Der Westen kapituliert vor Putins Schachzügen

  11 Februar 2016    Gelesen: 775
Der Westen kapituliert vor Putins Schachzügen
Kremlchef Wladimir Putin kann machen, was er will – der Westen lässt ihn gewähren, weil er Angst vor Konflikten hat. So produziert die Kriegsachse Moskau–Teheran–Damaskus neue Flüchtlingsströme.
In Syrien läuft für Russlands Präsident Wladimir Putin alles nach Plan. Die russischen Dauerbombardements der Stellungen der syrischen Opposition ebnen dem Vormarsch der Armee seines Schützlings Baschar al-Assad und der im iranischen Auftrag kämpfenden libanesischen Hisbollah-Miliz den Weg.

Dabei setzt Moskaus Luftkrieg, der rücksichtslos die Zivilbevölkerung ins Fadenkreuz nimmt, einen neuen Strom von Flüchtlingen in Bewegung. Aus Aleppo, um das sich ein Belagerungsring zu schließen droht, versuchen sich Zehntausende Richtung Türkei in Sicherheit zu bringen.

Nicht nur vor den Bomben – nur zu gut ist bekannt, dass das systematische Aushungern der Bevölkerung eine bevorzugte Methode der vom Kreml unterstützten Kriegsführung des Assad-Regimes darstellt.

Weit davon entfernt, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu bekämpfen, wie es Moskau der Weltöffentlichkeit seit Beginn des russischen Kriegseintritts in Syrien im September weiszumachen versucht, stärkt Russland mit seinem Vorgehen dieses dschihadistische Horrorgebilde.

Putin spekuliert auf Assads Überleben

Denn die bewaffneten syrischen Anti-Assad-Kräfte, denen nun die Zerschlagung droht, stehen in einem Zweifrontenkrieg. Werden sie besiegt, teilt sich Syrien in die Herrschaftsbereiche des Assad-Regimes und des IS. Beide stehen sich in Grausamkeit kaum nach.

Putin aber geht davon aus, dass die Weltgemeinschaft, bleibt ihr erst einmal keine andere Wahl als die zwischen diesen beiden Übeln, sich für das von ihm oktroyierte entscheiden wird.

Alle diese Folgewirkungen von Putins syrischem Krieg ergeben sich nicht zufällig, sondern sind Bestandteil eines strategischen Kalküls, dem die russische Führung von Anfang an mit zynischer Konsequenz gefolgt ist. Der Kreml schlägt mit seinem Vorgehen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Im Blick auf die geplanten Friedensgespräche über Syrien schafft er militärisch vollendete Tatsachen.

Zugleich lässt er sich seine vermeintliche Bereitschaft, sich überhaupt auf ernsthafte Verhandlungen über die Zukunft Syriens einzulassen, vom Westen mit weitreichenden Zugeständnissen ohne Gegenleistung bezahlen.

Washington und die Europäer haben bereits eingewilligt, Assad – und damit die Wurzel des syrischen Übels – fürs Erste an der Macht zu lassen und Waffenlieferungen an die Rebellen als Geste der "Deeskalation" zu suspendieren. Putin aber hat diese Konzessionen als Freifahrtschein dafür aufgefasst, Assads Mordfeldzug gegen die eigene Bevölkerung zu intensivieren.

Die Türkei unter Druck

Indem die Kriegsachse Moskau–Teheran–Damaskus neue Flüchtlingsströme produziert, fördert sie die Destabilisierung unliebsamer Nachbarstaaten, an erster Stelle der Türkei. Die hat Putin im Visier, seit die türkische Luftwaffe im November einen russischen Kampfjet abschoss, der in ihr Hoheitsgebiet eingedrungen war.

Jetzt verletzen russische Flugzeuge provokativ immer wieder den türkischen Luftraum – der türkischen Führung sind nun die Hände gebunden. Würde das Nato-Mitglied Türkei erneut eine russische Maschine vom Himmel holen, riskierte es eine offene Konfrontation zwischen Moskau und dem westlichen Bündnis. Weil der Westen das um jeden Preis vermeiden will, drängt er Ankara zum Stillhalten.

Die Flüchtlingsmassen, die Putins jüngste Bombenkampagne an die türkische Grenze treibt, lenken überdies die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von dem wahren Verursacher ihres Elends ab. Dass die Türkei ihre Grenze vor den Verzweifelten verschließt, lässt sie als erbarmungslos dastehen.

