Neulich beim Bäcker: Eine Kundin fragt den Bäckermeister, warum es in seinem Laden keine „Bild“-Zeitung mehr zu kaufen gebe. Der Mann antwortet völlig ernst, dies habe mit der Lebensmittelverordnung zu tun: Nahrungsmittel und Dreck dürfe man nicht im gleichen Raum lagern. Es folgt spontaner Applaus seitens übriger Kunden. Eine exemplarische Szene, die unter anderem den stetigen Auflagenschwund des Boulevard-Blattes erklärt.
Neue Reichweiten müssen her…
Die verkaufte Auflage der „Bild“ ist in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich etwa 7,2 Prozent pro Jahr gesunken. Das ist ein Abwärtstrend, den in dieser Form nahezu keine andere Boulevard- oder Tageszeitung in Deutschland zu verzeichnen hat. Online allerdings liegt „Bild“ mit seiner Menge von zahlenden Digital-Abonnenten europaweit sogar in einer führenden Position. Das will Chefredakteur Julian Reichelt nutzen, um dem Axel-Springer-Erzeugnis zu einer neuen Reichweite zu verhelfen.
Die Massen bewegen…
In einer Mail an die Mitarbeiter erklärte Reichelt vor wenigen Tagen, dass mit dem Jahr 2020 ein Zeitalter beginne, das medial von Live News dominiert werden würde. Der Rundbrief trägt die Überschrift „2020 – The Decade of News“. Politische Nachrichten sind nach Ansicht des „Bild“-Chefs aufregender, als es die US-Serie „House of Cards“ je ein könne. Weiter heißt es in der Mail, die mehrere Medien veröffentlicht haben, das höchste Gut in diesem Jahrzehnt werde es, „die Sprache der Massen zu sprechen“ und die Gefühle der Menschen zu verstehen:
„Was Netflix für die Welt von Fiction und On-Demand geschaffen hat, können in der Real-Time-Welt der Live-News weltweit nur wenige Marken – und BILD gehört dazu.“
Das erklärte Ziel: Schnelle Verbreitung von Nachrichten, eine hohe Reichweite und eine hohe Anzahl von kleinen und großen Meldungen. Und „Bild“ will das „Netflix“ der Live-Nachrichten werden:
„Wir denken TV in den Emotionen des Social-Media-Zeitalters.“
Die Vision Reichelts ist es, dass in drei Jahren über die Hälfte des von „Bild“ online verbreiteten Video-Materials von den Lesern selbst stammen soll. Das Ganze klingt wie eine Weiterentwicklung des „Bild-Leser-Reporters“, bei dem schon jetzt jedermann der Redaktion Videos und Fotos mit vermeintlichem Nachrichtenwert senden kann. Journalistische Standards rücken da in den Hintergrund.
sputniknews
Tags: