersten Angriffstages befiehlt er, alle verfügbaren Reserven in die Ardennen zu verlegen. Am 21. Dezember gelingt Einheiten der 5. Panzerarmee nach schweren Kämpfen die Einnahme von St. Vith. Doch Bastogne kann kurz vor dem Eintreffen der ersten deutschen Panzer durch US-Einheiten verstärkt werden. Daraufhin umzingeln Manteuffels Truppen die Stadt.

Zu Weihnachten ist der deutsche Angriffsschwung bereits erschöpft. Am 23. Dezember bleibt die Spitze der 5. Panzerarmee wegen Treibstoffmangels kurz vor der Maas liegen und erleidet durch US-Einheiten schwere Verluste. Vier Tage später sprengen amerikanische Panzereinheiten den Belagerungsring um Bastogne. Zudem klart auch das Wetter auf, wodurch die alliierte Luftüberlegenheit wieder voll zur Geltung kommt. Große Truppenbewegungen sind jetzt nur noch in der Nacht möglich. Trotzdem drängt Hitler unbeirrt auf eine Fortführung der Offensive, um die Amerikaner "Division um Division auszurotten". Aufgrund des Scheiterns von Dietrich werden nun Verbände der 6. Panzerarmee in Manteuffels Abschnitt verlegt. Aus der Offensive Richtung Antwerpen entwickelt sich eine Abnutzungsschlacht um Bastogne. Immer mehr Reserven werden in den Kampf geworfen, in der Hoffnung, wenigstens einige US-Verbände aufreiben zu können.

Doch das Blatt wendet sich. An Heiligabend ist der Vorstoß der Kampfgruppe Peiper gescheitert. Abgeschnitten von den eigenen Truppen und ohne Nachschub lassen die verbliebenen 800 Mann ihre Gefechtsfahrzeuge zurück und schlagen sich zu Fuß zu den deutschen Linien durch. Auch das "Unternehmen Greif" zeigt nicht die erhoffte Wirkung. Ein Großteil der Kommandosoldaten landet bereits früh in Gefangenschaft - einige werden vor Militärgerichte gestellt und als Spione standrechtlich erschossen.

Verluste können nicht mehr ersetzt werden

Kurz nach Neujahr gehen Briten und Amerikaner zum Gegenangriff über. Nur wenige Tage später ordnet das Oberkommando der Wehrmacht die ersten Rückzüge an. Diese werden noch beschleunigt, als Mitte Januar die sowjetische Winteroffensive startet und dringend Truppen an der wankenden Ostfront benötigt werden. Ende Januar stehen die Reste der deutschen Verbände wieder in ihren Ausgangsstellungen in der Eifel, die sie kurz vor der Offensive eingenommen hatten. Vier Monate später ist der Krieg in Europa zu Ende.

Der deutschen Führung gelang es nicht, die Anti-Hitler-Koalition durch die Ardennenoffensive zu entzweien. Im Verlauf der Kämpfe verlieren die Deutschen 600 bis 700 Fahrzeuge und etwa 70.000 Mann, die Verluste der Alliierten sind ungefähr gleich hoch. Zwar konnten Amerikaner und Briten an der Westfront kurzzeitig aus dem Gleichgewicht gebracht werden, allerdings zu einem hohen Preis. Die massiven Verluste an Mensch und Material können die Deutschen in der Spätphase des Krieges nicht mehr ersetzen. Eine realistische Betrachtung der Kräfteverhältnisse hätte von vornherein die Sinnlosigkeit des Unternehmens deutlich gemacht. Doch Entscheidungen, die auf militärischen Sachverstand und eine objektive Lagebeurteilung fußten, wurden im Führerhauptquartier schon lange nicht mehr getroffen.


Quelle: n-tv.de


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