Dabei geht unter, dass die Türkei bereits zweieinhalb Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherbergt und die Absicht des Kreml, sie mit neuen Flüchtlingsströmen an den Rand des Kollapses zu bringen, wohl durchschaut. Russland übrigens nimmt so gut wie keine Flüchtlinge aus Syrien auf. Dabei ist es durch seine jahrelange Unterstützung des Assad-Regimes an vorderster Stelle für die Tragödie dieses Landes verantwortlich.

Der Kreml zielt auf die EU

Der Kreml nutzt die Flüchtlingskatastrophe, um auch die Europäische Union zu unterminieren. Angela Merkels verzweifelter Versuch, die Türkei zum zentralen Pfeiler einer Architektur der Eindämmung des Flüchtlingsströme nach Europa zu machen, wird durch die Assad-Offensive in Syrien punktgenau torpediert.

Dass Merkel, um zu retten, was zu retten ist, den türkischen Machthaber Erdogan immer unkritischer umgarnen muss, passt Moskau ebenfalls gut ins Konzept. Wird doch die Kanzlerin, die Putin wegen ihrer konsequenten Haltung in Sachen Sanktionen gegen Russlands Aggression in der Ukraine wohl gerne stürzen sähe, dadurch bei der eigenen Bevölkerung nicht glaubwürdiger.

Längst hätte der Westen erkennen müssen, dass Putin weit mehr ist als nur ein irrlichternder Machtpragmatiker, der Gelegenheiten situativ zum eigenen Vorteil zu nutzen weiß – aber durch Zugeständnisse und verständnisvolle Zuwendung auch wieder zu besänftigen ist. In Wahrheit verfolgt Putin nicht nur im Nahen Osten eine Hegemonialstrategie, deren Ziel eine neue Weltordnung von seinen Gnaden ist – inklusive einem internationalen Recht, das Gegenstand willkürlicher Auslegung durch den russischen Neoimperialismus ist.

Doch in den westlichen Hauptstädten klammert man sich weiterhin an die Fiktion, Putins Russland könne und müsse um jeden Preis als Bündnispartner im Antiterrorkampf gewonnen werden. Aus Angst vor einer Konfrontation mit dem Kreml setzt nun Obama seine Verbündeten in der syrischen Opposition massiv unter Druck, die russischen Bedingungen für Verhandlungen zu akzeptieren – und droht ihnen, sie andernfalls ihrem Schicksal zu überlassen.

Der "dekadente" Westen

Auch in der Ukraine zeichnet sich ein nur mühsam verschleiertes westliches Zurückweichen ab. Regierung und Parlament in Kiew werden immer massiver bedrängt, eine faktische Zerstückelung des eigenen Landes hinzunehmen. Russland macht so unter höhnischer Missachtung des Minsker Abkommens keinerlei Anstalten, seine hybriden Truppen aus der Ostukraine abzuziehen und lässt die "Separatisten" ihre Angriffe gegen die ukrainische Armee sogar wieder verstärken. Dabei fährt es fort, die abgespaltenen "Volksrepubliken" finanziell und politisch seiner Kontrolle zu unterwerfen, was ohne Konsequenzen bleibt.

Diese Selbsterniedrigung des Westens wird aber nicht dazu führen, dass der Kremlherr auf den Weg friedlicher Kooperation zurückkehrt. Sie bestärkt ihn vielmehr in der Überzeugung, der "dekadente" Westen stehe auf tönernen Füßen und sei durch eine Kombination aus militärischer Erpressungspolitik, propagandistischer Infiltration und geheuchelter Verständigungsbereitschaft ohne große Probleme gefügig zu machen ist.

Der Westen muss grundlegend umdenken und erkennen, dass Putins weltpolitische Offensive die Substanz der westlichen Demokratien zu erschüttern beginnt. Die Einsicht muss zurückkehren, dass einer Gefahr wie dieser nur zu begegnen ist, indem man ihr unmissverständliche Grenzen setzt, und dass man mit einer feindlichen Macht wie dem Putinismus nur zu ernsthaften Vereinbarungen kommen kann, wenn man sie von der eigenen Stärke und Entschlossenheit überzeugt.

Die Sanktionen gegen Russland dürfen daher nicht aufgehoben, sondern müssen im Gegenteil verschärft werden. Die militärische und finanzielle Unterstützung für die syrischen Anti-Assad-Rebellen sollte deutlich erhöht werden. Und Moskaus Einmischung in die Angelegenheiten Europas muss ein Riegel vorgeschoben werden.

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